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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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zelnen Menschen, die ganze bürgerliche Gesell-
schaft -- ihre Jugend-Hemisphäre sowohl, als
die des Alters -- zu umschiffen. Er betritt also
jene Schwelle des Alters; andre Wünsche, an-
dre Neigungen kommen unvermeidlich; alle In-
stitute der Vorzeit, die er in seiner Jugend
schmähte oder umwarf, alle Gesetze, alle Schran-
ken gewinnen eine überschwengliche Macht und
Hoheit für die verwilderte Seele, die sich nun
in eine ganz andre Natur und ganz andre Bedin-
gungen des Daseyns finden soll. Je mehr er
selbst auf die Höhe des Lebens hinaufsteigt, um
so deutlicher erheben sich rings umher die Gebirge
der Vorzeit. Die nothwendigen Bedürfnisse sei-
nes zweiten Alters hat er selbst zerstört; er selbst
hat dem Gesetze der Natur die Kraft gegeben,
ihn zu zermalmen. Aller Ruhm, jede einzelne
That aus jener Zeit, wo er den Weltschöpfer
spielte, wird nothwendig einzeln wieder ausge-
löscht, nun, da er die Rolle eines Welterhal-
ters
übernimmt und die aufgehäufte Kraft der
Jahrhunderte, welche zur Erhaltung nöthig ist,
entbehren muß, weil er sie selbst zersplittert hat.
Die früheren Genossen des Jugend-Propheten
sehen ihn ganz neue Wege betreten, empfinden
die Inconsequenz; er selbst fühlt sie in seinem
Innern, will die Miene der Jugend beibehalten,

zelnen Menſchen, die ganze buͤrgerliche Geſell-
ſchaft — ihre Jugend-Hemiſphaͤre ſowohl, als
die des Alters — zu umſchiffen. Er betritt alſo
jene Schwelle des Alters; andre Wuͤnſche, an-
dre Neigungen kommen unvermeidlich; alle In-
ſtitute der Vorzeit, die er in ſeiner Jugend
ſchmaͤhte oder umwarf, alle Geſetze, alle Schran-
ken gewinnen eine uͤberſchwengliche Macht und
Hoheit fuͤr die verwilderte Seele, die ſich nun
in eine ganz andre Natur und ganz andre Bedin-
gungen des Daſeyns finden ſoll. Je mehr er
ſelbſt auf die Hoͤhe des Lebens hinaufſteigt, um
ſo deutlicher erheben ſich rings umher die Gebirge
der Vorzeit. Die nothwendigen Beduͤrfniſſe ſei-
nes zweiten Alters hat er ſelbſt zerſtoͤrt; er ſelbſt
hat dem Geſetze der Natur die Kraft gegeben,
ihn zu zermalmen. Aller Ruhm, jede einzelne
That aus jener Zeit, wo er den Weltſchoͤpfer
ſpielte, wird nothwendig einzeln wieder ausge-
loͤſcht, nun, da er die Rolle eines Welterhal-
ters
uͤbernimmt und die aufgehaͤufte Kraft der
Jahrhunderte, welche zur Erhaltung noͤthig iſt,
entbehren muß, weil er ſie ſelbſt zerſplittert hat.
Die fruͤheren Genoſſen des Jugend-Propheten
ſehen ihn ganz neue Wege betreten, empfinden
die Inconſequenz; er ſelbſt fuͤhlt ſie in ſeinem
Innern, will die Miene der Jugend beibehalten,

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[131/0165] zelnen Menſchen, die ganze buͤrgerliche Geſell- ſchaft — ihre Jugend-Hemiſphaͤre ſowohl, als die des Alters — zu umſchiffen. Er betritt alſo jene Schwelle des Alters; andre Wuͤnſche, an- dre Neigungen kommen unvermeidlich; alle In- ſtitute der Vorzeit, die er in ſeiner Jugend ſchmaͤhte oder umwarf, alle Geſetze, alle Schran- ken gewinnen eine uͤberſchwengliche Macht und Hoheit fuͤr die verwilderte Seele, die ſich nun in eine ganz andre Natur und ganz andre Bedin- gungen des Daſeyns finden ſoll. Je mehr er ſelbſt auf die Hoͤhe des Lebens hinaufſteigt, um ſo deutlicher erheben ſich rings umher die Gebirge der Vorzeit. Die nothwendigen Beduͤrfniſſe ſei- nes zweiten Alters hat er ſelbſt zerſtoͤrt; er ſelbſt hat dem Geſetze der Natur die Kraft gegeben, ihn zu zermalmen. Aller Ruhm, jede einzelne That aus jener Zeit, wo er den Weltſchoͤpfer ſpielte, wird nothwendig einzeln wieder ausge- loͤſcht, nun, da er die Rolle eines Welterhal- ters uͤbernimmt und die aufgehaͤufte Kraft der Jahrhunderte, welche zur Erhaltung noͤthig iſt, entbehren muß, weil er ſie ſelbſt zerſplittert hat. Die fruͤheren Genoſſen des Jugend-Propheten ſehen ihn ganz neue Wege betreten, empfinden die Inconſequenz; er ſelbſt fuͤhlt ſie in ſeinem Innern, will die Miene der Jugend beibehalten,

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/165>, abgerufen am 24.11.2024.