ist, kann wegen seiner Starrheit und Leblosig- keit nicht regieren; deshalb ist ein lebendiger Ausüber des Gesetzes, ein wirklicher, persönli- cher Suverän, nöthig. Dieser nun soll, we- gen seiner Veränderlichkeit und seiner menschli- chen Gebrechlichkeit, nicht anders regieren, als mit beständiger Rücksicht auf das Gesetz. Also weder der Suverän soll, noch das Gesetz kann allein regieren; demnach regiert wirklich ein Drit- tes, Höheres, welches aus dem Conflict des Gesetzes mit dem Suverän in jedem Augenblicke hervorgeht, und von dem Suverän das Leben, von dem Gesetze aber die Eigenschaft der Dauer erhält; und dieses ist die Idee des Rechtes.
Deshalb irrt man sich, wenn man voraus- setzt, zu irgend einer Zeit, die man nicht einmal historisch anzugeben im Stande ist, sey das Recht wirklich und leibhaftig, in eigener hoher Person, an den Tag gekommen; es sey eine absolute bin- dende und zwingende Gewalt erschienen, die vor- her nicht da gewesen sey. Von der Zeit an, heißt es, mache der Staat eine Zwangsanstalt aus, und diese zwingende Gewalt sey das eigent- liche Kennzeichen desselben. Aber der Buchstabe des Gesetzes allein kann, und der Suverän allein soll nicht zwingen. Die Idee des Rech- tes allein darf zwingen; und in diesem Sinne
iſt, kann wegen ſeiner Starrheit und Lebloſig- keit nicht regieren; deshalb iſt ein lebendiger Ausuͤber des Geſetzes, ein wirklicher, perſoͤnli- cher Suveraͤn, noͤthig. Dieſer nun ſoll, we- gen ſeiner Veraͤnderlichkeit und ſeiner menſchli- chen Gebrechlichkeit, nicht anders regieren, als mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf das Geſetz. Alſo weder der Suveraͤn ſoll, noch das Geſetz kann allein regieren; demnach regiert wirklich ein Drit- tes, Hoͤheres, welches aus dem Conflict des Geſetzes mit dem Suveraͤn in jedem Augenblicke hervorgeht, und von dem Suveraͤn das Leben, von dem Geſetze aber die Eigenſchaft der Dauer erhaͤlt; und dieſes iſt die Idee des Rechtes.
Deshalb irrt man ſich, wenn man voraus- ſetzt, zu irgend einer Zeit, die man nicht einmal hiſtoriſch anzugeben im Stande iſt, ſey das Recht wirklich und leibhaftig, in eigener hoher Perſon, an den Tag gekommen; es ſey eine abſolute bin- dende und zwingende Gewalt erſchienen, die vor- her nicht da geweſen ſey. Von der Zeit an, heißt es, mache der Staat eine Zwangsanſtalt aus, und dieſe zwingende Gewalt ſey das eigent- liche Kennzeichen deſſelben. Aber der Buchſtabe des Geſetzes allein kann, und der Suveraͤn allein ſoll nicht zwingen. Die Idee des Rech- tes allein darf zwingen; und in dieſem Sinne
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iſt, kann wegen ſeiner Starrheit und Lebloſig-
keit nicht regieren; deshalb iſt ein lebendiger
Ausuͤber des Geſetzes, ein wirklicher, perſoͤnli-
cher Suveraͤn, noͤthig. Dieſer nun ſoll, we-
gen ſeiner Veraͤnderlichkeit und ſeiner menſchli-
chen Gebrechlichkeit, nicht anders regieren, als
mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf das Geſetz. Alſo
weder der Suveraͤn ſoll, noch das Geſetz kann
allein regieren; demnach regiert wirklich ein Drit-
tes, Hoͤheres, welches aus dem Conflict des
Geſetzes mit dem Suveraͤn in jedem Augenblicke
hervorgeht, und von dem Suveraͤn das Leben,
von dem Geſetze aber die Eigenſchaft der Dauer
erhaͤlt; und dieſes iſt die Idee des Rechtes.
Deshalb irrt man ſich, wenn man voraus-
ſetzt, zu irgend einer Zeit, die man nicht einmal
hiſtoriſch anzugeben im Stande iſt, ſey das Recht
wirklich und leibhaftig, in eigener hoher Perſon,
an den Tag gekommen; es ſey eine abſolute bin-
dende und zwingende Gewalt erſchienen, die vor-
her nicht da geweſen ſey. Von der Zeit an,
heißt es, mache der Staat eine Zwangsanſtalt
aus, und dieſe zwingende Gewalt ſey das eigent-
liche Kennzeichen deſſelben. Aber der Buchſtabe
des Geſetzes allein kann, und der Suveraͤn
allein ſoll nicht zwingen. Die Idee des Rech-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/107>, abgerufen am 22.11.2024.
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