Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_087.001 5. Was nun noch speziellere Wirkungen einzelner poetischer Stilelemente pmu_087.012 Ähnlich wie einzelne Rhythmen so haben auch einzelne Laute und Lautverbindungen pmu_087.036 pmu_087.001 5. Was nun noch speziellere Wirkungen einzelner poetischer Stilelemente pmu_087.012 Ähnlich wie einzelne Rhythmen so haben auch einzelne Laute und Lautverbindungen pmu_087.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0097" n="87"/><lb n="pmu_087.001"/> auch positive Reize erzeugt werden. Vor allem aber bringt der gehobene <lb n="pmu_087.002"/> Sprechton eine außerordentliche <hi rendition="#g">suggestive Wirkung</hi> hervor. Diese ist <lb n="pmu_087.003"/> so stark, daß wir selbst durch gut gelesene Verse in einer Sprache, die wir <lb n="pmu_087.004"/> nicht verstehen, in eine eigentümliche gehobene Stimmung versetzt werden <lb n="pmu_087.005"/> können. Diese ist die allgemeine Grundlage der poetischen Ergriffenheit, <lb n="pmu_087.006"/> die Basis, auf der sich dann die durch den Jnhalt usw. bedingten <lb n="pmu_087.007"/> spezielleren Wirkungen aufbauen. — Jn der Hauptsache jedoch können wir <lb n="pmu_087.008"/> nochmals feststellen: Die psychologische Wirkung der Verspoesie beruht auf <lb n="pmu_087.009"/> einer in den Elementen des Verses bedingten, gehobenen Sprechweise, die <lb n="pmu_087.010"/> sich dem Leser aufzwingt und auch auf suggestivem Wege den Hörer ergreift.</p> <lb n="pmu_087.011"/> </div> <div n="3"> <p> 5. Was nun noch speziellere Wirkungen einzelner poetischer Stilelemente <lb n="pmu_087.012"/> anlangt, so kann nur das Allernotwendigste hier berührt werden. <lb n="pmu_087.013"/> Zunächst kurz die Frage, ob die von der Metrik aufgestellten <hi rendition="#g">Versschemata: <lb n="pmu_087.014"/> Daktylen, Jamben, Trochäen usw.</hi> einen spezifischen Stimmungswert <lb n="pmu_087.015"/> haben. Hier ist zu bemerken, daß diese Schemata niemals <lb n="pmu_087.016"/> rein vorkommen, sondern daß die Scheidung in betonte und unbetonte, <lb n="pmu_087.017"/> auch wenn man noch nebentonige Silben annimmt, sehr grobkörnig ist <lb n="pmu_087.018"/> und der lebendigen Wirkung so wenig gerecht wird, als wollte man alle <lb n="pmu_087.019"/> Farben eines Bildes in helle und dunkle einteilen. Die neuere Metrik <lb n="pmu_087.020"/> ist da viel feinhöriger geworden, und man kann heute jenen Versschematen <lb n="pmu_087.021"/> nur einen allgemein orientierenden Wert zuschreiben. Trotzdem scheint <lb n="pmu_087.022"/> jenen Versarten auch an sich ein gewisser Stimmungswert zuzukommen, <lb n="pmu_087.023"/> etwa so wie ihn auch die einzelnen Tonarten in der Musik aufweisen. Jndessen <lb n="pmu_087.024"/> ist hier wie dort dieser Stimmungswert so leicht zu durchkreuzen, <lb n="pmu_087.025"/> daß man schwer ihn genau bestimmen kann. Jmmerhin wird man ihn <lb n="pmu_087.026"/> für die stets sehr komplizierten Wirkungen des einzelnen Verses in Rechnung <lb n="pmu_087.027"/> setzen müssen, wenn wir auch seinen einzelnen Wert nie genau aufzeigen <lb n="pmu_087.028"/> können. Jm übrigen erweist sich die Genialität des Verskünstlers <lb n="pmu_087.029"/> nicht etwa in dem möglichst gleichmäßigen Sichunterwerfen unter jene <lb n="pmu_087.030"/> Rhythmusschemen, sondern gerade in der möglichst originellen Variation, <lb n="pmu_087.031"/> ja Durchbrechung. Vermutlich wird die psychologische Metrik der <lb n="pmu_087.032"/> Zukunft weniger im Aufstellen von <hi rendition="#g">typischen Schemen</hi> sich betätigen, <lb n="pmu_087.033"/> dagegen ein überaus lohnendes Feld in der Analyse des <hi rendition="#g">Einzelfalls</hi> <lb n="pmu_087.034"/> und seiner Wirkungsfaktoren finden.</p> <lb n="pmu_087.035"/> <p> Ähnlich wie einzelne Rhythmen so haben auch einzelne Laute und Lautverbindungen <lb n="pmu_087.036"/> einen Stimmungswert an sich, der als Komponente in <lb n="pmu_087.037"/> komplizierten Wirkungen in Rechnung gezogen werden muß. Daß u und <lb n="pmu_087.038"/> o dumpfer und trüber klingen als die heiteren ei oder i, ist eine fast allgemeine </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0097]
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auch positive Reize erzeugt werden. Vor allem aber bringt der gehobene pmu_087.002
Sprechton eine außerordentliche suggestive Wirkung hervor. Diese ist pmu_087.003
so stark, daß wir selbst durch gut gelesene Verse in einer Sprache, die wir pmu_087.004
nicht verstehen, in eine eigentümliche gehobene Stimmung versetzt werden pmu_087.005
können. Diese ist die allgemeine Grundlage der poetischen Ergriffenheit, pmu_087.006
die Basis, auf der sich dann die durch den Jnhalt usw. bedingten pmu_087.007
spezielleren Wirkungen aufbauen. — Jn der Hauptsache jedoch können wir pmu_087.008
nochmals feststellen: Die psychologische Wirkung der Verspoesie beruht auf pmu_087.009
einer in den Elementen des Verses bedingten, gehobenen Sprechweise, die pmu_087.010
sich dem Leser aufzwingt und auch auf suggestivem Wege den Hörer ergreift.
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5. Was nun noch speziellere Wirkungen einzelner poetischer Stilelemente pmu_087.012
anlangt, so kann nur das Allernotwendigste hier berührt werden. pmu_087.013
Zunächst kurz die Frage, ob die von der Metrik aufgestellten Versschemata: pmu_087.014
Daktylen, Jamben, Trochäen usw. einen spezifischen Stimmungswert pmu_087.015
haben. Hier ist zu bemerken, daß diese Schemata niemals pmu_087.016
rein vorkommen, sondern daß die Scheidung in betonte und unbetonte, pmu_087.017
auch wenn man noch nebentonige Silben annimmt, sehr grobkörnig ist pmu_087.018
und der lebendigen Wirkung so wenig gerecht wird, als wollte man alle pmu_087.019
Farben eines Bildes in helle und dunkle einteilen. Die neuere Metrik pmu_087.020
ist da viel feinhöriger geworden, und man kann heute jenen Versschematen pmu_087.021
nur einen allgemein orientierenden Wert zuschreiben. Trotzdem scheint pmu_087.022
jenen Versarten auch an sich ein gewisser Stimmungswert zuzukommen, pmu_087.023
etwa so wie ihn auch die einzelnen Tonarten in der Musik aufweisen. Jndessen pmu_087.024
ist hier wie dort dieser Stimmungswert so leicht zu durchkreuzen, pmu_087.025
daß man schwer ihn genau bestimmen kann. Jmmerhin wird man ihn pmu_087.026
für die stets sehr komplizierten Wirkungen des einzelnen Verses in Rechnung pmu_087.027
setzen müssen, wenn wir auch seinen einzelnen Wert nie genau aufzeigen pmu_087.028
können. Jm übrigen erweist sich die Genialität des Verskünstlers pmu_087.029
nicht etwa in dem möglichst gleichmäßigen Sichunterwerfen unter jene pmu_087.030
Rhythmusschemen, sondern gerade in der möglichst originellen Variation, pmu_087.031
ja Durchbrechung. Vermutlich wird die psychologische Metrik der pmu_087.032
Zukunft weniger im Aufstellen von typischen Schemen sich betätigen, pmu_087.033
dagegen ein überaus lohnendes Feld in der Analyse des Einzelfalls pmu_087.034
und seiner Wirkungsfaktoren finden.
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Ähnlich wie einzelne Rhythmen so haben auch einzelne Laute und Lautverbindungen pmu_087.036
einen Stimmungswert an sich, der als Komponente in pmu_087.037
komplizierten Wirkungen in Rechnung gezogen werden muß. Daß u und pmu_087.038
o dumpfer und trüber klingen als die heiteren ei oder i, ist eine fast allgemeine
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