Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_074.001 11. Am deutlichsten tritt bei der dramatischen Dichtung der Einfluß pmu_074.012 Schon die äußere Form ist dadurch in so bestimmter Weise festgelegt, pmu_074.017 pmu_074.001 11. Am deutlichsten tritt bei der dramatischen Dichtung der Einfluß pmu_074.012 Schon die äußere Form ist dadurch in so bestimmter Weise festgelegt, pmu_074.017 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0084" n="74"/><lb n="pmu_074.001"/> wenn sie sich bei Königen abspielen, als wenn sie in eine Taglöhnerfamilie <lb n="pmu_074.002"/> versetzt sind. So werden die Stimmungen herber, schmerzlicher <lb n="pmu_074.003"/> Einsamkeit und bittersüßer Resignation, die C. F. Meyer seinen Hutten <lb n="pmu_074.004"/> erleben läßt, für uns bedeutsamer, weil sie sich an diese historisch geadelte <lb n="pmu_074.005"/> Persönlichkeit knüpfen. Natürlich wird ein Gedicht durch solche Verkleidungen <lb n="pmu_074.006"/> des Jch allein nie gut oder schlecht, aber als sekundärer Faktor <lb n="pmu_074.007"/> kommen auch solche Umstände in Betracht. Dazu tritt ferner, daß historische <lb n="pmu_074.008"/> Personen und Geschehnisse häufig als Anregung wirken, wie wir das <lb n="pmu_074.009"/> oben dargestellt haben, um allerlei eigene Erlebnisse in sie hineinzuprojizieren, <lb n="pmu_074.010"/> ja vielleicht sogar sie erst in der Phantasie zu erwecken.</p> <lb n="pmu_074.011"/> </div> <div n="3"> <p> 11. Am deutlichsten tritt bei der dramatischen Dichtung der Einfluß <lb n="pmu_074.012"/> hervor, den die besondere Art der Darbietung auf die Ausbildung des <lb n="pmu_074.013"/> Stils gehabt hat. Die Formen der dramatischen Poesie sind nur zu verstehen, <lb n="pmu_074.014"/> wenn man die eigentümlichen Bedingungen der Bühne, des <lb n="pmu_074.015"/> <hi rendition="#g">Theaters</hi> kennt.</p> <lb n="pmu_074.016"/> <p> Schon die äußere Form ist dadurch in so bestimmter Weise festgelegt, <lb n="pmu_074.017"/> wie das bei keiner andern Dichtungsart der Fall ist. Zunächst ist durch die <lb n="pmu_074.018"/> Aufnahmefähigkeit des Publikums ein bestimmtes Höchstmaß, aber auch <lb n="pmu_074.019"/> ein bestimmtes Mindestmaß gegeben, denn niemand geht, um ein kurzes <lb n="pmu_074.020"/> Bruchstück allein zu sehen, ins Theater. Daher konnten sich die ungeheuren <lb n="pmu_074.021"/> Mysterien des Mittelalters auf die Dauer nicht halten, oder wenigstens <lb n="pmu_074.022"/> nur unter so außergewöhnlichen Bedingungen, wie wir sie in Oberammergau <lb n="pmu_074.023"/> finden. Auch die Riesenwerke Richard Wagners sind eigentlich <lb n="pmu_074.024"/> für solche ungewöhnlichen Bedingungen gedacht, und es ist die Frage, <lb n="pmu_074.025"/> ob sie sich in dieser Länge als Repertoirestücke halten werden, wenn der <lb n="pmu_074.026"/> eigentliche Hochdruck der Suggestion abgeflaut ist. Aber auch wenn die <lb n="pmu_074.027"/> Stücke sehr kurz sind, entsprechen sie nicht den Bedingungen der Bühne, <lb n="pmu_074.028"/> und man sieht sich daher gezwungen, sie mit andern zusammenzukuppeln, <lb n="pmu_074.029"/> so daß sie, wie in den Trilogien der Attiker, fast den Charakter von einzelnen <lb n="pmu_074.030"/> Akten erhalten. Jndessen erweist sich dieser Zwang wie so oft als eine <lb n="pmu_074.031"/> Ursache zu allerlei Tugenden, was wir besonders einsehen, wenn wir die <lb n="pmu_074.032"/> uferlosen Gebilde der Lesedramen zum Vergleich heranziehen. Ebenso <lb n="pmu_074.033"/> ist die innere strenge Gliederung des Dramas durch die physische und psychische <lb n="pmu_074.034"/> Aufnahmefähigkeit der Zuschauer bedingt. Dadurch ist der Dichter <lb n="pmu_074.035"/> zu klarer, scharfer Disposition und auch wieder zur Abrundung und Geschlossenheit <lb n="pmu_074.036"/> der einzelnen Teile genötigt. Daher zeichnen sich die Bühnenwerke, <lb n="pmu_074.037"/> besonders im Vergleich zum Roman, meist durch klare und geschlossene <lb n="pmu_074.038"/> Disposition aus.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0084]
pmu_074.001
wenn sie sich bei Königen abspielen, als wenn sie in eine Taglöhnerfamilie pmu_074.002
versetzt sind. So werden die Stimmungen herber, schmerzlicher pmu_074.003
Einsamkeit und bittersüßer Resignation, die C. F. Meyer seinen Hutten pmu_074.004
erleben läßt, für uns bedeutsamer, weil sie sich an diese historisch geadelte pmu_074.005
Persönlichkeit knüpfen. Natürlich wird ein Gedicht durch solche Verkleidungen pmu_074.006
des Jch allein nie gut oder schlecht, aber als sekundärer Faktor pmu_074.007
kommen auch solche Umstände in Betracht. Dazu tritt ferner, daß historische pmu_074.008
Personen und Geschehnisse häufig als Anregung wirken, wie wir das pmu_074.009
oben dargestellt haben, um allerlei eigene Erlebnisse in sie hineinzuprojizieren, pmu_074.010
ja vielleicht sogar sie erst in der Phantasie zu erwecken.
pmu_074.011
11. Am deutlichsten tritt bei der dramatischen Dichtung der Einfluß pmu_074.012
hervor, den die besondere Art der Darbietung auf die Ausbildung des pmu_074.013
Stils gehabt hat. Die Formen der dramatischen Poesie sind nur zu verstehen, pmu_074.014
wenn man die eigentümlichen Bedingungen der Bühne, des pmu_074.015
Theaters kennt.
pmu_074.016
Schon die äußere Form ist dadurch in so bestimmter Weise festgelegt, pmu_074.017
wie das bei keiner andern Dichtungsart der Fall ist. Zunächst ist durch die pmu_074.018
Aufnahmefähigkeit des Publikums ein bestimmtes Höchstmaß, aber auch pmu_074.019
ein bestimmtes Mindestmaß gegeben, denn niemand geht, um ein kurzes pmu_074.020
Bruchstück allein zu sehen, ins Theater. Daher konnten sich die ungeheuren pmu_074.021
Mysterien des Mittelalters auf die Dauer nicht halten, oder wenigstens pmu_074.022
nur unter so außergewöhnlichen Bedingungen, wie wir sie in Oberammergau pmu_074.023
finden. Auch die Riesenwerke Richard Wagners sind eigentlich pmu_074.024
für solche ungewöhnlichen Bedingungen gedacht, und es ist die Frage, pmu_074.025
ob sie sich in dieser Länge als Repertoirestücke halten werden, wenn der pmu_074.026
eigentliche Hochdruck der Suggestion abgeflaut ist. Aber auch wenn die pmu_074.027
Stücke sehr kurz sind, entsprechen sie nicht den Bedingungen der Bühne, pmu_074.028
und man sieht sich daher gezwungen, sie mit andern zusammenzukuppeln, pmu_074.029
so daß sie, wie in den Trilogien der Attiker, fast den Charakter von einzelnen pmu_074.030
Akten erhalten. Jndessen erweist sich dieser Zwang wie so oft als eine pmu_074.031
Ursache zu allerlei Tugenden, was wir besonders einsehen, wenn wir die pmu_074.032
uferlosen Gebilde der Lesedramen zum Vergleich heranziehen. Ebenso pmu_074.033
ist die innere strenge Gliederung des Dramas durch die physische und psychische pmu_074.034
Aufnahmefähigkeit der Zuschauer bedingt. Dadurch ist der Dichter pmu_074.035
zu klarer, scharfer Disposition und auch wieder zur Abrundung und Geschlossenheit pmu_074.036
der einzelnen Teile genötigt. Daher zeichnen sich die Bühnenwerke, pmu_074.037
besonders im Vergleich zum Roman, meist durch klare und geschlossene pmu_074.038
Disposition aus.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |