Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_034.001 Jndessen lassen sich bekanntlich alle unsre Gefühle nicht so bequem in pmu_034.010 13. Freilich ist durch den bisher besprochenen Gegensatz Pessimismus- pmu_034.032 pmu_034.001 Jndessen lassen sich bekanntlich alle unsre Gefühle nicht so bequem in pmu_034.010 13. Freilich ist durch den bisher besprochenen Gegensatz Pessimismus- pmu_034.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044" n="34"/><lb n="pmu_034.001"/> Konstitution und unter ungünstigen Lebensverhältnissen erblüht, während <lb n="pmu_034.002"/> Pessimismus sich häufig gerade in günstigen äußeren Fällen aus <lb n="pmu_034.003"/> Überdruß und Langeweile entwickelt. Man könnte solche Lebensstimmungen <lb n="pmu_034.004"/> als <hi rendition="#g">reaktiven</hi> oder <hi rendition="#g">Ausgleichsoptimismus,</hi> bzw. -Pessimismus <lb n="pmu_034.005"/> ansehen. So ist z. B. der Optimismus des Nietzscheschen Zarathustra <lb n="pmu_034.006"/> aus der Reaktion gegen den Schmerz entstanden, ebenso wie man <lb n="pmu_034.007"/> bei Schopenhauer die reaktive Natur des Pessimismus hat nachweisen <lb n="pmu_034.008"/> können.</p> <lb n="pmu_034.009"/> <p> Jndessen lassen sich bekanntlich alle unsre Gefühle nicht so bequem in <lb n="pmu_034.010"/> diese beiden Gruppen von Lust- und Unlustgefühlen sondern, wie sogar <lb n="pmu_034.011"/> manche Lehrbücher der Psychologie verfahren. Wir müssen unbedingt <lb n="pmu_034.012"/> die Existenz von <hi rendition="#g">Misch</hi>gefühlen anerkennen, wo Lust und Unlust zu einem <lb n="pmu_034.013"/> solchen Ganzen verschmolzen sind, daß ein ganz neues Gefühlsphänomen <lb n="pmu_034.014"/> entsteht. Wir werden im folgenden Kapitel ausführlich Gelegenheit nehmen, <lb n="pmu_034.015"/> diese Mischgefühle und ihre Bedeutung für die Poesie zu betrachten. <lb n="pmu_034.016"/> Und wir werden dann sehen, wie gerade aus der Unlust Lustgefühle <lb n="pmu_034.017"/> von höchstem Raffinement erwachsen können. Wir würden dem Typus <lb n="pmu_034.018"/> solcher Dichter diejenigen vor allem zuzurechnen haben, die in ihren <lb n="pmu_034.019"/> Schmerzen schwelgen und eine höchste Wollust gerade aus ihren Leiden <lb n="pmu_034.020"/> saugen, was sich allerdings oft noch mit erotischen und religiösen Gefühlen <lb n="pmu_034.021"/> verknüpfen kann. Daß dieses Wühlen in den eigenen Schmerzen auch <lb n="pmu_034.022"/> oft zu äußerlichem Kokettieren werden kann, zeigen ebenfalls viele der <lb n="pmu_034.023"/> hierher gehörenden Dichter, wie Byron, Heine und manche andre. Überhaupt <lb n="pmu_034.024"/> kann man sagen, was auch später noch zur Sprache kommt, daß, <lb n="pmu_034.025"/> da reine Unlustgefühle der Kunstwirkung entgegen sind, der Pessimismus, <lb n="pmu_034.026"/> wo er in der Kunst auftritt, eigentlich immer ein positives Lustmoment <lb n="pmu_034.027"/> einschließt, das ihn bis zu einem gewissen Grade mildert; der Pessimismus <lb n="pmu_034.028"/> wird dann zur Resignation, zur milden Wehmut oder auch zum Aufbäumen <lb n="pmu_034.029"/> gegen das Schicksal, was besonders in der Tragik sehr starke positive <lb n="pmu_034.030"/> Willenselemente einschließt.</p> <lb n="pmu_034.031"/> </div> <div n="3"> <p> 13. Freilich ist durch den bisher besprochenen Gegensatz Pessimismus- <lb n="pmu_034.032"/> Optimismus die Mannigfaltigkeit des Gefühlslebens nicht erschöpft. Eine <lb n="pmu_034.033"/> weitere Bestimmtheit läßt sich danach gewinnen, ob gewisse <hi rendition="#g">Affekte <lb n="pmu_034.034"/> dominieren,</hi> was bei vielen Jndividuen unverkennbar der Fall ist. So <lb n="pmu_034.035"/> gibt es eine große Anzahl Menschen, deren ganzes Gefühlsleben in gar <lb n="pmu_034.036"/> nicht zu verkennender Weise durch eine immerwährende Neigung zur <lb n="pmu_034.037"/> Angst bestimmt ist, andre wieder werden in unwiderstehlicher Weise in <lb n="pmu_034.038"/> all ihren Taten und Gedanken durch Affekte, wie ihren Stolz, die sexuelle </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0044]
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Konstitution und unter ungünstigen Lebensverhältnissen erblüht, während pmu_034.002
Pessimismus sich häufig gerade in günstigen äußeren Fällen aus pmu_034.003
Überdruß und Langeweile entwickelt. Man könnte solche Lebensstimmungen pmu_034.004
als reaktiven oder Ausgleichsoptimismus, bzw. -Pessimismus pmu_034.005
ansehen. So ist z. B. der Optimismus des Nietzscheschen Zarathustra pmu_034.006
aus der Reaktion gegen den Schmerz entstanden, ebenso wie man pmu_034.007
bei Schopenhauer die reaktive Natur des Pessimismus hat nachweisen pmu_034.008
können.
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Jndessen lassen sich bekanntlich alle unsre Gefühle nicht so bequem in pmu_034.010
diese beiden Gruppen von Lust- und Unlustgefühlen sondern, wie sogar pmu_034.011
manche Lehrbücher der Psychologie verfahren. Wir müssen unbedingt pmu_034.012
die Existenz von Mischgefühlen anerkennen, wo Lust und Unlust zu einem pmu_034.013
solchen Ganzen verschmolzen sind, daß ein ganz neues Gefühlsphänomen pmu_034.014
entsteht. Wir werden im folgenden Kapitel ausführlich Gelegenheit nehmen, pmu_034.015
diese Mischgefühle und ihre Bedeutung für die Poesie zu betrachten. pmu_034.016
Und wir werden dann sehen, wie gerade aus der Unlust Lustgefühle pmu_034.017
von höchstem Raffinement erwachsen können. Wir würden dem Typus pmu_034.018
solcher Dichter diejenigen vor allem zuzurechnen haben, die in ihren pmu_034.019
Schmerzen schwelgen und eine höchste Wollust gerade aus ihren Leiden pmu_034.020
saugen, was sich allerdings oft noch mit erotischen und religiösen Gefühlen pmu_034.021
verknüpfen kann. Daß dieses Wühlen in den eigenen Schmerzen auch pmu_034.022
oft zu äußerlichem Kokettieren werden kann, zeigen ebenfalls viele der pmu_034.023
hierher gehörenden Dichter, wie Byron, Heine und manche andre. Überhaupt pmu_034.024
kann man sagen, was auch später noch zur Sprache kommt, daß, pmu_034.025
da reine Unlustgefühle der Kunstwirkung entgegen sind, der Pessimismus, pmu_034.026
wo er in der Kunst auftritt, eigentlich immer ein positives Lustmoment pmu_034.027
einschließt, das ihn bis zu einem gewissen Grade mildert; der Pessimismus pmu_034.028
wird dann zur Resignation, zur milden Wehmut oder auch zum Aufbäumen pmu_034.029
gegen das Schicksal, was besonders in der Tragik sehr starke positive pmu_034.030
Willenselemente einschließt.
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13. Freilich ist durch den bisher besprochenen Gegensatz Pessimismus- pmu_034.032
Optimismus die Mannigfaltigkeit des Gefühlslebens nicht erschöpft. Eine pmu_034.033
weitere Bestimmtheit läßt sich danach gewinnen, ob gewisse Affekte pmu_034.034
dominieren, was bei vielen Jndividuen unverkennbar der Fall ist. So pmu_034.035
gibt es eine große Anzahl Menschen, deren ganzes Gefühlsleben in gar pmu_034.036
nicht zu verkennender Weise durch eine immerwährende Neigung zur pmu_034.037
Angst bestimmt ist, andre wieder werden in unwiderstehlicher Weise in pmu_034.038
all ihren Taten und Gedanken durch Affekte, wie ihren Stolz, die sexuelle
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