Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_098.001 Darum braucht die Feststellung und Untersuchung gewisser übersubjektiver pmu_098.005 4. Und noch ein letztes Bedenken gilt es zu heben. Wird durch die Erkenntnis, pmu_098.016 Es hieße uns völlig mißverstehen, wollte man das aus unsern Untersuchungen pmu_098.021 Druck von B. G. Teubner in Dresden. pmu_098.001 Darum braucht die Feststellung und Untersuchung gewisser übersubjektiver pmu_098.005 4. Und noch ein letztes Bedenken gilt es zu heben. Wird durch die Erkenntnis, pmu_098.016 Es hieße uns völlig mißverstehen, wollte man das aus unsern Untersuchungen pmu_098.021 Druck von B. G. Teubner in Dresden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0108" n="98"/><lb n="pmu_098.001"/> daß sie gerade unsern innersten subjektivsten Bedürfnissen gerecht wird. <lb n="pmu_098.002"/> Ein echtes, lebendiges Kunsterleben wird und muß immer bis zu einem <lb n="pmu_098.003"/> gewissen Grade subjektiv sein.</p> <lb n="pmu_098.004"/> <p> Darum braucht die Feststellung und Untersuchung gewisser übersubjektiver <lb n="pmu_098.005"/> Werte nicht überflüssig zu sein. Jndem wir nämlich Werke wie <lb n="pmu_098.006"/> Odyssee oder Faust als übersubjektive Werte bezeichnen, wollen wir damit <lb n="pmu_098.007"/> nur sagen: diese Werke haben langen Generationen und weiten Völkern <lb n="pmu_098.008"/> tiefstes ästhetisches Erleben vermittelt, sind von den besten und klügsten <lb n="pmu_098.009"/> Köpfen geschätzt worden und bieten also damit eine ansehnliche Gewähr <lb n="pmu_098.010"/> für weitere ästhetische Wirksamkeit. Ein Werk wie den Faust empfehlen <lb n="pmu_098.011"/> heißt darum nicht etwa ihn als Normalkunstwerk hinstellen, sondern heißt <lb n="pmu_098.012"/> nur: hier liegt ein Werk vor, das so reich und weit ist, daß es unzähligen Subjekten <lb n="pmu_098.013"/> schon zum Genuß und Gewinn geworden ist und daß es darum auch <lb n="pmu_098.014"/> die Anwartschaft bietet, immer neuen Subjekten zum Gewinn zu werden.</p> <lb n="pmu_098.015"/> </div> <div n="3"> <p> 4. Und noch ein letztes Bedenken gilt es zu heben. Wird durch die Erkenntnis, <lb n="pmu_098.016"/> daß alles ästhetische Erleben im letzten Grade subjektiv ist, nicht <lb n="pmu_098.017"/> einem bequemen Eudämonismus Vorschub geleistet? Heißt das nicht allen <lb n="pmu_098.018"/> Trivialitäten Bürgerrecht geben im Reiche der Kunst? Heißt das nicht <lb n="pmu_098.019"/> jede Erziehung zu immer tieferem Eindringen für unmöglich erklären?</p> <lb n="pmu_098.020"/> <p> Es hieße uns völlig mißverstehen, wollte man das aus unsern Untersuchungen <lb n="pmu_098.021"/> ableiten. Gerade indem wir zeigen, welche Werke und Stilformen <lb n="pmu_098.022"/> am längsten und dauerndsten gewirkt haben, wollen wir hinweisen <lb n="pmu_098.023"/> auf die Möglichkeit zu immer edlerem und dauernderem Genießen. <lb n="pmu_098.024"/> Das aber kann nicht geschehen, indem man irgendwelche kategorischen Normen <lb n="pmu_098.025"/> aufstellt, sondern nur so, daß man durch Erziehung des Subjektes <lb n="pmu_098.026"/> es vorbereitet für jene dauernderen und tieferen Freuden, die uns jene <lb n="pmu_098.027"/> weitgefeierten Werke versprechen. Eine wirkliche Erziehung zur Kunst geschieht <lb n="pmu_098.028"/> nicht dadurch, daß man Hausknechte und Dienstmädchen in den <lb n="pmu_098.029"/> Tasso oder den Faust schickt, eine wirkliche Erziehung zur Kunst kann sich <lb n="pmu_098.030"/> nur auf eine eindringliche psychologische Kenntnis ästhetischer Wirksamkeit <lb n="pmu_098.031"/> und ihrer seelischen Bedingtheiten aufbauen. Nur indem man durch <lb n="pmu_098.032"/> psychologische Kenntnisse geleitet die Fähigkeit, Dichtungen zu genießen, <lb n="pmu_098.033"/> läutert und stufenweise das Subjekt vorbereitet zu höheren Werten, kann <lb n="pmu_098.034"/> eine Erziehung zur Kunst stattfinden. Das Ziel der psychologischen Ästhetik <lb n="pmu_098.035"/> ist es, Handhaben zu geben zur adäquaten Erfassung des vom Künstler <lb n="pmu_098.036"/> angestrebten Werkes. Ein wenig beizutragen aber zur Erkenntnis poetischer <lb n="pmu_098.037"/> Wirkungsmöglichkeiten, das war der Ehrgeiz dieses bescheidenen <lb n="pmu_098.038"/> Werkchens.</p> <lb n="pmu_098.039"/> <p> <hi rendition="#c">Druck von B. G. Teubner in Dresden.</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [98/0108]
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daß sie gerade unsern innersten subjektivsten Bedürfnissen gerecht wird. pmu_098.002
Ein echtes, lebendiges Kunsterleben wird und muß immer bis zu einem pmu_098.003
gewissen Grade subjektiv sein.
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Darum braucht die Feststellung und Untersuchung gewisser übersubjektiver pmu_098.005
Werte nicht überflüssig zu sein. Jndem wir nämlich Werke wie pmu_098.006
Odyssee oder Faust als übersubjektive Werte bezeichnen, wollen wir damit pmu_098.007
nur sagen: diese Werke haben langen Generationen und weiten Völkern pmu_098.008
tiefstes ästhetisches Erleben vermittelt, sind von den besten und klügsten pmu_098.009
Köpfen geschätzt worden und bieten also damit eine ansehnliche Gewähr pmu_098.010
für weitere ästhetische Wirksamkeit. Ein Werk wie den Faust empfehlen pmu_098.011
heißt darum nicht etwa ihn als Normalkunstwerk hinstellen, sondern heißt pmu_098.012
nur: hier liegt ein Werk vor, das so reich und weit ist, daß es unzähligen Subjekten pmu_098.013
schon zum Genuß und Gewinn geworden ist und daß es darum auch pmu_098.014
die Anwartschaft bietet, immer neuen Subjekten zum Gewinn zu werden.
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4. Und noch ein letztes Bedenken gilt es zu heben. Wird durch die Erkenntnis, pmu_098.016
daß alles ästhetische Erleben im letzten Grade subjektiv ist, nicht pmu_098.017
einem bequemen Eudämonismus Vorschub geleistet? Heißt das nicht allen pmu_098.018
Trivialitäten Bürgerrecht geben im Reiche der Kunst? Heißt das nicht pmu_098.019
jede Erziehung zu immer tieferem Eindringen für unmöglich erklären?
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Es hieße uns völlig mißverstehen, wollte man das aus unsern Untersuchungen pmu_098.021
ableiten. Gerade indem wir zeigen, welche Werke und Stilformen pmu_098.022
am längsten und dauerndsten gewirkt haben, wollen wir hinweisen pmu_098.023
auf die Möglichkeit zu immer edlerem und dauernderem Genießen. pmu_098.024
Das aber kann nicht geschehen, indem man irgendwelche kategorischen Normen pmu_098.025
aufstellt, sondern nur so, daß man durch Erziehung des Subjektes pmu_098.026
es vorbereitet für jene dauernderen und tieferen Freuden, die uns jene pmu_098.027
weitgefeierten Werke versprechen. Eine wirkliche Erziehung zur Kunst geschieht pmu_098.028
nicht dadurch, daß man Hausknechte und Dienstmädchen in den pmu_098.029
Tasso oder den Faust schickt, eine wirkliche Erziehung zur Kunst kann sich pmu_098.030
nur auf eine eindringliche psychologische Kenntnis ästhetischer Wirksamkeit pmu_098.031
und ihrer seelischen Bedingtheiten aufbauen. Nur indem man durch pmu_098.032
psychologische Kenntnisse geleitet die Fähigkeit, Dichtungen zu genießen, pmu_098.033
läutert und stufenweise das Subjekt vorbereitet zu höheren Werten, kann pmu_098.034
eine Erziehung zur Kunst stattfinden. Das Ziel der psychologischen Ästhetik pmu_098.035
ist es, Handhaben zu geben zur adäquaten Erfassung des vom Künstler pmu_098.036
angestrebten Werkes. Ein wenig beizutragen aber zur Erkenntnis poetischer pmu_098.037
Wirkungsmöglichkeiten, das war der Ehrgeiz dieses bescheidenen pmu_098.038
Werkchens.
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