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Müller, Johann Bernhard: Leben und Gewohnheiten Der Ostiacken. Berlin, 1726.

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von Erschaffung der Welt gedauert, wäre zu
schliessen/ daß das Wasser im freto längst hö-
her als das in Obi wäre geworden/ und also
aus dem freto wieder in den Obi nunmehro zu-
rück gehen müssen. Hiervon wissen diese Leute
raison zu geben/ gleichwohl gestehen sie, daß der
Wind das auf den Bergen liegende Eyß er-
schüttere/ und das in dem freto sich befindende
öffters eine Borste und Grube gewinne. Dieß
ist meines Erachtens ein Zeichen/ daß das
Wasser im freto, oder so genandten Eyß-Meere
einen nahen Abfluß aber/ und entweder bey oder
ohnweit denselben ein Schlund seyn müsse/ der
das Wasser zu sich schlinge, wie man dann in
dem grossen Welt-Meere/ sowohl als anderen
Seen dergleichen Strudel überall findet.
Wenn nun das Eyß sich oben häufft/ so schmel-
tzet das untere auf eine unempfindliche Art im-
mer weg. Welches man damit probiret/
wenn man ein Stück Eyß an einem Faden im
Wasser herunter läst/ so zerschmeltzet es/ und
einen erfrornen Fisch thauet man mit kaltem
Wasser wieder auf/ denn so wenig der Frost
wegen dem unterirrdischen Feuer in der Erde
tieff hinein dringen kan/ so wenig kan auch das
Eyß sich oben so häuffen, daß eben dieß Feuer sel-
biges unten nicht fliessend machen solle. Wenn
nun das Wasser unten abfliest/ und das Eyß sei-
ne Haltung verliehret/ bauet es sich wieder auf
der surface des gefallenen Wassers, und ver-
ursachet durch dieß Sincken und unterm Weg-

schmel-

von Erſchaffung der Welt gedauert, waͤre zu
ſchlieſſen/ daß das Waſſer im freto laͤngſt hoͤ-
her als das in Obi waͤre geworden/ und alſo
aus dem freto wieder in den Obi nunmehro zu-
ruͤck gehen muͤſſen. Hiervon wiſſen dieſe Leute
raiſon zu geben/ gleichwohl geſtehen ſie, daß der
Wind das auf den Bergen liegende Eyß er-
ſchuͤttere/ und das in dem freto ſich befindende
oͤffters eine Borſte und Grube gewinne. Dieß
iſt meines Erachtens ein Zeichen/ daß das
Waſſer im freto, oder ſo genandten Eyß-Meere
einen nahen Abfluß aber/ und entweder bey oder
ohnweit denſelben ein Schlund ſeyn muͤſſe/ der
das Waſſer zu ſich ſchlinge, wie man dann in
dem groſſen Welt-Meere/ ſowohl als anderen
Seen dergleichen Strudel uͤberall findet.
Wenn nun das Eyß ſich oben haͤufft/ ſo ſchmel-
tzet das untere auf eine unempfindliche Art im-
mer weg. Welches man damit probiret/
wenn man ein Stuͤck Eyß an einem Faden im
Waſſer herunter laͤſt/ ſo zerſchmeltzet es/ und
einen erfrornen Fiſch thauet man mit kaltem
Waſſer wieder auf/ denn ſo wenig der Froſt
wegen dem unterirrdiſchen Feuer in der Erde
tieff hinein dringen kan/ ſo wenig kan auch das
Eyß ſich oben ſo haͤuffen, daß eben dieß Feuer ſel-
biges unten nicht flieſſend machen ſolle. Wenn
nun das Waſſer unten abflieſt/ und das Eyß ſei-
ne Haltung verliehret/ bauet es ſich wieder auf
der ſurface des gefallenen Waſſers, und ver-
urſachet durch dieß Sincken und unterm Weg-

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[18/0034] von Erſchaffung der Welt gedauert, waͤre zu ſchlieſſen/ daß das Waſſer im freto laͤngſt hoͤ- her als das in Obi waͤre geworden/ und alſo aus dem freto wieder in den Obi nunmehro zu- ruͤck gehen muͤſſen. Hiervon wiſſen dieſe Leute raiſon zu geben/ gleichwohl geſtehen ſie, daß der Wind das auf den Bergen liegende Eyß er- ſchuͤttere/ und das in dem freto ſich befindende oͤffters eine Borſte und Grube gewinne. Dieß iſt meines Erachtens ein Zeichen/ daß das Waſſer im freto, oder ſo genandten Eyß-Meere einen nahen Abfluß aber/ und entweder bey oder ohnweit denſelben ein Schlund ſeyn muͤſſe/ der das Waſſer zu ſich ſchlinge, wie man dann in dem groſſen Welt-Meere/ ſowohl als anderen Seen dergleichen Strudel uͤberall findet. Wenn nun das Eyß ſich oben haͤufft/ ſo ſchmel- tzet das untere auf eine unempfindliche Art im- mer weg. Welches man damit probiret/ wenn man ein Stuͤck Eyß an einem Faden im Waſſer herunter laͤſt/ ſo zerſchmeltzet es/ und einen erfrornen Fiſch thauet man mit kaltem Waſſer wieder auf/ denn ſo wenig der Froſt wegen dem unterirrdiſchen Feuer in der Erde tieff hinein dringen kan/ ſo wenig kan auch das Eyß ſich oben ſo haͤuffen, daß eben dieß Feuer ſel- biges unten nicht flieſſend machen ſolle. Wenn nun das Waſſer unten abflieſt/ und das Eyß ſei- ne Haltung verliehret/ bauet es ſich wieder auf der ſurface des gefallenen Waſſers, und ver- urſachet durch dieß Sincken und unterm Weg- ſchmel-

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Zitationshilfe: Müller, Johann Bernhard: Leben und Gewohnheiten Der Ostiacken. Berlin, 1726, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_ostiacken_1726/34>, abgerufen am 24.11.2024.