Büste im Musee Napoleon T. iv, 70., u. in den Kupfern zu Winck. iv. T. 4., D. Otokataxis, otothladias.
1330. Auch das Haar ist in der Griechischen Kunst charakteristisch und bedeutungsvoll. Denn wenn ein vol- les langgelocktes Haar in Griechenland (seit den Zeiten der "hauptumlockten Achäer") das gewöhnliche war: so herrschte dagegen bei gymnastischen Epheben und Athle- ten die Sitte es kurzabgeschnitten zu tragen, und ein anliegendes, wenig gekraustes Lockenhaar bezeichnet in 2der Kunst Figuren dieser Art. Bei sehr männlichen und kraftvollen Gestalten nimmt dies kurze Lockenhaar eine 3straffere und krausere Gestalt an; dagegen ein sich mehr ausdehnendes, in langen Bogenlinien an Wange und Nacken herabringelndes Haar als Zeichen eines wei- 4cheren und zarteren Charakters galt. Ein erhabnes und stolzes Selbstgefühl scheint bei den Griechen zum Merk- mal einen Haarwuchs zu haben, der sich von dem Mit- tel der Stirn gleichsam emporbäumt, und in mächtigen 5Bogen und Wellen nach beiden Seiten herabfällt. Die besondre Haartracht einzelner Götter und Heroen, welche im Ganzen sehr einfach ist, wird mitunter durch das Costüm verschiedener Völkerschaften, Alter und Stände bestimmt; immer aber ist in ächtgriechischer Zeit das Haar, wenn auch mit Sorgfalt und Zierlichkeit, doch 6auf eine einfach gefällige Weise geordnet. Das Ab- scheeren des Bartes, das erst zu Alexanders Zeit auf- kam und auch da vielen Widerspruch fand, unterscheidet 7sehr bestimmt spätere Bildnisse von früheren. Die künstlerische Behandlung des Haars, welche in der Sculptur immer etwas Conventionelles hat, geht früher von dem allgemeinen Bemühen nach Regelmäßigkeit und Zierlich- keit, später von dem Streben aus, durch scharfe Abson- derung der Massen ähnliche Lichtwirkungen, wie am wirk- lichen Haare, hervorzubringen.
1. Vgl. unten über die Haare von Hermes und Herakles. Das kurze Ephebenhaar hat darin seinen natürlichen Grund,
Syſtematiſcher Theil.
Büſte im Musée Napoléon T. iv, 70., u. in den Kupfern zu Winck. iv. T. 4., D. Ὠτοκάταξις, ὠτοϑλαδίας.
1330. Auch das Haar iſt in der Griechiſchen Kunſt charakteriſtiſch und bedeutungsvoll. Denn wenn ein vol- les langgelocktes Haar in Griechenland (ſeit den Zeiten der „hauptumlockten Achaͤer“) das gewoͤhnliche war: ſo herrſchte dagegen bei gymnaſtiſchen Epheben und Athle- ten die Sitte es kurzabgeſchnitten zu tragen, und ein anliegendes, wenig gekraustes Lockenhaar bezeichnet in 2der Kunſt Figuren dieſer Art. Bei ſehr maͤnnlichen und kraftvollen Geſtalten nimmt dies kurze Lockenhaar eine 3ſtraffere und krauſere Geſtalt an; dagegen ein ſich mehr ausdehnendes, in langen Bogenlinien an Wange und Nacken herabringelndes Haar als Zeichen eines wei- 4cheren und zarteren Charakters galt. Ein erhabnes und ſtolzes Selbſtgefuͤhl ſcheint bei den Griechen zum Merk- mal einen Haarwuchs zu haben, der ſich von dem Mit- tel der Stirn gleichſam emporbaͤumt, und in maͤchtigen 5Bogen und Wellen nach beiden Seiten herabfaͤllt. Die beſondre Haartracht einzelner Goͤtter und Heroen, welche im Ganzen ſehr einfach iſt, wird mitunter durch das Coſtuͤm verſchiedener Voͤlkerſchaften, Alter und Staͤnde beſtimmt; immer aber iſt in aͤchtgriechiſcher Zeit das Haar, wenn auch mit Sorgfalt und Zierlichkeit, doch 6auf eine einfach gefaͤllige Weiſe geordnet. Das Ab- ſcheeren des Bartes, das erſt zu Alexanders Zeit auf- kam und auch da vielen Widerſpruch fand, unterſcheidet 7ſehr beſtimmt ſpaͤtere Bildniſſe von fruͤheren. Die kuͤnſtleriſche Behandlung des Haars, welche in der Sculptur immer etwas Conventionelles hat, geht fruͤher von dem allgemeinen Bemuͤhen nach Regelmaͤßigkeit und Zierlich- keit, ſpaͤter von dem Streben aus, durch ſcharfe Abſon- derung der Maſſen aͤhnliche Lichtwirkungen, wie am wirk- lichen Haare, hervorzubringen.
1. Vgl. unten über die Haare von Hermes und Herakles. Das kurze Ephebenhaar hat darin ſeinen natürlichen Grund,
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Syſtematiſcher Theil.
Büſte im Musée Napoléon T. iv, 70., u. in den Kupfern zu
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330. Auch das Haar iſt in der Griechiſchen Kunſt
charakteriſtiſch und bedeutungsvoll. Denn wenn ein vol-
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der „hauptumlockten Achaͤer“) das gewoͤhnliche war:
ſo herrſchte dagegen bei gymnaſtiſchen Epheben und Athle-
ten die Sitte es kurzabgeſchnitten zu tragen, und ein
anliegendes, wenig gekraustes Lockenhaar bezeichnet in
der Kunſt Figuren dieſer Art. Bei ſehr maͤnnlichen und
kraftvollen Geſtalten nimmt dies kurze Lockenhaar eine
ſtraffere und krauſere Geſtalt an; dagegen ein ſich
mehr ausdehnendes, in langen Bogenlinien an Wange
und Nacken herabringelndes Haar als Zeichen eines wei-
cheren und zarteren Charakters galt. Ein erhabnes und
ſtolzes Selbſtgefuͤhl ſcheint bei den Griechen zum Merk-
mal einen Haarwuchs zu haben, der ſich von dem Mit-
tel der Stirn gleichſam emporbaͤumt, und in maͤchtigen
Bogen und Wellen nach beiden Seiten herabfaͤllt. Die
beſondre Haartracht einzelner Goͤtter und Heroen, welche
im Ganzen ſehr einfach iſt, wird mitunter durch das
Coſtuͤm verſchiedener Voͤlkerſchaften, Alter und Staͤnde
beſtimmt; immer aber iſt in aͤchtgriechiſcher Zeit das
Haar, wenn auch mit Sorgfalt und Zierlichkeit, doch
auf eine einfach gefaͤllige Weiſe geordnet. Das Ab-
ſcheeren des Bartes, das erſt zu Alexanders Zeit auf-
kam und auch da vielen Widerſpruch fand, unterſcheidet
ſehr beſtimmt ſpaͤtere Bildniſſe von fruͤheren. Die
kuͤnſtleriſche Behandlung des Haars, welche in der Sculptur
immer etwas Conventionelles hat, geht fruͤher von dem
allgemeinen Bemuͤhen nach Regelmaͤßigkeit und Zierlich-
keit, ſpaͤter von dem Streben aus, durch ſcharfe Abſon-
derung der Maſſen aͤhnliche Lichtwirkungen, wie am wirk-
lichen Haare, hervorzubringen.
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Das kurze Ephebenhaar hat darin ſeinen natürlichen Grund,
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/430>, abgerufen am 22.11.2024.
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