Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite
Historischer Theil.

1250. In den Sculpturen Indiens, den Haut- und
Basreliefs, welche die Wände dieser Felsentempel schmücken,
und außer den Wesen des Cultus auch Scenen aus den
großen Indischen Epopöen darstellen, vermißt man eben-
falls durchgängig dieses feste System, welches eine aus
eignen Wurzeln erwachsne durch lange Generationen hin-
2durch gepflegte Kunst überall charakterisirt. Eben deswe-
gen stehen die Indischen Bildwerke den Aegyptischen zwar
an Natürlichkeit der Bildungen, Mannigfaltigkeit der
Stellungen und Bewegungen voran; aber es mangelt
auch völlig die Strenge der Zeichnung und das Gesetz-
mäßige in der Anordnung der Figuren. Auch wirken bei
der Sculptur wie bei der Architektur die Bedingungen
des Platzes und Materials auf eine sehr hinderliche Weise
3ein. Von charakteristischen Unterschieden der Körperbil-
dung scheint noch nicht viel nachgewiesen zu sein; auch
hier geben Attribute, Kleidung, Färbung, monstrose Zu-
4sätze, die Handlung selbst, die Bedeutung an. Indeß er-
scheint in der Häufung der Attribute, der Combination
vielgliedriger Gestalten, der Verschränkung der Stellun-
gen und dem Streben nach Schmuck die altindische Kunst
der Tempelgrotten im Ganzen noch sehr mäßig und ge-
nügsam gegen die Monstrosität vieler neuindischen Götzen-
bilder und Mahlereien.

1. Epische Scenen z. B. der Kampf von Rama und Ravuna,
aus dem Ramajana, in Ellora. Ardschuna, der von Shiwa
und den Welthütern die himmlischen Waffen erhält, in Mavalipu-
ram. Vishnu als Crishna unter den Gopi's ebenda. Beides
aus dem Mahabarata.

4. Nur daß die Bilder der Buddhisten und der Jainas absicht-
lich einfach gehalten werden. Die letztern sind aus schwarzem blank-
polirtem Stein, kraushaarig, mit einer Art von Negergesicht.

Indische Idole in East-India Company-House zu Lon-
don; Javanische Steinbilder in Leyden, von Reuvens beschrieben.

Litteratur. Niebuhrs Reise ii. S. 31 ff. Tf. 5 ff. Will.
Hodges Select Views of Antiq. in India. N. 1--12.

Hiſtoriſcher Theil.

1250. In den Sculpturen Indiens, den Haut- und
Basreliefs, welche die Waͤnde dieſer Felſentempel ſchmuͤcken,
und außer den Weſen des Cultus auch Scenen aus den
großen Indiſchen Epopoͤen darſtellen, vermißt man eben-
falls durchgaͤngig dieſes feſte Syſtem, welches eine aus
eignen Wurzeln erwachsne durch lange Generationen hin-
2durch gepflegte Kunſt uͤberall charakteriſirt. Eben deswe-
gen ſtehen die Indiſchen Bildwerke den Aegyptiſchen zwar
an Natuͤrlichkeit der Bildungen, Mannigfaltigkeit der
Stellungen und Bewegungen voran; aber es mangelt
auch voͤllig die Strenge der Zeichnung und das Geſetz-
maͤßige in der Anordnung der Figuren. Auch wirken bei
der Sculptur wie bei der Architektur die Bedingungen
des Platzes und Materials auf eine ſehr hinderliche Weiſe
3ein. Von charakteriſtiſchen Unterſchieden der Koͤrperbil-
dung ſcheint noch nicht viel nachgewieſen zu ſein; auch
hier geben Attribute, Kleidung, Faͤrbung, monſtroſe Zu-
4ſaͤtze, die Handlung ſelbſt, die Bedeutung an. Indeß er-
ſcheint in der Haͤufung der Attribute, der Combination
vielgliedriger Geſtalten, der Verſchraͤnkung der Stellun-
gen und dem Streben nach Schmuck die altindiſche Kunſt
der Tempelgrotten im Ganzen noch ſehr maͤßig und ge-
nuͤgſam gegen die Monſtroſitaͤt vieler neuindiſchen Goͤtzen-
bilder und Mahlereien.

1. Epiſche Scenen z. B. der Kampf von Rama und Ravuna,
aus dem Ramajana, in Ellora. Ardſchuna, der von Shiwa
und den Welthütern die himmliſchen Waffen erhält, in Mavalipu-
ram. Viſhnu als Crishna unter den Gopi’s ebenda. Beides
aus dem Mahabarata.

4. Nur daß die Bilder der Buddhiſten und der Jainas abſicht-
lich einfach gehalten werden. Die letztern ſind aus ſchwarzem blank-
polirtem Stein, kraushaarig, mit einer Art von Negergeſicht.

Indiſche Idole in East-India Company-House zu Lon-
don; Javaniſche Steinbilder in Leyden, von Reuvens beſchrieben.

Litteratur. Niebuhrs Reiſe ii. S. 31 ff. Tf. 5 ff. Will.
Hodges Select Views of Antiq. in India. N. 1—12.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0300" n="280"/>
            <fw place="top" type="header">Hi&#x017F;tori&#x017F;cher Theil.</fw><lb/>
            <p><note place="left">1</note>250. In den Sculpturen Indiens, den Haut- und<lb/>
Basreliefs, welche die Wa&#x0364;nde die&#x017F;er Fel&#x017F;entempel &#x017F;chmu&#x0364;cken,<lb/>
und außer den We&#x017F;en des Cultus auch Scenen aus den<lb/>
großen Indi&#x017F;chen Epopo&#x0364;en dar&#x017F;tellen, vermißt man eben-<lb/>
falls durchga&#x0364;ngig die&#x017F;es fe&#x017F;te Sy&#x017F;tem, welches eine aus<lb/>
eignen Wurzeln erwachsne durch lange Generationen hin-<lb/><note place="left">2</note>durch gepflegte Kun&#x017F;t u&#x0364;berall charakteri&#x017F;irt. Eben deswe-<lb/>
gen &#x017F;tehen die Indi&#x017F;chen Bildwerke den Aegypti&#x017F;chen zwar<lb/>
an Natu&#x0364;rlichkeit der Bildungen, Mannigfaltigkeit der<lb/>
Stellungen und Bewegungen voran; aber es mangelt<lb/>
auch vo&#x0364;llig die Strenge der Zeichnung und das Ge&#x017F;etz-<lb/>
ma&#x0364;ßige in der Anordnung der Figuren. Auch wirken bei<lb/>
der Sculptur wie bei der Architektur die Bedingungen<lb/>
des Platzes und Materials auf eine &#x017F;ehr hinderliche Wei&#x017F;e<lb/><note place="left">3</note>ein. Von charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Unter&#x017F;chieden der Ko&#x0364;rperbil-<lb/>
dung &#x017F;cheint noch nicht viel nachgewie&#x017F;en zu &#x017F;ein; auch<lb/>
hier geben Attribute, Kleidung, Fa&#x0364;rbung, mon&#x017F;tro&#x017F;e Zu-<lb/><note place="left">4</note>&#x017F;a&#x0364;tze, die Handlung &#x017F;elb&#x017F;t, die Bedeutung an. Indeß er-<lb/>
&#x017F;cheint in der Ha&#x0364;ufung der Attribute, der Combination<lb/>
vielgliedriger Ge&#x017F;talten, der Ver&#x017F;chra&#x0364;nkung der Stellun-<lb/>
gen und dem Streben nach Schmuck die altindi&#x017F;che Kun&#x017F;t<lb/>
der Tempelgrotten im Ganzen noch &#x017F;ehr ma&#x0364;ßig und ge-<lb/>
nu&#x0364;g&#x017F;am gegen die Mon&#x017F;tro&#x017F;ita&#x0364;t vieler neuindi&#x017F;chen Go&#x0364;tzen-<lb/>
bilder und Mahlereien.</p><lb/>
            <p>1. Epi&#x017F;che Scenen z. B. der Kampf von Rama und Ravuna,<lb/>
aus dem Ramajana, in Ellora. Ard&#x017F;chuna, der von Shiwa<lb/>
und den Welthütern die himmli&#x017F;chen Waffen erhält, in Mavalipu-<lb/>
ram. Vi&#x017F;hnu als Crishna unter den Gopi&#x2019;s ebenda. Beides<lb/>
aus dem Mahabarata.</p><lb/>
            <p>4. Nur daß die Bilder der Buddhi&#x017F;ten und der Jainas ab&#x017F;icht-<lb/>
lich einfach gehalten werden. Die letztern &#x017F;ind aus &#x017F;chwarzem blank-<lb/>
polirtem Stein, kraushaarig, mit einer Art von Negerge&#x017F;icht.</p><lb/>
            <p>Indi&#x017F;che Idole in <hi rendition="#aq">East-India Company-House</hi> zu Lon-<lb/>
don; Javani&#x017F;che Steinbilder in Leyden, von Reuvens be&#x017F;chrieben.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Litteratur</hi>. Niebuhrs Rei&#x017F;e <hi rendition="#k"><hi rendition="#aq">ii.</hi></hi> S. 31 ff. Tf. 5 ff. Will.<lb/>
Hodges <hi rendition="#aq">Select Views of Antiq. in India. N.</hi> 1&#x2014;12.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0300] Hiſtoriſcher Theil. 250. In den Sculpturen Indiens, den Haut- und Basreliefs, welche die Waͤnde dieſer Felſentempel ſchmuͤcken, und außer den Weſen des Cultus auch Scenen aus den großen Indiſchen Epopoͤen darſtellen, vermißt man eben- falls durchgaͤngig dieſes feſte Syſtem, welches eine aus eignen Wurzeln erwachsne durch lange Generationen hin- durch gepflegte Kunſt uͤberall charakteriſirt. Eben deswe- gen ſtehen die Indiſchen Bildwerke den Aegyptiſchen zwar an Natuͤrlichkeit der Bildungen, Mannigfaltigkeit der Stellungen und Bewegungen voran; aber es mangelt auch voͤllig die Strenge der Zeichnung und das Geſetz- maͤßige in der Anordnung der Figuren. Auch wirken bei der Sculptur wie bei der Architektur die Bedingungen des Platzes und Materials auf eine ſehr hinderliche Weiſe ein. Von charakteriſtiſchen Unterſchieden der Koͤrperbil- dung ſcheint noch nicht viel nachgewieſen zu ſein; auch hier geben Attribute, Kleidung, Faͤrbung, monſtroſe Zu- ſaͤtze, die Handlung ſelbſt, die Bedeutung an. Indeß er- ſcheint in der Haͤufung der Attribute, der Combination vielgliedriger Geſtalten, der Verſchraͤnkung der Stellun- gen und dem Streben nach Schmuck die altindiſche Kunſt der Tempelgrotten im Ganzen noch ſehr maͤßig und ge- nuͤgſam gegen die Monſtroſitaͤt vieler neuindiſchen Goͤtzen- bilder und Mahlereien. 1 2 3 4 1. Epiſche Scenen z. B. der Kampf von Rama und Ravuna, aus dem Ramajana, in Ellora. Ardſchuna, der von Shiwa und den Welthütern die himmliſchen Waffen erhält, in Mavalipu- ram. Viſhnu als Crishna unter den Gopi’s ebenda. Beides aus dem Mahabarata. 4. Nur daß die Bilder der Buddhiſten und der Jainas abſicht- lich einfach gehalten werden. Die letztern ſind aus ſchwarzem blank- polirtem Stein, kraushaarig, mit einer Art von Negergeſicht. Indiſche Idole in East-India Company-House zu Lon- don; Javaniſche Steinbilder in Leyden, von Reuvens beſchrieben. Litteratur. Niebuhrs Reiſe ii. S. 31 ff. Tf. 5 ff. Will. Hodges Select Views of Antiq. in India. N. 1—12.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/300
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/300>, abgerufen am 24.11.2024.