auf Ableitung des Regens bestimmt worden (daher nir- gends Giebeldächer); nur das Streben nach Schatten und einem kühlen Luftzuge kann man als die climatischen Be- dingungen angeben, mit denen sich priesterliche Grundsätze und das besondere Kunstgefühl der Nation verein- ten, um diesen eigenthümlichen, einfach grandiosen, Ar- chitekturstyl hervorzubringen.
Quatr. de Quincy's und Jos. del Rosso's Werke über die Aegyptische Baukunst sind jetzt wenig mehr zu brauchen. Dage- gen Hirt Gesch. der Baukunst i, S. 1--112.
1220. In der Anlage sind die Tempelgebäude ohne die innre Einheit der Griechischen: vielmehr Aggre- gate, die ins Unendliche vermehrt werden konnten, wie auch die Geschichte, z. B. des Phthas-Tempels in Mem- 2phis bei Herodot, lehrt. Alleen von Widder- oder Sphinx- Colossen, oder auch Colonnaden bilden den Zugang (dromos); bisweilen findet man davor kleine Vortempel beigeordneter Gottheiten (u. a. Tuphonia). Vor der Haupt- masse der Gebäude stehen gern zwei Obelisken als Denk- pfeiler der Weihung. Die Richtung der ganzen Anlage folgt nicht nothwendig derselben graden Linie. Die Haupt- 3gebäude beginnen mit einem Pylon, d. h. pyramidalischen Doppelthürmen oder Flügelgebäuden (Strabons ptera), welche die Thüre einfassen, deren Bestimmung noch sehr dunkel ist (sie konnten als Bollwerk des Eingangs, aber 4auch zu Himmelsbeobachtungen dienen). Dann folgt ge- wöhnlich ein Vorhof von Säulengängen, Nebentempeln, Priesterwohnungen umgeben (propulon oder propu- 5laion, zugleich peristulon). Ein zweiter Pylon (die Zahl kann auch vermehrt werden) führt nun erst in den vordersten und ansehnlichsten Theil des eigentlichen Tempel- gebäudes, eine von Mauern eingeschlossne Säulenhalle, welche nur durch kleine Fenster im Gebälk oder Oeffnun- gen im Dache Licht erhält (der pronaos, ein oikos upo- 6stulos). Hieran schließt sich die Cella des Tempels
Hiſtoriſcher Theil.
auf Ableitung des Regens beſtimmt worden (daher nir- gends Giebeldaͤcher); nur das Streben nach Schatten und einem kuͤhlen Luftzuge kann man als die climatiſchen Be- dingungen angeben, mit denen ſich prieſterliche Grundſaͤtze und das beſondere Kunſtgefuͤhl der Nation verein- ten, um dieſen eigenthuͤmlichen, einfach grandioſen, Ar- chitekturſtyl hervorzubringen.
Quatr. de Quincy’s und Joſ. del Roſſo’s Werke über die Aegyptiſche Baukunſt ſind jetzt wenig mehr zu brauchen. Dage- gen Hirt Geſch. der Baukunſt i, S. 1—112.
1220. In der Anlage ſind die Tempelgebaͤude ohne die innre Einheit der Griechiſchen: vielmehr Aggre- gate, die ins Unendliche vermehrt werden konnten, wie auch die Geſchichte, z. B. des Phthas-Tempels in Mem- 2phis bei Herodot, lehrt. Alleen von Widder- oder Sphinx- Coloſſen, oder auch Colonnaden bilden den Zugang (δρόμος); bisweilen findet man davor kleine Vortempel beigeordneter Gottheiten (u. a. Τυφώνια). Vor der Haupt- maſſe der Gebaͤude ſtehen gern zwei Obelisken als Denk- pfeiler der Weihung. Die Richtung der ganzen Anlage folgt nicht nothwendig derſelben graden Linie. Die Haupt- 3gebaͤude beginnen mit einem Pylon, d. h. pyramidaliſchen Doppelthuͤrmen oder Fluͤgelgebaͤuden (Strabons πτερά), welche die Thuͤre einfaſſen, deren Beſtimmung noch ſehr dunkel iſt (ſie konnten als Bollwerk des Eingangs, aber 4auch zu Himmelsbeobachtungen dienen). Dann folgt ge- woͤhnlich ein Vorhof von Saͤulengaͤngen, Nebentempeln, Prieſterwohnungen umgeben (πρόπυλον oder προπύ- 5λαιον, zugleich περίστυλον). Ein zweiter Pylon (die Zahl kann auch vermehrt werden) fuͤhrt nun erſt in den vorderſten und anſehnlichſten Theil des eigentlichen Tempel- gebaͤudes, eine von Mauern eingeſchloſſne Saͤulenhalle, welche nur durch kleine Fenſter im Gebaͤlk oder Oeffnun- gen im Dache Licht erhaͤlt (der πρόναος, ein οἶκος ὑπο- 6στυλος). Hieran ſchließt ſich die Cella des Tempels
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0250"n="228"/><fwplace="top"type="header">Hiſtoriſcher Theil.</fw><lb/>
auf Ableitung des Regens beſtimmt worden (daher nir-<lb/>
gends Giebeldaͤcher); nur das Streben nach Schatten und<lb/>
einem kuͤhlen Luftzuge kann man als die climatiſchen Be-<lb/>
dingungen angeben, mit denen ſich prieſterliche Grundſaͤtze<lb/>
und das beſondere Kunſtgefuͤhl der Nation verein-<lb/>
ten, um dieſen eigenthuͤmlichen, einfach grandioſen, Ar-<lb/>
chitekturſtyl hervorzubringen.</p><lb/><p>Quatr. de Quincy’s und Joſ. del Roſſo’s Werke über die<lb/>
Aegyptiſche Baukunſt ſind jetzt wenig mehr zu brauchen. Dage-<lb/>
gen Hirt Geſch. der Baukunſt <hirendition="#k"><hirendition="#aq">i,</hi></hi> S. 1—112.</p><lb/><p><noteplace="left">1</note>220. In der <hirendition="#g">Anlage</hi>ſind die <hirendition="#g">Tempelgebaͤude</hi><lb/>
ohne die innre Einheit der Griechiſchen: vielmehr Aggre-<lb/>
gate, die ins Unendliche vermehrt werden konnten, wie<lb/>
auch die Geſchichte, z. B. des Phthas-Tempels in Mem-<lb/><noteplace="left">2</note>phis bei Herodot, lehrt. Alleen von Widder- oder Sphinx-<lb/>
Coloſſen, oder auch Colonnaden bilden den Zugang<lb/>
(δρόμος); bisweilen findet man davor kleine Vortempel<lb/>
beigeordneter Gottheiten (u. a. Τυφώνια). Vor der Haupt-<lb/>
maſſe der Gebaͤude ſtehen gern zwei Obelisken als Denk-<lb/>
pfeiler der Weihung. Die Richtung der ganzen Anlage<lb/>
folgt nicht nothwendig derſelben graden Linie. Die Haupt-<lb/><noteplace="left">3</note>gebaͤude beginnen mit einem Pylon, d. h. pyramidaliſchen<lb/>
Doppelthuͤrmen oder Fluͤgelgebaͤuden (Strabons πτερά),<lb/>
welche die Thuͤre einfaſſen, deren Beſtimmung noch ſehr<lb/>
dunkel iſt (ſie konnten als Bollwerk des Eingangs, aber<lb/><noteplace="left">4</note>auch zu Himmelsbeobachtungen dienen). Dann folgt ge-<lb/>
woͤhnlich ein Vorhof von Saͤulengaͤngen, Nebentempeln,<lb/>
Prieſterwohnungen umgeben (πρόπυλον oder προπύ-<lb/><noteplace="left">5</note>λαιον, zugleich περίστυλον). Ein zweiter Pylon (die<lb/>
Zahl kann auch vermehrt werden) fuͤhrt nun erſt in den<lb/>
vorderſten und anſehnlichſten Theil des eigentlichen Tempel-<lb/>
gebaͤudes, eine von Mauern eingeſchloſſne Saͤulenhalle,<lb/>
welche nur durch kleine Fenſter im Gebaͤlk oder Oeffnun-<lb/>
gen im Dache Licht erhaͤlt (der πρόναος, ein οἶκοςὑπο-<lb/><noteplace="left">6</note>στυλος). Hieran ſchließt ſich die Cella des Tempels<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[228/0250]
Hiſtoriſcher Theil.
auf Ableitung des Regens beſtimmt worden (daher nir-
gends Giebeldaͤcher); nur das Streben nach Schatten und
einem kuͤhlen Luftzuge kann man als die climatiſchen Be-
dingungen angeben, mit denen ſich prieſterliche Grundſaͤtze
und das beſondere Kunſtgefuͤhl der Nation verein-
ten, um dieſen eigenthuͤmlichen, einfach grandioſen, Ar-
chitekturſtyl hervorzubringen.
Quatr. de Quincy’s und Joſ. del Roſſo’s Werke über die
Aegyptiſche Baukunſt ſind jetzt wenig mehr zu brauchen. Dage-
gen Hirt Geſch. der Baukunſt i, S. 1—112.
220. In der Anlage ſind die Tempelgebaͤude
ohne die innre Einheit der Griechiſchen: vielmehr Aggre-
gate, die ins Unendliche vermehrt werden konnten, wie
auch die Geſchichte, z. B. des Phthas-Tempels in Mem-
phis bei Herodot, lehrt. Alleen von Widder- oder Sphinx-
Coloſſen, oder auch Colonnaden bilden den Zugang
(δρόμος); bisweilen findet man davor kleine Vortempel
beigeordneter Gottheiten (u. a. Τυφώνια). Vor der Haupt-
maſſe der Gebaͤude ſtehen gern zwei Obelisken als Denk-
pfeiler der Weihung. Die Richtung der ganzen Anlage
folgt nicht nothwendig derſelben graden Linie. Die Haupt-
gebaͤude beginnen mit einem Pylon, d. h. pyramidaliſchen
Doppelthuͤrmen oder Fluͤgelgebaͤuden (Strabons πτερά),
welche die Thuͤre einfaſſen, deren Beſtimmung noch ſehr
dunkel iſt (ſie konnten als Bollwerk des Eingangs, aber
auch zu Himmelsbeobachtungen dienen). Dann folgt ge-
woͤhnlich ein Vorhof von Saͤulengaͤngen, Nebentempeln,
Prieſterwohnungen umgeben (πρόπυλον oder προπύ-
λαιον, zugleich περίστυλον). Ein zweiter Pylon (die
Zahl kann auch vermehrt werden) fuͤhrt nun erſt in den
vorderſten und anſehnlichſten Theil des eigentlichen Tempel-
gebaͤudes, eine von Mauern eingeſchloſſne Saͤulenhalle,
welche nur durch kleine Fenſter im Gebaͤlk oder Oeffnun-
gen im Dache Licht erhaͤlt (der πρόναος, ein οἶκος ὑπο-
στυλος). Hieran ſchließt ſich die Cella des Tempels
1
2
3
4
5
6
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/250>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.