Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

übrigen innern Verhältnisse der Thessaler liegen hier
nicht in unserem Kreise; sie hatten sich wenig nach ru-
higer Consequenz gebildet, welche der stürmische und
hochfahrende Sinn des Stammes nicht gestattete. In
jeder einzelnen Stadt traten sich ein Thessalisches Volk,
dann eine Anzahl Oligarchischer Geschlechter, endlich
Dynasten, wie die Aleuaden, Skopaden u. s. w. 1 ge-
genüber; die Städte selbst lagen untereinander meist im
Kriege; so war in dieser politischen Verfassung wie in
dem Mangel des Volkscharakters an Beharrlichkeit und
leidenschaftsloser Seelengröße der Hauptgrund gegeben,
daß Thessalien für Hellas so wenig wurde. Die äu-
ßern Mittel, welche Landbesitz und Kriegsmacht an die
Hand geben, waren hier sicher in reicherem Maaße
vorhanden als irgendwo; auch durch Muth zeichnete
sich der Thessaler aus; der alte Ruhm der Gegend
hätte innerlich begründete Ansprüche unterstützt; wie
kam es, daß Thessalien so außerhalb der Griechischen
Geschichte lag, und Sparta so lange ihre Seele war?
Wer mag hierauf anders antworten als: weil die Na-
tionalität des Thessalers eine andere war, und für
Weisheit nur Schlauheit, für besonnenen Heldenmuth
nur stürmische Kampfwuth, für strenge Selbstbeherr-
schung nur wilde Leidenschaft hatte.

7.

Wenn bei den Thessalern wie bei den Doriern
eine strenge Unterthänigkeit durch Eroberungen veran-
laßt war: so wäre es auffallend dieselbe bei den nie
unterjochten Arkadern zu finden 2. Und doch er-

1 Alle drei zusammen bei Arist. Pol. 5, 5, 9. vgl. Thuk. 4,
78. In der Zeit des Alex. von Pherä hatte Thessalien wahrschein-
lich demagogische Tyrannen, die daher den Aleuaden feindlich.
Diod. 16, 1.
2 Denn wenn Arist. bei Schol. Aristoph. Wol-
ken 397, von einer uralten Vertreibung der Barbaren aus Arka-
dien redet: so geschieht dies blos, um den Namen Proselenoi zu
erklären.

uͤbrigen innern Verhaͤltniſſe der Theſſaler liegen hier
nicht in unſerem Kreiſe; ſie hatten ſich wenig nach ru-
higer Conſequenz gebildet, welche der ſtuͤrmiſche und
hochfahrende Sinn des Stammes nicht geſtattete. In
jeder einzelnen Stadt traten ſich ein Theſſaliſches Volk,
dann eine Anzahl Oligarchiſcher Geſchlechter, endlich
Dynaſten, wie die Aleuaden, Skopaden u. ſ. w. 1 ge-
genuͤber; die Staͤdte ſelbſt lagen untereinander meiſt im
Kriege; ſo war in dieſer politiſchen Verfaſſung wie in
dem Mangel des Volkscharakters an Beharrlichkeit und
leidenſchaftsloſer Seelengroͤße der Hauptgrund gegeben,
daß Theſſalien fuͤr Hellas ſo wenig wurde. Die aͤu-
ßern Mittel, welche Landbeſitz und Kriegsmacht an die
Hand geben, waren hier ſicher in reicherem Maaße
vorhanden als irgendwo; auch durch Muth zeichnete
ſich der Theſſaler aus; der alte Ruhm der Gegend
haͤtte innerlich begruͤndete Anſpruͤche unterſtuͤtzt; wie
kam es, daß Theſſalien ſo außerhalb der Griechiſchen
Geſchichte lag, und Sparta ſo lange ihre Seele war?
Wer mag hierauf anders antworten als: weil die Na-
tionalitaͤt des Theſſalers eine andere war, und fuͤr
Weisheit nur Schlauheit, fuͤr beſonnenen Heldenmuth
nur ſtuͤrmiſche Kampfwuth, fuͤr ſtrenge Selbſtbeherr-
ſchung nur wilde Leidenſchaft hatte.

7.

Wenn bei den Theſſalern wie bei den Doriern
eine ſtrenge Unterthaͤnigkeit durch Eroberungen veran-
laßt war: ſo waͤre es auffallend dieſelbe bei den nie
unterjochten Arkadern zu finden 2. Und doch er-

1 Alle drei zuſammen bei Ariſt. Pol. 5, 5, 9. vgl. Thuk. 4,
78. In der Zeit des Alex. von Pheraͤ hatte Theſſalien wahrſchein-
lich demagogiſche Tyrannen, die daher den Aleuaden feindlich.
Diod. 16, 1.
2 Denn wenn Ariſt. bei Schol. Ariſtoph. Wol-
ken 397, von einer uralten Vertreibung der Barbaren aus Arka-
dien redet: ſo geſchieht dies blos, um den Namen Πϱοσέληνοι zu
erklaͤren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0074" n="68"/>
u&#x0364;brigen innern Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der The&#x017F;&#x017F;aler liegen hier<lb/>
nicht in un&#x017F;erem Krei&#x017F;e; &#x017F;ie hatten &#x017F;ich wenig nach ru-<lb/>
higer Con&#x017F;equenz gebildet, welche der &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;che und<lb/>
hochfahrende Sinn des Stammes nicht ge&#x017F;tattete. In<lb/>
jeder einzelnen Stadt traten &#x017F;ich ein The&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;ches Volk,<lb/>
dann eine Anzahl Oligarchi&#x017F;cher Ge&#x017F;chlechter, endlich<lb/>
Dyna&#x017F;ten, wie die Aleuaden, Skopaden u. &#x017F;. w. <note place="foot" n="1">Alle drei zu&#x017F;ammen bei Ari&#x017F;t. Pol. 5, 5, 9. vgl. Thuk. 4,<lb/>
78. In der Zeit des Alex. von Phera&#x0364; hatte The&#x017F;&#x017F;alien wahr&#x017F;chein-<lb/>
lich demagogi&#x017F;che Tyrannen, die daher den Aleuaden feindlich.<lb/>
Diod. 16, 1.</note> ge-<lb/>
genu&#x0364;ber; die Sta&#x0364;dte &#x017F;elb&#x017F;t lagen untereinander mei&#x017F;t im<lb/>
Kriege; &#x017F;o war in die&#x017F;er politi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung wie in<lb/>
dem Mangel des Volkscharakters an Beharrlichkeit und<lb/>
leiden&#x017F;chaftslo&#x017F;er Seelengro&#x0364;ße der Hauptgrund gegeben,<lb/>
daß The&#x017F;&#x017F;alien fu&#x0364;r Hellas &#x017F;o wenig wurde. Die a&#x0364;u-<lb/>
ßern Mittel, welche Landbe&#x017F;itz und Kriegsmacht an die<lb/>
Hand geben, waren hier &#x017F;icher in reicherem Maaße<lb/>
vorhanden als irgendwo; auch durch Muth zeichnete<lb/>
&#x017F;ich der The&#x017F;&#x017F;aler aus; der alte Ruhm der Gegend<lb/>
ha&#x0364;tte innerlich begru&#x0364;ndete An&#x017F;pru&#x0364;che unter&#x017F;tu&#x0364;tzt; wie<lb/>
kam es, daß The&#x017F;&#x017F;alien &#x017F;o außerhalb der Griechi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;chichte lag, und Sparta &#x017F;o lange ihre Seele war?<lb/>
Wer mag hierauf anders antworten als: weil die Na-<lb/>
tionalita&#x0364;t des The&#x017F;&#x017F;alers eine andere war, und fu&#x0364;r<lb/>
Weisheit nur Schlauheit, fu&#x0364;r be&#x017F;onnenen Heldenmuth<lb/>
nur &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;che Kampfwuth, fu&#x0364;r &#x017F;trenge Selb&#x017F;tbeherr-<lb/>
&#x017F;chung nur wilde Leiden&#x017F;chaft hatte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>7.</head><lb/>
            <p>Wenn bei den The&#x017F;&#x017F;alern wie bei den Doriern<lb/>
eine &#x017F;trenge Untertha&#x0364;nigkeit durch Eroberungen veran-<lb/>
laßt war: &#x017F;o wa&#x0364;re es auffallend die&#x017F;elbe bei den nie<lb/>
unterjochten <hi rendition="#g">Arkadern</hi> zu finden <note place="foot" n="2">Denn wenn Ari&#x017F;t. bei Schol. Ari&#x017F;toph. Wol-<lb/>
ken 397, von einer uralten Vertreibung der Barbaren aus Arka-<lb/>
dien redet: &#x017F;o ge&#x017F;chieht dies blos, um den Namen &#x03A0;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03AD;&#x03BB;&#x03B7;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9; zu<lb/>
erkla&#x0364;ren.</note>. Und doch er-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0074] uͤbrigen innern Verhaͤltniſſe der Theſſaler liegen hier nicht in unſerem Kreiſe; ſie hatten ſich wenig nach ru- higer Conſequenz gebildet, welche der ſtuͤrmiſche und hochfahrende Sinn des Stammes nicht geſtattete. In jeder einzelnen Stadt traten ſich ein Theſſaliſches Volk, dann eine Anzahl Oligarchiſcher Geſchlechter, endlich Dynaſten, wie die Aleuaden, Skopaden u. ſ. w. 1 ge- genuͤber; die Staͤdte ſelbſt lagen untereinander meiſt im Kriege; ſo war in dieſer politiſchen Verfaſſung wie in dem Mangel des Volkscharakters an Beharrlichkeit und leidenſchaftsloſer Seelengroͤße der Hauptgrund gegeben, daß Theſſalien fuͤr Hellas ſo wenig wurde. Die aͤu- ßern Mittel, welche Landbeſitz und Kriegsmacht an die Hand geben, waren hier ſicher in reicherem Maaße vorhanden als irgendwo; auch durch Muth zeichnete ſich der Theſſaler aus; der alte Ruhm der Gegend haͤtte innerlich begruͤndete Anſpruͤche unterſtuͤtzt; wie kam es, daß Theſſalien ſo außerhalb der Griechiſchen Geſchichte lag, und Sparta ſo lange ihre Seele war? Wer mag hierauf anders antworten als: weil die Na- tionalitaͤt des Theſſalers eine andere war, und fuͤr Weisheit nur Schlauheit, fuͤr beſonnenen Heldenmuth nur ſtuͤrmiſche Kampfwuth, fuͤr ſtrenge Selbſtbeherr- ſchung nur wilde Leidenſchaft hatte. 7. Wenn bei den Theſſalern wie bei den Doriern eine ſtrenge Unterthaͤnigkeit durch Eroberungen veran- laßt war: ſo waͤre es auffallend dieſelbe bei den nie unterjochten Arkadern zu finden 2. Und doch er- 1 Alle drei zuſammen bei Ariſt. Pol. 5, 5, 9. vgl. Thuk. 4, 78. In der Zeit des Alex. von Pheraͤ hatte Theſſalien wahrſchein- lich demagogiſche Tyrannen, die daher den Aleuaden feindlich. Diod. 16, 1. 2 Denn wenn Ariſt. bei Schol. Ariſtoph. Wol- ken 397, von einer uralten Vertreibung der Barbaren aus Arka- dien redet: ſo geſchieht dies blos, um den Namen Πϱοσέληνοι zu erklaͤren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/74
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/74>, abgerufen am 24.11.2024.