Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite
10.

Besonders waren es in Lakonika die untern
Stände, welche sich der Neigung zur Possenreißerei
mit größerer Freiheit überlassen durften, als die Do-
rier, deren Gravität nur hie und da die entgegenge-
setzte Seite ihres Naturels durchschimmern ließ. Ich
habe schon oben erwähnt 1, daß von den in den Häu-
sern der Spartiaten wohnenden Heloten, die man Mo-
thonen oder Mothaken nannte, und aus denen Edlerge-
artete in den Stand der Freien übergingen, eine Art
ausgelassnen Tanzes den Namen hat, in dem vermuth-
lich Trunkne dargestellt wurden; daher die Erzählung:
die Spartiaten zwängen ihre Sklaven sich zur War-
nung ihrer Jugend zu betrinken. Andre Tänze mögen
unter den Ackerbauern, besonders den Hirten abgeleg-
ner Gegenden, herkömmlich gewesen sein. -- Wo konn-
te sich, fragen wir, das bukolische Gedicht der Al-
ten in seinem aus Naturempfindung, Naivetät, Skur-
rilität gemischten Charakter im hellenischen Leben --
denn daß es aus dem Leben hervorgegangen, wird
Niemand bezweifeln -- irgend bilden als unter Stän-
den, die weder eigentlich Sklaven -- denn Sklaverei
gestattet keine organische Fortbildung -- noch freie
Stadtbürger -- denn das Stadtleben mußte jene Länd-
lichkeit ganz und gar verdrängen --, also Unterthanen,
Leibeigne waren, wie sie besonders in den Dorischen
Staaten bestanden; daher denn auch dieser Dichtungs-
art von Anfang der Dorische Dialekt anhaftet. Es
wird erzählt, daß als Xerxes Griechenland über-
schwemmt hatte, und die Spartiaten ihre Jungfraun
die gewohnten Sacra der Artemis Karyatis nicht be-
gehn lassen konnten, die Hirten aus den Bergen ge-

1 S. 42, 3. vgl. noch Schol. Arist. Plut. 279. Ritter
632.
10.

Beſonders waren es in Lakonika die untern
Staͤnde, welche ſich der Neigung zur Poſſenreißerei
mit groͤßerer Freiheit uͤberlaſſen durften, als die Do-
rier, deren Gravitaͤt nur hie und da die entgegenge-
ſetzte Seite ihres Naturels durchſchimmern ließ. Ich
habe ſchon oben erwaͤhnt 1, daß von den in den Haͤu-
ſern der Spartiaten wohnenden Heloten, die man Mo-
thonen oder Mothaken nannte, und aus denen Edlerge-
artete in den Stand der Freien uͤbergingen, eine Art
ausgelaſſnen Tanzes den Namen hat, in dem vermuth-
lich Trunkne dargeſtellt wurden; daher die Erzaͤhlung:
die Spartiaten zwaͤngen ihre Sklaven ſich zur War-
nung ihrer Jugend zu betrinken. Andre Taͤnze moͤgen
unter den Ackerbauern, beſonders den Hirten abgeleg-
ner Gegenden, herkoͤmmlich geweſen ſein. — Wo konn-
te ſich, fragen wir, das bukoliſche Gedicht der Al-
ten in ſeinem aus Naturempfindung, Naivetaͤt, Skur-
rilitaͤt gemiſchten Charakter im helleniſchen Leben —
denn daß es aus dem Leben hervorgegangen, wird
Niemand bezweifeln — irgend bilden als unter Staͤn-
den, die weder eigentlich Sklaven — denn Sklaverei
geſtattet keine organiſche Fortbildung — noch freie
Stadtbuͤrger — denn das Stadtleben mußte jene Laͤnd-
lichkeit ganz und gar verdraͤngen —, alſo Unterthanen,
Leibeigne waren, wie ſie beſonders in den Doriſchen
Staaten beſtanden; daher denn auch dieſer Dichtungs-
art von Anfang der Doriſche Dialekt anhaftet. Es
wird erzaͤhlt, daß als Xerxes Griechenland uͤber-
ſchwemmt hatte, und die Spartiaten ihre Jungfraun
die gewohnten Sacra der Artemis Karyatis nicht be-
gehn laſſen konnten, die Hirten aus den Bergen ge-

1 S. 42, 3. vgl. noch Schol. Ariſt. Plut. 279. Ritter
632.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0351" n="345"/>
          <div n="3">
            <head>10.</head><lb/>
            <p>Be&#x017F;onders waren es in Lakonika die untern<lb/>
Sta&#x0364;nde, welche &#x017F;ich der Neigung zur Po&#x017F;&#x017F;enreißerei<lb/>
mit gro&#x0364;ßerer Freiheit u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en durften, als die Do-<lb/>
rier, deren Gravita&#x0364;t nur hie und da die entgegenge-<lb/>
&#x017F;etzte Seite ihres Naturels durch&#x017F;chimmern ließ. Ich<lb/>
habe &#x017F;chon oben erwa&#x0364;hnt <note place="foot" n="1">S. 42, 3. vgl. noch Schol. Ari&#x017F;t. Plut. 279. Ritter<lb/>
632.</note>, daß von den in den Ha&#x0364;u-<lb/>
&#x017F;ern der Spartiaten wohnenden Heloten, die man Mo-<lb/>
thonen oder Mothaken nannte, und aus denen Edlerge-<lb/>
artete in den Stand der Freien u&#x0364;bergingen, eine Art<lb/>
ausgela&#x017F;&#x017F;nen Tanzes den Namen hat, in dem vermuth-<lb/>
lich Trunkne darge&#x017F;tellt wurden; daher die Erza&#x0364;hlung:<lb/>
die Spartiaten zwa&#x0364;ngen ihre Sklaven &#x017F;ich zur War-<lb/>
nung ihrer Jugend zu betrinken. Andre Ta&#x0364;nze mo&#x0364;gen<lb/>
unter den Ackerbauern, be&#x017F;onders den Hirten abgeleg-<lb/>
ner Gegenden, herko&#x0364;mmlich gewe&#x017F;en &#x017F;ein. &#x2014; Wo konn-<lb/>
te &#x017F;ich, fragen wir, das <hi rendition="#g">bukoli&#x017F;che</hi> Gedicht der Al-<lb/>
ten in &#x017F;einem aus Naturempfindung, Naiveta&#x0364;t, Skur-<lb/>
rilita&#x0364;t gemi&#x017F;chten Charakter im helleni&#x017F;chen Leben &#x2014;<lb/>
denn daß es aus dem Leben hervorgegangen, wird<lb/>
Niemand bezweifeln &#x2014; irgend bilden als unter Sta&#x0364;n-<lb/>
den, die weder eigentlich Sklaven &#x2014; denn Sklaverei<lb/>
ge&#x017F;tattet keine organi&#x017F;che Fortbildung &#x2014; noch freie<lb/>
Stadtbu&#x0364;rger &#x2014; denn das Stadtleben mußte jene La&#x0364;nd-<lb/>
lichkeit ganz und gar verdra&#x0364;ngen &#x2014;, al&#x017F;o Unterthanen,<lb/>
Leibeigne waren, wie &#x017F;ie be&#x017F;onders in den Dori&#x017F;chen<lb/>
Staaten be&#x017F;tanden; daher denn auch die&#x017F;er Dichtungs-<lb/>
art von Anfang der Dori&#x017F;che Dialekt anhaftet. Es<lb/>
wird erza&#x0364;hlt, daß als Xerxes Griechenland u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;chwemmt hatte, und die Spartiaten ihre Jungfraun<lb/>
die gewohnten Sacra der Artemis Karyatis nicht be-<lb/>
gehn la&#x017F;&#x017F;en konnten, die Hirten aus den Bergen ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0351] 10. Beſonders waren es in Lakonika die untern Staͤnde, welche ſich der Neigung zur Poſſenreißerei mit groͤßerer Freiheit uͤberlaſſen durften, als die Do- rier, deren Gravitaͤt nur hie und da die entgegenge- ſetzte Seite ihres Naturels durchſchimmern ließ. Ich habe ſchon oben erwaͤhnt 1, daß von den in den Haͤu- ſern der Spartiaten wohnenden Heloten, die man Mo- thonen oder Mothaken nannte, und aus denen Edlerge- artete in den Stand der Freien uͤbergingen, eine Art ausgelaſſnen Tanzes den Namen hat, in dem vermuth- lich Trunkne dargeſtellt wurden; daher die Erzaͤhlung: die Spartiaten zwaͤngen ihre Sklaven ſich zur War- nung ihrer Jugend zu betrinken. Andre Taͤnze moͤgen unter den Ackerbauern, beſonders den Hirten abgeleg- ner Gegenden, herkoͤmmlich geweſen ſein. — Wo konn- te ſich, fragen wir, das bukoliſche Gedicht der Al- ten in ſeinem aus Naturempfindung, Naivetaͤt, Skur- rilitaͤt gemiſchten Charakter im helleniſchen Leben — denn daß es aus dem Leben hervorgegangen, wird Niemand bezweifeln — irgend bilden als unter Staͤn- den, die weder eigentlich Sklaven — denn Sklaverei geſtattet keine organiſche Fortbildung — noch freie Stadtbuͤrger — denn das Stadtleben mußte jene Laͤnd- lichkeit ganz und gar verdraͤngen —, alſo Unterthanen, Leibeigne waren, wie ſie beſonders in den Doriſchen Staaten beſtanden; daher denn auch dieſer Dichtungs- art von Anfang der Doriſche Dialekt anhaftet. Es wird erzaͤhlt, daß als Xerxes Griechenland uͤber- ſchwemmt hatte, und die Spartiaten ihre Jungfraun die gewohnten Sacra der Artemis Karyatis nicht be- gehn laſſen konnten, die Hirten aus den Bergen ge- 1 S. 42, 3. vgl. noch Schol. Ariſt. Plut. 279. Ritter 632.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/351
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/351>, abgerufen am 22.12.2024.