Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

hung aller Individuen, von dem man indeß nicht glau-
ben muß, daß er jede Verbindung zwischen Eltern und
Kindern aufgeläst und die innigsten Bande der Natur
zerrissen habe. Behielten doch, nach dem Zeugnisse
zahlreicher Anekdoten, selbst Sparta's Mütter eine gei-
stige Gewalt über die schon erwachsenen Söhne, von
der man sonst in Griechenland nichts vernimmt. Age-
silaos seinen Kleinen auf dem Stecken vorreitend 1, ist
ein Bild aus der Erziehung der jüngern Knaben 2,
welche bis zum siebenten Jahre ganz dem Hause an-
vertraut war 3; dann erst begann die öffentliche, die
eigentliche agoge 4. Diese genossen eigentlich nur die
Söhne der Spartiaten (politikoi paides) 5, und die
von diesen zur Theilnahme erlesnen Mothaken; zum
Theil auch die Halbbürtigen 6; es mag darin man-
cherlei Abstufungen gegeben haben. Es war aber zum
Begriff eines freien Bürgers die Erziehung das Haupt-
erforderniß 7; wer sich ihr entzog 8, verzichtete auf

1 Der ernste Archytas wird als Erfinder einer Kinderklap-
per, platage, gepriesen, Arist. Pol. 8, 6, 1. Apostol. 16, 21.
2 mitulla, eskhatonepia Hesych.
3 Plut. a. O.
4 S. über den Ausdruck Plut. Ages. 1. Kleom. 11. 37. Lakoonike
agoge Polyb. 1, 32. und daraus Zonar. und Suid. Die Lu-
kourgeios agoge wurde später durch die Akhaike paideia ver-
drängt, die auf Nützlichkeit hinausging. Plut. Philop. 16. vgl.
Paus. 7, 8, 3.
5 Nach der richtigen Lesart bei Ath. 6, 271 e.
Diese sind einerlei mit tois ek tes agoges paisin, oben S. 25, 1.
Aus Athen. os an kai ta idia ekpoiosin, geht hervor, daß die
Väter zu den Kosten der Erziehung beitrugen -- was S. 204. zu
beachten war.
6 Xen. H. 5, 3, 9. ton en te polei ka-
lon ouk apeiroi. Die demotike agoge bei Polyb. 25, 8,
1. ist ein niedrer Grad.
7 S. bes. Plut. Lak. Ap. p. 243.
8 Wer als meirakion die harten ponous nicht übernahm, dem
wurde, nach Xen. Staat 3, 3., Nichts weiter ton kalon zu Theil,
d. h. die übrige Erziehung (ta kala in Sp. vgl. Hell. 5, 4, 32.

hung aller Individuen, von dem man indeß nicht glau-
ben muß, daß er jede Verbindung zwiſchen Eltern und
Kindern aufgelaͤst und die innigſten Bande der Natur
zerriſſen habe. Behielten doch, nach dem Zeugniſſe
zahlreicher Anekdoten, ſelbſt Sparta’s Muͤtter eine gei-
ſtige Gewalt uͤber die ſchon erwachſenen Soͤhne, von
der man ſonſt in Griechenland nichts vernimmt. Age-
ſilaos ſeinen Kleinen auf dem Stecken vorreitend 1, iſt
ein Bild aus der Erziehung der juͤngern Knaben 2,
welche bis zum ſiebenten Jahre ganz dem Hauſe an-
vertraut war 3; dann erſt begann die oͤffentliche, die
eigentliche ἀγωγή 4. Dieſe genoſſen eigentlich nur die
Soͤhne der Spartiaten (πολιτικοὶ παῖδες) 5, und die
von dieſen zur Theilnahme erleſnen Mothaken; zum
Theil auch die Halbbuͤrtigen 6; es mag darin man-
cherlei Abſtufungen gegeben haben. Es war aber zum
Begriff eines freien Buͤrgers die Erziehung das Haupt-
erforderniß 7; wer ſich ihr entzog 8, verzichtete auf

1 Der ernſte Archytas wird als Erfinder einer Kinderklap-
per, πλατάγη, geprieſen, Ariſt. Pol. 8, 6, 1. Apoſtol. 16, 21.
2 μίτυλλα, ἐσχατονήπια Heſych.
3 Plut. a. O.
4 S. uͤber den Ausdruck Plut. Ageſ. 1. Kleom. 11. 37. Λακοωνικὴ
ἀγωγή Polyb. 1, 32. und daraus Zonar. und Suid. Die Λυ-
κούϱγειος ἀγωγὴ wurde ſpaͤter durch die Ἀχαϊκὴ παιδεία ver-
draͤngt, die auf Nuͤtzlichkeit hinausging. Plut. Philop. 16. vgl.
Pauſ. 7, 8, 3.
5 Nach der richtigen Lesart bei Ath. 6, 271 e.
Dieſe ſind einerlei mit τοῐς ἐκ τῆς ἀγωγῆς παισὶν, oben S. 25, 1.
Aus Athen. ὡς ἂν καὶ τὰ ἴδια ἐκποιῶσιν, geht hervor, daß die
Vaͤter zu den Koſten der Erziehung beitrugen — was S. 204. zu
beachten war.
6 Xen. H. 5, 3, 9. τῶν ἐν τῇ πόλει κα-
λῶν οὐκ ἄπειϱοι. Die δημοτικὴ ἀγωγὴ bei Polyb. 25, 8,
1. iſt ein niedrer Grad.
7 S. beſ. Plut. Lak. Ap. p. 243.
8 Wer als μειϱάκιον die harten πόνους nicht uͤbernahm, dem
wurde, nach Xen. Staat 3, 3., Nichts weiter τῶν καλῶν zu Theil,
d. h. die uͤbrige Erziehung (τὰ καλὰ in Sp. vgl. Hell. 5, 4, 32.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0306" n="300"/>
hung aller Individuen, von dem man indeß nicht glau-<lb/>
ben muß, daß er jede Verbindung zwi&#x017F;chen Eltern und<lb/>
Kindern aufgela&#x0364;st und die innig&#x017F;ten Bande der Natur<lb/>
zerri&#x017F;&#x017F;en habe. Behielten doch, nach dem Zeugni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zahlreicher Anekdoten, &#x017F;elb&#x017F;t Sparta&#x2019;s Mu&#x0364;tter eine gei-<lb/>
&#x017F;tige Gewalt u&#x0364;ber die &#x017F;chon erwach&#x017F;enen So&#x0364;hne, von<lb/>
der man &#x017F;on&#x017F;t in Griechenland nichts vernimmt. Age-<lb/>
&#x017F;ilaos &#x017F;einen Kleinen auf dem Stecken vorreitend <note place="foot" n="1">Der ern&#x017F;te Archytas wird als Erfinder einer Kinderklap-<lb/>
per, &#x03C0;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C4;&#x03AC;&#x03B3;&#x03B7;, geprie&#x017F;en, Ari&#x017F;t. Pol. 8, 6, 1. Apo&#x017F;tol. 16, 21.</note>, i&#x017F;t<lb/>
ein Bild aus der Erziehung der ju&#x0364;ngern Knaben <note place="foot" n="2">&#x03BC;&#x03AF;&#x03C4;&#x03C5;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B1;, &#x1F10;&#x03C3;&#x03C7;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BD;&#x03AE;&#x03C0;&#x03B9;&#x03B1; He&#x017F;ych.</note>,<lb/>
welche bis zum &#x017F;iebenten Jahre ganz dem Hau&#x017F;e an-<lb/>
vertraut war <note place="foot" n="3">Plut. a. O.</note>; dann er&#x017F;t begann die o&#x0364;ffentliche, die<lb/>
eigentliche &#x1F00;&#x03B3;&#x03C9;&#x03B3;&#x03AE; <note place="foot" n="4">S. u&#x0364;ber den Ausdruck Plut. Age&#x017F;. 1. Kleom. 11. 37. &#x039B;&#x03B1;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C9;&#x03BD;&#x03B9;&#x03BA;&#x1F74;<lb/>
&#x1F00;&#x03B3;&#x03C9;&#x03B3;&#x03AE; Polyb. 1, 32. und daraus Zonar. und Suid. Die &#x039B;&#x03C5;-<lb/>
&#x03BA;&#x03BF;&#x03CD;&#x03F1;&#x03B3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F00;&#x03B3;&#x03C9;&#x03B3;&#x1F74; wurde &#x017F;pa&#x0364;ter durch die &#x1F08;&#x03C7;&#x03B1;&#x03CA;&#x03BA;&#x1F74; &#x03C0;&#x03B1;&#x03B9;&#x03B4;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B1; ver-<lb/>
dra&#x0364;ngt, die auf <hi rendition="#g">Nu&#x0364;tzlichkeit</hi> hinausging. Plut. Philop. 16. vgl.<lb/>
Pau&#x017F;. 7, 8, 3.</note>. Die&#x017F;e geno&#x017F;&#x017F;en eigentlich nur die<lb/>
So&#x0364;hne der Spartiaten (&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03BF;&#x1F76; &#x03C0;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03B4;&#x03B5;&#x03C2;) <note place="foot" n="5">Nach der richtigen Lesart bei Ath. 6, 271 <hi rendition="#aq">e.</hi><lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;ind einerlei mit &#x03C4;&#x03BF;&#x1FD0;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BA; &#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x1F00;&#x03B3;&#x03C9;&#x03B3;&#x1FC6;&#x03C2; &#x03C0;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C3;&#x1F76;&#x03BD;, oben S. 25, 1.<lb/>
Aus Athen. &#x1F61;&#x03C2; &#x1F02;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C4;&#x1F70; &#x1F34;&#x03B4;&#x03B9;&#x03B1; &#x1F10;&#x03BA;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x1FF6;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD;, geht hervor, daß die<lb/>
Va&#x0364;ter zu den Ko&#x017F;ten der Erziehung beitrugen &#x2014; was S. 204. zu<lb/>
beachten war.</note>, und die<lb/>
von die&#x017F;en zur Theilnahme erle&#x017F;nen Mothaken; zum<lb/>
Theil auch die Halbbu&#x0364;rtigen <note place="foot" n="6">Xen. H. 5, 3, 9. &#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BD; &#x03C4;&#x1FC7; &#x03C0;&#x03CC;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B9; &#x03BA;&#x03B1;-<lb/>
&#x03BB;&#x1FF6;&#x03BD; <hi rendition="#g">&#x03BF;&#x1F50;&#x03BA; &#x1F04;&#x03C0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03F1;&#x03BF;&#x03B9;</hi>. Die <hi rendition="#g">&#x03B4;&#x03B7;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x1F74;</hi> &#x1F00;&#x03B3;&#x03C9;&#x03B3;&#x1F74; bei Polyb. 25, 8,<lb/>
1. i&#x017F;t ein niedrer Grad.</note>; es mag darin man-<lb/>
cherlei Ab&#x017F;tufungen gegeben haben. Es war aber zum<lb/>
Begriff eines freien Bu&#x0364;rgers die Erziehung das Haupt-<lb/>
erforderniß <note place="foot" n="7">S. be&#x017F;. Plut. Lak. Ap. <hi rendition="#aq">p.</hi> 243.</note>; wer &#x017F;ich ihr entzog <note xml:id="seg2pn_38_1" next="#seg2pn_38_2" place="foot" n="8">Wer als &#x03BC;&#x03B5;&#x03B9;&#x03F1;&#x03AC;&#x03BA;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD; die harten &#x03C0;&#x03CC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C2; nicht u&#x0364;bernahm, dem<lb/>
wurde, nach Xen. Staat 3, 3., Nichts weiter &#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x1FF6;&#x03BD; zu Theil,<lb/>
d. h. die u&#x0364;brige Erziehung (&#x03C4;&#x1F70; &#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x1F70; in Sp. vgl. Hell. 5, 4, 32.</note>, verzichtete auf<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0306] hung aller Individuen, von dem man indeß nicht glau- ben muß, daß er jede Verbindung zwiſchen Eltern und Kindern aufgelaͤst und die innigſten Bande der Natur zerriſſen habe. Behielten doch, nach dem Zeugniſſe zahlreicher Anekdoten, ſelbſt Sparta’s Muͤtter eine gei- ſtige Gewalt uͤber die ſchon erwachſenen Soͤhne, von der man ſonſt in Griechenland nichts vernimmt. Age- ſilaos ſeinen Kleinen auf dem Stecken vorreitend 1, iſt ein Bild aus der Erziehung der juͤngern Knaben 2, welche bis zum ſiebenten Jahre ganz dem Hauſe an- vertraut war 3; dann erſt begann die oͤffentliche, die eigentliche ἀγωγή 4. Dieſe genoſſen eigentlich nur die Soͤhne der Spartiaten (πολιτικοὶ παῖδες) 5, und die von dieſen zur Theilnahme erleſnen Mothaken; zum Theil auch die Halbbuͤrtigen 6; es mag darin man- cherlei Abſtufungen gegeben haben. Es war aber zum Begriff eines freien Buͤrgers die Erziehung das Haupt- erforderniß 7; wer ſich ihr entzog 8, verzichtete auf 1 Der ernſte Archytas wird als Erfinder einer Kinderklap- per, πλατάγη, geprieſen, Ariſt. Pol. 8, 6, 1. Apoſtol. 16, 21. 2 μίτυλλα, ἐσχατονήπια Heſych. 3 Plut. a. O. 4 S. uͤber den Ausdruck Plut. Ageſ. 1. Kleom. 11. 37. Λακοωνικὴ ἀγωγή Polyb. 1, 32. und daraus Zonar. und Suid. Die Λυ- κούϱγειος ἀγωγὴ wurde ſpaͤter durch die Ἀχαϊκὴ παιδεία ver- draͤngt, die auf Nuͤtzlichkeit hinausging. Plut. Philop. 16. vgl. Pauſ. 7, 8, 3. 5 Nach der richtigen Lesart bei Ath. 6, 271 e. Dieſe ſind einerlei mit τοῐς ἐκ τῆς ἀγωγῆς παισὶν, oben S. 25, 1. Aus Athen. ὡς ἂν καὶ τὰ ἴδια ἐκποιῶσιν, geht hervor, daß die Vaͤter zu den Koſten der Erziehung beitrugen — was S. 204. zu beachten war. 6 Xen. H. 5, 3, 9. τῶν ἐν τῇ πόλει κα- λῶν οὐκ ἄπειϱοι. Die δημοτικὴ ἀγωγὴ bei Polyb. 25, 8, 1. iſt ein niedrer Grad. 7 S. beſ. Plut. Lak. Ap. p. 243. 8 Wer als μειϱάκιον die harten πόνους nicht uͤbernahm, dem wurde, nach Xen. Staat 3, 3., Nichts weiter τῶν καλῶν zu Theil, d. h. die uͤbrige Erziehung (τὰ καλὰ in Sp. vgl. Hell. 5, 4, 32.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/306
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/306>, abgerufen am 22.11.2024.