schwersten Strafen 1, und schützt nach Hellenischen Grundsätzen gegen jede Verfolgung; so daß selbst, wer von den Amphiktyonen für vogelfrei erklärt war, außer dem Vaterlande sicher schien 2. Ein Beispiel von Exu- lanten, die politische Partheiungen vertrieben, kennt die Geschichte Sparta's, so lange die Verfassung be- stand, nicht. -- Die Todesstrafe wurde entweder durch Strangulation in einem Gemache des Staatsgefäng- nisses, Dekas genannt 3, oder durch Hinabstürzung in den Käadas vollzogen, siets zur Nachtzeit 4. Auch in Athen war von alten Zeiten das Gesetz, Niemanden bei Tage hinzurichten 5. So richtete auch der Senat der Aeolischen Kyme, dessen alterthümliche Einrichtun- gen schon oben charakterisirt wurden, in Kriminalfällen bei Nacht und mit verdeckten Stimmsteinen 6, unge- fähr so, wie die Könige des Atlantischen Volks in Pla- tons Kritias 7. -- Man sehe darin nicht etwa oligar- chische Veranstaltungen zu ungestörter Vollziehung stren- ger Urtheile, sondern die tief eingewurzelte Scheu Bluturtheile auszusprechen und zu vollziehen, welche das Schreckliche vor den Augen des Tages zu vollbrin- gen vermeidet. Eine ähnliche Scheu spricht sich in dem Verfahren der Spartiatischen Gerusia aus, die nie ein Todesurtheil sprach, ohne Deliberationen mehrerer Ta-
1 Die Polemarchen, welche nach Thuk. 5, 72. wegen Un- gehorsam in der Schlacht und Trägheit (doxantes malakisthenai) flohen, entgingen dadurch wohl dem Tode. vgl. Plut. Perikl. 22.
2 S. Herod. 7, 213.
3 Plut. Agis 19. In Korinth hieß das öffentl. Gefängniß kos. Steph. Byz.
4 Herod. 4, 146. Valer. Max. 6, 6.
5 Platon Phäd. 116. Olympiodor zur Stelle.
6 Plut. Qu. Gr. 2. Daß der demosios zu Rhodos nicht in die Stadt kommen durfte, beruht auf ähnlichem Grund- satze. Dio Chrysost. Or. 31. p. 632 R. vgl. Wessel. zu Diod. 1. p. 624. Aristid. 2, 44, 5.
7p. 120. (171 Bkk.)
III 15
ſchwerſten Strafen 1, und ſchuͤtzt nach Helleniſchen Grundſaͤtzen gegen jede Verfolgung; ſo daß ſelbſt, wer von den Amphiktyonen fuͤr vogelfrei erklaͤrt war, außer dem Vaterlande ſicher ſchien 2. Ein Beiſpiel von Exu- lanten, die politiſche Partheiungen vertrieben, kennt die Geſchichte Sparta’s, ſo lange die Verfaſſung be- ſtand, nicht. — Die Todesſtrafe wurde entweder durch Strangulation in einem Gemache des Staatsgefaͤng- niſſes, Δεκὰς genannt 3, oder durch Hinabſtuͤrzung in den Kaͤadas vollzogen, ſiets zur Nachtzeit 4. Auch in Athen war von alten Zeiten das Geſetz, Niemanden bei Tage hinzurichten 5. So richtete auch der Senat der Aeoliſchen Kyme, deſſen alterthuͤmliche Einrichtun- gen ſchon oben charakteriſirt wurden, in Kriminalfaͤllen bei Nacht und mit verdeckten Stimmſteinen 6, unge- faͤhr ſo, wie die Koͤnige des Atlantiſchen Volks in Pla- tons Kritias 7. — Man ſehe darin nicht etwa oligar- chiſche Veranſtaltungen zu ungeſtoͤrter Vollziehung ſtren- ger Urtheile, ſondern die tief eingewurzelte Scheu Bluturtheile auszuſprechen und zu vollziehen, welche das Schreckliche vor den Augen des Tages zu vollbrin- gen vermeidet. Eine aͤhnliche Scheu ſpricht ſich in dem Verfahren der Spartiatiſchen Geruſia aus, die nie ein Todesurtheil ſprach, ohne Deliberationen mehrerer Ta-
1 Die Polemarchen, welche nach Thuk. 5, 72. wegen Un- gehorſam in der Schlacht und Traͤgheit (δόξαντες μαλαϰισϑῆναι) flohen, entgingen dadurch wohl dem Tode. vgl. Plut. Perikl. 22.
2 S. Herod. 7, 213.
3 Plut. Agis 19. In Korinth hieß das oͤffentl. Gefaͤngniß κῶς. Steph. Byz.
4 Herod. 4, 146. Valer. Max. 6, 6.
5 Platon Phaͤd. 116. Olympiodor zur Stelle.
6 Plut. Qu. Gr. 2. Daß der δημόσιος zu Rhodos nicht in die Stadt kommen durfte, beruht auf aͤhnlichem Grund- ſatze. Dio Chryſoſt. Or. 31. p. 632 R. vgl. Weſſel. zu Diod. 1. p. 624. Ariſtid. 2, 44, 5.
7p. 120. (171 Bkk.)
III 15
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dem Vaterlande ſicher ſchien 2. Ein Beiſpiel von Exu-
lanten, die politiſche Partheiungen vertrieben, kennt
die Geſchichte Sparta’s, ſo lange die Verfaſſung be-
ſtand, nicht. — Die Todesſtrafe wurde entweder durch
Strangulation in einem Gemache des Staatsgefaͤng-
niſſes, Δεκὰς genannt 3, oder durch Hinabſtuͤrzung in
den Kaͤadas vollzogen, ſiets zur Nachtzeit 4. Auch in
Athen war von alten Zeiten das Geſetz, Niemanden
bei Tage hinzurichten 5. So richtete auch der Senat
der Aeoliſchen Kyme, deſſen alterthuͤmliche Einrichtun-
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bei Nacht und mit verdeckten Stimmſteinen 6, unge-
faͤhr ſo, wie die Koͤnige des Atlantiſchen Volks in Pla-
tons Kritias 7. — Man ſehe darin nicht etwa oligar-
chiſche Veranſtaltungen zu ungeſtoͤrter Vollziehung ſtren-
ger Urtheile, ſondern die tief eingewurzelte Scheu
Bluturtheile auszuſprechen und zu vollziehen, welche
das Schreckliche vor den Augen des Tages zu vollbrin-
gen vermeidet. Eine aͤhnliche Scheu ſpricht ſich in dem
Verfahren der Spartiatiſchen Geruſia aus, die nie ein
Todesurtheil ſprach, ohne Deliberationen mehrerer Ta-
1 Die Polemarchen, welche nach Thuk. 5, 72. wegen Un-
gehorſam in der Schlacht und Traͤgheit (δόξαντες μαλαϰισϑῆναι)
flohen, entgingen dadurch wohl dem Tode. vgl. Plut. Perikl. 22.
2 S. Herod. 7, 213.
3 Plut. Agis 19. In Korinth hieß
das oͤffentl. Gefaͤngniß κῶς. Steph. Byz.
4 Herod. 4, 146.
Valer. Max. 6, 6.
5 Platon Phaͤd. 116. Olympiodor zur
Stelle.
6 Plut. Qu. Gr. 2. Daß der δημόσιος zu Rhodos
nicht in die Stadt kommen durfte, beruht auf aͤhnlichem Grund-
ſatze. Dio Chryſoſt. Or. 31. p. 632 R. vgl. Weſſel. zu Diod. 1.
p. 624. Ariſtid. 2, 44, 5.
7 p. 120. (171 Bkk.)
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/231>, abgerufen am 16.02.2025.
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