constituiren wollte: so wie später Dion in Syrakus selbst eine Lakonische oder Kretische Constitution wünsch- te 1. Er gründete sie "mit gottgebaueter Freiheit nach den Gesetzen der Hyllischen Richtschnur" nämlich nach dem Muster der Verfassung Sparta's. "Denn es wollen die Nachkommen des Pamphylos und der He- rakliden selbst, so am Abhange des Taygetos wohnen, stets auf den Dorischen Satzungen des Aegimios be- harren." Diese Stelle enthüllt um desto mehr, je ge- nauer man sie entwickelt. Sie zeigt, daß erstens Sparta's Gesetzordnung als die wahrhaft Dorische an- gesehen, und zweitens, daß deren Ursprung mit dem des Volkes überhaupt für identisch gehalten wurde. Sie zeigt, daß die Spartanischen Nomoi die wahren Dorischen Nomima waren, wie denn bei keinem Volke der Unterschied zwischen Herkommen und Gesetz unbe- deutender war; woraus von selbst erhellt, wie wenig der Gesetzgeber hier neu zu schaffen Gelegenheit hatte, da Herkommen nie eines Einzelnen Werk sein können. Aus dieser Ansicht erklärt es sich auch, wie Hellanikos, der älteste Schriftsteller über Sparta's Verfassung 2, des Lykurg dabei mit keinem Worte gedachte, worüber ihn Ephoros mit einseitiger Kritik tadelt 3, und den ersten Königen, Prokles und Eurysthenes, alle sog. Lykurgi- schen Einrichtungen beilegen konnte. Daraus folgt aber wieder, daß, wenn Herodot die Spartiaten vor Lykurg als höchst anarchisch (kakonomotatous) schil-
1 Plut. Vergl. Timol. 2. Dion 53. Lakonikon skhema -- kosmein. Er war selbst Bürger von Sparta, Plut. Dion. 17. 49.
2 Doch muß ihn Herodot noch nicht gekannt haben, da er zu- erst darüber zu schreiben glaubt. Herod. 6, 55.
3 Str. 8, 366. Den Ephoros dagegen meint wohl besonders Herakl. Pont. 2. ten Lakedaimonion politeian tines Lukourgo prosaptons- pasan.
conſtituiren wollte: ſo wie ſpaͤter Dion in Syrakus ſelbſt eine Lakoniſche oder Kretiſche Conſtitution wuͤnſch- te 1. Er gruͤndete ſie “mit gottgebaueter Freiheit nach den Geſetzen der Hylliſchen Richtſchnur” naͤmlich nach dem Muſter der Verfaſſung Sparta’s. “Denn es wollen die Nachkommen des Pamphylos und der He- rakliden ſelbſt, ſo am Abhange des Taygetos wohnen, ſtets auf den Doriſchen Satzungen des Aegimios be- harren.” Dieſe Stelle enthuͤllt um deſto mehr, je ge- nauer man ſie entwickelt. Sie zeigt, daß erſtens Sparta’s Geſetzordnung als die wahrhaft Doriſche an- geſehen, und zweitens, daß deren Urſprung mit dem des Volkes uͤberhaupt fuͤr identiſch gehalten wurde. Sie zeigt, daß die Spartaniſchen Νόμοι die wahren Doriſchen Νόμιμα waren, wie denn bei keinem Volke der Unterſchied zwiſchen Herkommen und Geſetz unbe- deutender war; woraus von ſelbſt erhellt, wie wenig der Geſetzgeber hier neu zu ſchaffen Gelegenheit hatte, da Herkommen nie eines Einzelnen Werk ſein koͤnnen. Aus dieſer Anſicht erklaͤrt es ſich auch, wie Hellanikos, der aͤlteſte Schriftſteller uͤber Sparta’s Verfaſſung 2, des Lykurg dabei mit keinem Worte gedachte, woruͤber ihn Ephoros mit einſeitiger Kritik tadelt 3, und den erſten Koͤnigen, Prokles und Euryſthenes, alle ſog. Lykurgi- ſchen Einrichtungen beilegen konnte. Daraus folgt aber wieder, daß, wenn Herodot die Spartiaten vor Lykurg als hoͤchſt anarchiſch (κακονομωτάτους) ſchil-
1 Plut. Vergl. Timol. 2. Dion 53. Λακωνικὸν σχῆμα — κοσμεῖν. Er war ſelbſt Buͤrger von Sparta, Plut. Dion. 17. 49.
2 Doch muß ihn Herodot noch nicht gekannt haben, da er zu- erſt daruͤber zu ſchreiben glaubt. Herod. 6, 55.
3 Str. 8, 366. Den Ephoros dagegen meint wohl beſonders Herakl. Pont. 2. τὴν Λακεδαιμονίων πολιτείαν τινὲς Λυκούϱγῳ πϱοσἀπτονσ- πᾶσαν.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0021"n="15"/>
conſtituiren wollte: ſo wie ſpaͤter Dion in Syrakus<lb/>ſelbſt eine Lakoniſche oder Kretiſche Conſtitution wuͤnſch-<lb/>
te <noteplace="foot"n="1">Plut. Vergl. Timol. 2. Dion 53. Λακωνικὸνσχῆμα—<lb/>κοσμεῖν. Er war ſelbſt Buͤrger von Sparta, Plut. Dion. 17. 49.</note>. Er gruͤndete ſie “mit gottgebaueter Freiheit nach<lb/>
den Geſetzen der Hylliſchen Richtſchnur” naͤmlich nach<lb/>
dem Muſter der Verfaſſung Sparta’s. “Denn es<lb/>
wollen die Nachkommen des Pamphylos und der He-<lb/>
rakliden ſelbſt, ſo am Abhange des Taygetos wohnen,<lb/>ſtets auf den Doriſchen Satzungen des Aegimios be-<lb/>
harren.” Dieſe Stelle enthuͤllt um deſto mehr, je ge-<lb/>
nauer man ſie entwickelt. Sie zeigt, daß erſtens<lb/>
Sparta’s Geſetzordnung als die wahrhaft Doriſche an-<lb/>
geſehen, und zweitens, daß deren Urſprung mit dem<lb/>
des Volkes uͤberhaupt fuͤr identiſch gehalten wurde.<lb/>
Sie zeigt, daß die Spartaniſchen Νόμοι die wahren<lb/>
Doriſchen Νόμιμα waren, wie denn bei keinem Volke<lb/>
der Unterſchied zwiſchen Herkommen und Geſetz unbe-<lb/>
deutender war; woraus von ſelbſt erhellt, wie wenig der<lb/>
Geſetzgeber hier neu zu ſchaffen Gelegenheit hatte, da<lb/>
Herkommen nie eines Einzelnen Werk ſein koͤnnen. Aus<lb/>
dieſer Anſicht erklaͤrt es ſich auch, wie Hellanikos, der<lb/>
aͤlteſte Schriftſteller uͤber Sparta’s Verfaſſung <noteplace="foot"n="2">Doch muß ihn Herodot noch nicht gekannt haben, da er zu-<lb/>
erſt daruͤber zu ſchreiben glaubt. Herod. 6, 55.</note>, des<lb/>
Lykurg dabei mit keinem Worte gedachte, woruͤber ihn<lb/>
Ephoros mit einſeitiger Kritik tadelt <noteplace="foot"n="3">Str. 8,<lb/>
366. Den Ephoros dagegen meint wohl beſonders Herakl. Pont. 2.<lb/>τὴνΛακεδαιμονίωνπολιτείαν<hirendition="#g">τινὲς</hi>Λυκούϱγῳπϱοσἀπτονσ-<lb/>πᾶσαν.</note>, und den erſten<lb/>
Koͤnigen, Prokles und Euryſthenes, alle ſog. Lykurgi-<lb/>ſchen Einrichtungen beilegen konnte. Daraus folgt<lb/>
aber wieder, daß, wenn Herodot die Spartiaten vor<lb/>
Lykurg als hoͤchſt anarchiſch (κακονομωτάτους) ſchil-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[15/0021]
conſtituiren wollte: ſo wie ſpaͤter Dion in Syrakus
ſelbſt eine Lakoniſche oder Kretiſche Conſtitution wuͤnſch-
te 1. Er gruͤndete ſie “mit gottgebaueter Freiheit nach
den Geſetzen der Hylliſchen Richtſchnur” naͤmlich nach
dem Muſter der Verfaſſung Sparta’s. “Denn es
wollen die Nachkommen des Pamphylos und der He-
rakliden ſelbſt, ſo am Abhange des Taygetos wohnen,
ſtets auf den Doriſchen Satzungen des Aegimios be-
harren.” Dieſe Stelle enthuͤllt um deſto mehr, je ge-
nauer man ſie entwickelt. Sie zeigt, daß erſtens
Sparta’s Geſetzordnung als die wahrhaft Doriſche an-
geſehen, und zweitens, daß deren Urſprung mit dem
des Volkes uͤberhaupt fuͤr identiſch gehalten wurde.
Sie zeigt, daß die Spartaniſchen Νόμοι die wahren
Doriſchen Νόμιμα waren, wie denn bei keinem Volke
der Unterſchied zwiſchen Herkommen und Geſetz unbe-
deutender war; woraus von ſelbſt erhellt, wie wenig der
Geſetzgeber hier neu zu ſchaffen Gelegenheit hatte, da
Herkommen nie eines Einzelnen Werk ſein koͤnnen. Aus
dieſer Anſicht erklaͤrt es ſich auch, wie Hellanikos, der
aͤlteſte Schriftſteller uͤber Sparta’s Verfaſſung 2, des
Lykurg dabei mit keinem Worte gedachte, woruͤber ihn
Ephoros mit einſeitiger Kritik tadelt 3, und den erſten
Koͤnigen, Prokles und Euryſthenes, alle ſog. Lykurgi-
ſchen Einrichtungen beilegen konnte. Daraus folgt
aber wieder, daß, wenn Herodot die Spartiaten vor
Lykurg als hoͤchſt anarchiſch (κακονομωτάτους) ſchil-
1 Plut. Vergl. Timol. 2. Dion 53. Λακωνικὸν σχῆμα —
κοσμεῖν. Er war ſelbſt Buͤrger von Sparta, Plut. Dion. 17. 49.
2 Doch muß ihn Herodot noch nicht gekannt haben, da er zu-
erſt daruͤber zu ſchreiben glaubt. Herod. 6, 55.
3 Str. 8,
366. Den Ephoros dagegen meint wohl beſonders Herakl. Pont. 2.
τὴν Λακεδαιμονίων πολιτείαν τινὲς Λυκούϱγῳ πϱοσἀπτονσ-
πᾶσαν.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/21>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.