eine ähnliche Tendenz hatte, so müssen doch Umstände die Durchführung derselben verhindert haben. Poly- bios 1 wenigstens kannte keine Gesetze der Kretev, die dem Ankaufe von Land und überhaupt dem Gewinne eine Gränze gesetzt 2; die Landgüter wurden unter Brüder getheilt, wobei eine Schwester jedesmal halb so viel als ein Bruder erhielt 3. So theilen schon in Odysseus Erzählung 4 die Söhne des Hylakiden Ka- stor auf Kreta die hinterlassene Habe; der uneheliche Sohn erhält nur einen geringen Antheil (notheia). Aber auch der Arme gelangt bei persönlichem Ansehn durch Heirath mit Begüterten leicht zu Reichthum. Ueber- dies geben Raubzüge, wozu einzelne Abentheurer ganze Flotillen ausrüsten, bis Aegypten hin, Gelegenheit zu schneller Bereicherung. -- Aber eben dies Leben auf der See und zugleich die schwankenden Verhältnisse der einzelnen Staaten mußten einen häufigen Wechsel des Besitzes hervorbringen, und jene Stetigkeit und Gleich- heit, wenn sie je ausgeführt worden war, bald auf- heben.
6.
Dagegen war in Kreta die Einrichtung der Syssitien, wenigstens nach Aristoteles Urtheil, mehr nach dem Prinzip einer gewissen Gütergemeinschaft an- geordnet, als in Sparta, indem daselbst die Kosten derselben vom Staate, und nicht durch Beiträge der Bürger, aufgebracht wurden 5. Dieses altdorische, oder überhaupt althellenische Institut haben wir unten vom Standpunkte der Sitte, der schönen Gemeinschaft des Lebens, zu betrachten; hier von dem der nationa-
1 6, 46, 1.
2 Dies widerspricht indeß nicht der zu Aristot. Zeit (Pol. 7, 9, 1.) noch bestehenden genauen Sonderung der Herrscher von den Ackerbauern.
3 Str. 10, 482
4 Ob. 14, 206.
5 2, 6, 21. 2, 7, 4.
eine aͤhnliche Tendenz hatte, ſo muͤſſen doch Umſtaͤnde die Durchfuͤhrung derſelben verhindert haben. Poly- bios 1 wenigſtens kannte keine Geſetze der Kretev, die dem Ankaufe von Land und uͤberhaupt dem Gewinne eine Graͤnze geſetzt 2; die Landguͤter wurden unter Bruͤder getheilt, wobei eine Schweſter jedesmal halb ſo viel als ein Bruder erhielt 3. So theilen ſchon in Odyſſeus Erzaͤhlung 4 die Soͤhne des Hylakiden Ka- ſtor auf Kreta die hinterlaſſene Habe; der uneheliche Sohn erhaͤlt nur einen geringen Antheil (νοϑεῖα). Aber auch der Arme gelangt bei perſoͤnlichem Anſehn durch Heirath mit Beguͤterten leicht zu Reichthum. Ueber- dies geben Raubzuͤge, wozu einzelne Abentheurer ganze Flotillen ausruͤſten, bis Aegypten hin, Gelegenheit zu ſchneller Bereicherung. — Aber eben dies Leben auf der See und zugleich die ſchwankenden Verhaͤltniſſe der einzelnen Staaten mußten einen haͤufigen Wechſel des Beſitzes hervorbringen, und jene Stetigkeit und Gleich- heit, wenn ſie je ausgefuͤhrt worden war, bald auf- heben.
6.
Dagegen war in Kreta die Einrichtung der Syſſitien, wenigſtens nach Ariſtoteles Urtheil, mehr nach dem Prinzip einer gewiſſen Guͤtergemeinſchaft an- geordnet, als in Sparta, indem daſelbſt die Koſten derſelben vom Staate, und nicht durch Beitraͤge der Buͤrger, aufgebracht wurden 5. Dieſes altdoriſche, oder uͤberhaupt althelleniſche Inſtitut haben wir unten vom Standpunkte der Sitte, der ſchoͤnen Gemeinſchaft des Lebens, zu betrachten; hier von dem der nationa-
1 6, 46, 1.
2 Dies widerſpricht indeß nicht der zu Ariſtot. Zeit (Pol. 7, 9, 1.) noch beſtehenden genauen Sonderung der Herrſcher von den Ackerbauern.
3 Str. 10, 482
4 Ob. 14, 206.
5 2, 6, 21. 2, 7, 4.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0207"n="201"/>
eine aͤhnliche Tendenz hatte, ſo muͤſſen doch Umſtaͤnde<lb/>
die Durchfuͤhrung derſelben verhindert haben. Poly-<lb/>
bios <noteplace="foot"n="1">6, 46, 1.</note> wenigſtens kannte keine Geſetze der Kretev, die<lb/>
dem Ankaufe von Land und uͤberhaupt dem Gewinne<lb/>
eine Graͤnze geſetzt <noteplace="foot"n="2">Dies widerſpricht indeß nicht der zu<lb/>
Ariſtot. Zeit (Pol. 7, 9, 1.) noch beſtehenden genauen Sonderung<lb/>
der Herrſcher von den Ackerbauern.</note>; die Landguͤter wurden unter<lb/>
Bruͤder getheilt, wobei eine Schweſter jedesmal halb<lb/>ſo viel als ein Bruder erhielt <noteplace="foot"n="3">Str. 10, 482</note>. So theilen ſchon in<lb/>
Odyſſeus Erzaͤhlung <noteplace="foot"n="4">Ob.<lb/>
14, 206.</note> die Soͤhne des Hylakiden Ka-<lb/>ſtor auf Kreta die hinterlaſſene Habe; der uneheliche<lb/>
Sohn erhaͤlt nur einen geringen Antheil (νοϑεῖα). Aber<lb/>
auch der Arme gelangt bei perſoͤnlichem Anſehn durch<lb/>
Heirath mit Beguͤterten leicht zu Reichthum. Ueber-<lb/>
dies geben Raubzuͤge, wozu einzelne Abentheurer ganze<lb/>
Flotillen ausruͤſten, bis Aegypten hin, Gelegenheit zu<lb/>ſchneller Bereicherung. — Aber eben dies Leben auf<lb/>
der See und zugleich die ſchwankenden Verhaͤltniſſe der<lb/>
einzelnen Staaten mußten einen haͤufigen Wechſel des<lb/>
Beſitzes hervorbringen, und jene Stetigkeit und Gleich-<lb/>
heit, wenn ſie je ausgefuͤhrt worden war, bald auf-<lb/>
heben.</p></div><lb/><divn="3"><head>6.</head><lb/><p>Dagegen war in Kreta die Einrichtung der<lb/><hirendition="#g">Syſſitien</hi>, wenigſtens nach Ariſtoteles Urtheil, mehr<lb/>
nach dem Prinzip einer gewiſſen Guͤtergemeinſchaft an-<lb/>
geordnet, als in Sparta, indem daſelbſt die Koſten<lb/>
derſelben vom Staate, und nicht durch Beitraͤge der<lb/>
Buͤrger, aufgebracht wurden <noteplace="foot"n="5">2, 6, 21. 2, 7, 4.</note>. Dieſes altdoriſche,<lb/>
oder uͤberhaupt althelleniſche Inſtitut haben wir unten<lb/>
vom Standpunkte der Sitte, der ſchoͤnen Gemeinſchaft<lb/>
des Lebens, zu betrachten; hier von dem der nationa-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[201/0207]
eine aͤhnliche Tendenz hatte, ſo muͤſſen doch Umſtaͤnde
die Durchfuͤhrung derſelben verhindert haben. Poly-
bios 1 wenigſtens kannte keine Geſetze der Kretev, die
dem Ankaufe von Land und uͤberhaupt dem Gewinne
eine Graͤnze geſetzt 2; die Landguͤter wurden unter
Bruͤder getheilt, wobei eine Schweſter jedesmal halb
ſo viel als ein Bruder erhielt 3. So theilen ſchon in
Odyſſeus Erzaͤhlung 4 die Soͤhne des Hylakiden Ka-
ſtor auf Kreta die hinterlaſſene Habe; der uneheliche
Sohn erhaͤlt nur einen geringen Antheil (νοϑεῖα). Aber
auch der Arme gelangt bei perſoͤnlichem Anſehn durch
Heirath mit Beguͤterten leicht zu Reichthum. Ueber-
dies geben Raubzuͤge, wozu einzelne Abentheurer ganze
Flotillen ausruͤſten, bis Aegypten hin, Gelegenheit zu
ſchneller Bereicherung. — Aber eben dies Leben auf
der See und zugleich die ſchwankenden Verhaͤltniſſe der
einzelnen Staaten mußten einen haͤufigen Wechſel des
Beſitzes hervorbringen, und jene Stetigkeit und Gleich-
heit, wenn ſie je ausgefuͤhrt worden war, bald auf-
heben.
6.
Dagegen war in Kreta die Einrichtung der
Syſſitien, wenigſtens nach Ariſtoteles Urtheil, mehr
nach dem Prinzip einer gewiſſen Guͤtergemeinſchaft an-
geordnet, als in Sparta, indem daſelbſt die Koſten
derſelben vom Staate, und nicht durch Beitraͤge der
Buͤrger, aufgebracht wurden 5. Dieſes altdoriſche,
oder uͤberhaupt althelleniſche Inſtitut haben wir unten
vom Standpunkte der Sitte, der ſchoͤnen Gemeinſchaft
des Lebens, zu betrachten; hier von dem der nationa-
1 6, 46, 1.
2 Dies widerſpricht indeß nicht der zu
Ariſtot. Zeit (Pol. 7, 9, 1.) noch beſtehenden genauen Sonderung
der Herrſcher von den Ackerbauern.
3 Str. 10, 482
4 Ob.
14, 206.
5 2, 6, 21. 2, 7, 4.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/207>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.