-- Aller Orten haben die Prytanen von den Königen die Ausübung öffentlicher Opfer ererbt, welche sie meist in besondern Gebäuden, auf der Agora, an dem gemein- samen Heerde des Staats, verrichteten. So der Tene- dische, dem Pindar ein Lied zu einem Eingangsopfer (eisiterion) gedichtet hat. In Kos war mit den Opfern des Prytanen wahrscheinlich Empyromantie verbunden 1. Diese Opfer, die gemeinsamen Mahl- zeiten, die Aufnahme fremder Gesandten gehörten in Athen eben so zum Amt der funfzig Prytanen, wie in Rhodos und Kos: aber die politische Bedeutung des Namens war durch die Demokratie eine ganz andere geworden, als in den mehr aristokratischen Verfas- sungen.
4.
Diese auffalkende Verschiedenheit der Bedeu- tung der Prytanen in der Attischen und den ältern Verfassungen Griechenlands, und die Ueberzeugung, daß die Demokratie Athens, obgleich relativ jung, doch die früheren Verhältnisse so sehr in Vergessenheit gebracht und in Schatten gestellt, daß man sie nur noch in einzelnen Spuren und bedeutungslos geworde- nen Namen erkennt, reizt uns zu dem Versuche, mit mehr Verwegenheit, als sonst hier erlaubt schien, was ursprünglich die Prytanen Athens gewesen, auszumit- teln. Es gab in Athen einen Gerichtshof epi Pruta- neio, der indeß in geschichtlich bekannter Zeit nur noch Trümmer einer ehemals ausgedehnteren Eriminalge- richtsbarkeit besaß 2. Daß er aber ehemals der erste Gerichtshof von Athen war, beweist der Name der
1 Hesych: kerkos -- ekhreto de aute mallon o en Ko pru- tanis. Vgl. damit das Opfer in Aristoph. Irene. -- Der Pry- tane in der Apollinischen Stadt Kroton ging jeden Siebenten um die Altäre. Athen. 12, 522 c.
2 S. bes. Andok. von den Myst. p. 37.
— Aller Orten haben die Prytanen von den Koͤnigen die Ausuͤbung oͤffentlicher Opfer ererbt, welche ſie meiſt in beſondern Gebaͤuden, auf der Agora, an dem gemein- ſamen Heerde des Staats, verrichteten. So der Tene- diſche, dem Pindar ein Lied zu einem Eingangsopfer (εἰςιτήριον) gedichtet hat. In Kos war mit den Opfern des Prytanen wahrſcheinlich Empyromantie verbunden 1. Dieſe Opfer, die gemeinſamen Mahl- zeiten, die Aufnahme fremder Geſandten gehoͤrten in Athen eben ſo zum Amt der funfzig Prytanen, wie in Rhodos und Kos: aber die politiſche Bedeutung des Namens war durch die Demokratie eine ganz andere geworden, als in den mehr ariſtokratiſchen Verfaſ- ſungen.
4.
Dieſe auffalkende Verſchiedenheit der Bedeu- tung der Prytanen in der Attiſchen und den aͤltern Verfaſſungen Griechenlands, und die Ueberzeugung, daß die Demokratie Athens, obgleich relativ jung, doch die fruͤheren Verhaͤltniſſe ſo ſehr in Vergeſſenheit gebracht und in Schatten geſtellt, daß man ſie nur noch in einzelnen Spuren und bedeutungslos geworde- nen Namen erkennt, reizt uns zu dem Verſuche, mit mehr Verwegenheit, als ſonſt hier erlaubt ſchien, was urſpruͤnglich die Prytanen Athens geweſen, auszumit- teln. Es gab in Athen einen Gerichtshof ἐπὶ Πϱυτα- νείῳ, der indeß in geſchichtlich bekannter Zeit nur noch Truͤmmer einer ehemals ausgedehnteren Eriminalge- richtsbarkeit beſaß 2. Daß er aber ehemals der erſte Gerichtshof von Athen war, beweist der Name der
1 Heſych: κέϱκος — ἐχϱῆτο δὲ αὐτῇ μᾶλλον ὁ ἐν Κῷ πϱύ- τανις. Vgl. damit das Opfer in Ariſtoph. Irene. — Der Pry- tane in der Apolliniſchen Stadt Kroton ging jeden Siebenten um die Altaͤre. Athen. 12, 522 c.
2 S. beſ. Andok. von den Myſt. p. 37.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0143"n="137"/>— Aller Orten haben die Prytanen von den Koͤnigen die<lb/>
Ausuͤbung oͤffentlicher Opfer ererbt, welche ſie meiſt in<lb/>
beſondern Gebaͤuden, auf der Agora, an dem gemein-<lb/>ſamen Heerde des Staats, verrichteten. So der Tene-<lb/>
diſche, dem Pindar ein Lied zu einem Eingangsopfer<lb/>
(εἰςιτήριον) gedichtet hat. In Kos war mit den<lb/>
Opfern des Prytanen wahrſcheinlich Empyromantie<lb/>
verbunden <noteplace="foot"n="1">Heſych: κέϱκος—ἐχϱῆτοδὲαὐτῇμᾶλλονὁἐνΚῷπϱύ-<lb/>τανις. Vgl. damit das Opfer in Ariſtoph. Irene. — Der Pry-<lb/>
tane in der Apolliniſchen Stadt Kroton ging jeden Siebenten um<lb/>
die Altaͤre. Athen. 12, 522 <hirendition="#aq">c.</hi></note>. Dieſe Opfer, die gemeinſamen Mahl-<lb/>
zeiten, die Aufnahme fremder Geſandten gehoͤrten in<lb/>
Athen eben ſo zum Amt der funfzig Prytanen, wie in<lb/>
Rhodos und Kos: aber die politiſche Bedeutung des<lb/>
Namens war durch die Demokratie eine ganz andere<lb/>
geworden, als in den mehr ariſtokratiſchen Verfaſ-<lb/>ſungen.</p></div><lb/><divn="3"><head>4.</head><lb/><p>Dieſe auffalkende Verſchiedenheit der Bedeu-<lb/>
tung der Prytanen in der Attiſchen und den aͤltern<lb/>
Verfaſſungen Griechenlands, und die Ueberzeugung,<lb/>
daß die Demokratie Athens, obgleich relativ jung,<lb/>
doch die fruͤheren Verhaͤltniſſe ſo ſehr in Vergeſſenheit<lb/>
gebracht und in Schatten geſtellt, daß man ſie nur<lb/>
noch in einzelnen Spuren und bedeutungslos geworde-<lb/>
nen Namen erkennt, reizt uns zu dem Verſuche, mit<lb/>
mehr Verwegenheit, als ſonſt hier erlaubt ſchien, was<lb/>
urſpruͤnglich die Prytanen Athens geweſen, auszumit-<lb/>
teln. Es gab in Athen einen Gerichtshof ἐπὶΠϱυτα-<lb/>νείῳ, der indeß in geſchichtlich bekannter Zeit nur noch<lb/>
Truͤmmer einer ehemals ausgedehnteren Eriminalge-<lb/>
richtsbarkeit beſaß <noteplace="foot"n="2">S. beſ. Andok. von den<lb/>
Myſt. <hirendition="#aq">p.</hi> 37.</note>. Daß er aber ehemals der erſte<lb/>
Gerichtshof von Athen war, beweist der Name der<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[137/0143]
— Aller Orten haben die Prytanen von den Koͤnigen die
Ausuͤbung oͤffentlicher Opfer ererbt, welche ſie meiſt in
beſondern Gebaͤuden, auf der Agora, an dem gemein-
ſamen Heerde des Staats, verrichteten. So der Tene-
diſche, dem Pindar ein Lied zu einem Eingangsopfer
(εἰςιτήριον) gedichtet hat. In Kos war mit den
Opfern des Prytanen wahrſcheinlich Empyromantie
verbunden 1. Dieſe Opfer, die gemeinſamen Mahl-
zeiten, die Aufnahme fremder Geſandten gehoͤrten in
Athen eben ſo zum Amt der funfzig Prytanen, wie in
Rhodos und Kos: aber die politiſche Bedeutung des
Namens war durch die Demokratie eine ganz andere
geworden, als in den mehr ariſtokratiſchen Verfaſ-
ſungen.
4.
Dieſe auffalkende Verſchiedenheit der Bedeu-
tung der Prytanen in der Attiſchen und den aͤltern
Verfaſſungen Griechenlands, und die Ueberzeugung,
daß die Demokratie Athens, obgleich relativ jung,
doch die fruͤheren Verhaͤltniſſe ſo ſehr in Vergeſſenheit
gebracht und in Schatten geſtellt, daß man ſie nur
noch in einzelnen Spuren und bedeutungslos geworde-
nen Namen erkennt, reizt uns zu dem Verſuche, mit
mehr Verwegenheit, als ſonſt hier erlaubt ſchien, was
urſpruͤnglich die Prytanen Athens geweſen, auszumit-
teln. Es gab in Athen einen Gerichtshof ἐπὶ Πϱυτα-
νείῳ, der indeß in geſchichtlich bekannter Zeit nur noch
Truͤmmer einer ehemals ausgedehnteren Eriminalge-
richtsbarkeit beſaß 2. Daß er aber ehemals der erſte
Gerichtshof von Athen war, beweist der Name der
1 Heſych: κέϱκος — ἐχϱῆτο δὲ αὐτῇ μᾶλλον ὁ ἐν Κῷ πϱύ-
τανις. Vgl. damit das Opfer in Ariſtoph. Irene. — Der Pry-
tane in der Apolliniſchen Stadt Kroton ging jeden Siebenten um
die Altaͤre. Athen. 12, 522 c.
2 S. beſ. Andok. von den
Myſt. p. 37.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/143>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.