rier nicht als ungerechte Eroberer, sondern blos als Wiedereroberer des ihren Fürsten von Väter-Zeiten her Gehörenden erscheinen: ungefähr so wie die Israeliten durch die blutige Unterjochung Canaans nur das ge- lobte Land, wo Abrahams Grabstätte war, wieder gewannen. -- Die Hauptländer des Dorischen Stam- mes, außer Argos, Lakedaemon und das Messenische Pylos, soll daher Herakles einst mit einem gewissen Rechte bekriegt und unterworfen, das Nationalfest der Olympien gestiftet, selbst zu den entferntesten Colonien soll er den Grund gelegt haben. Diese Eroberungen und Stiftungen, diese mythische Vorgeschichte der wirk- lichen Geschichte für faktisch zu halten, ist einer hellern Ansicht dieser Dinge unmöglich: und nur sehr gläubi- gen Leuten können wir halb im Scherze die Frage vor- legen, wie es in jener Zeit, wo Belagerungen so höchst langwierig waren, dem einen Herakles gelang, so viele mit unverwüstlichen Mauern umgebene Festen zu erstürmen.
Eine strengere Critik befiehlt, das Mythische in seinen Mittelpunkt zu verfolgen, und die Frage nicht ohne Antwort zu lassen: War wirklich der Herrscher- stamm der Dorier von den frühern Herrschern zu My- kenä entspungen? wie nicht blos die epische Erzählung, sondern auch die in Sparta selbst sanktionirte Sage behauptet. Tyrtaeos sang in der Eunomia:
Denn Kronion selbst, der Gemahl der erhabenen Hera, Zeus hat dieses Gebiet Herakles Stamme verliehn, Weichem geeint wir die Feste des Sturmes, Erineos, lassend Dieses Pelopischen Lands breite Gefilde erreicht 1.
1 Tonde polin ist Lakonien; wir die Dorier; Erineos bezeich- net die Tetrapolis. Strabo 8. p. 362. hat diese Verse ganz miß- verstanden; richtiger Brunk Lectt. ad Anal. T. 3. p. 8. Manso
rier nicht als ungerechte Eroberer, ſondern blos als Wiedereroberer des ihren Fuͤrſten von Vaͤter-Zeiten her Gehoͤrenden erſcheinen: ungefaͤhr ſo wie die Israeliten durch die blutige Unterjochung Canaans nur das ge- lobte Land, wo Abrahams Grabſtaͤtte war, wieder gewannen. — Die Hauptlaͤnder des Doriſchen Stam- mes, außer Argos, Lakedaemon und das Meſſeniſche Pylos, ſoll daher Herakles einſt mit einem gewiſſen Rechte bekriegt und unterworfen, das Nationalfeſt der Olympien geſtiftet, ſelbſt zu den entfernteſten Colonien ſoll er den Grund gelegt haben. Dieſe Eroberungen und Stiftungen, dieſe mythiſche Vorgeſchichte der wirk- lichen Geſchichte fuͤr faktiſch zu halten, iſt einer hellern Anſicht dieſer Dinge unmoͤglich: und nur ſehr glaͤubi- gen Leuten koͤnnen wir halb im Scherze die Frage vor- legen, wie es in jener Zeit, wo Belagerungen ſo hoͤchſt langwierig waren, dem einen Herakles gelang, ſo viele mit unverwuͤſtlichen Mauern umgebene Feſten zu erſtuͤrmen.
Eine ſtrengere Critik befiehlt, das Mythiſche in ſeinen Mittelpunkt zu verfolgen, und die Frage nicht ohne Antwort zu laſſen: War wirklich der Herrſcher- ſtamm der Dorier von den fruͤhern Herrſchern zu My- kenaͤ entſpungen? wie nicht blos die epiſche Erzaͤhlung, ſondern auch die in Sparta ſelbſt ſanktionirte Sage behauptet. Tyrtaeos ſang in der Eunomia:
Denn Kronion ſelbſt, der Gemahl der erhabenen Hera, Zeus hat dieſes Gebiet Herakles Stamme verliehn, Weichem geeint wir die Feſte des Sturmes, Erineos, laſſend Dieſes Pelopiſchen Lands breite Gefilde erreicht 1.
1 Τόνδε πόλιν iſt Lakonien; wir die Dorier; Erineos bezeich- net die Tetrapolis. Strabo 8. p. 362. hat dieſe Verſe ganz miß- verſtanden; richtiger Brunk Lectt. ad Anal. T. 3. p. 8. Manſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0077"n="47"/>
rier nicht als ungerechte Eroberer, ſondern blos als<lb/>
Wiedereroberer des ihren Fuͤrſten von Vaͤter-Zeiten her<lb/>
Gehoͤrenden erſcheinen: ungefaͤhr ſo wie die Israeliten<lb/>
durch die blutige Unterjochung Canaans nur das <hirendition="#g">ge-<lb/>
lobte</hi> Land, wo Abrahams Grabſtaͤtte war, wieder<lb/>
gewannen. — Die Hauptlaͤnder des Doriſchen Stam-<lb/>
mes, außer Argos, Lakedaemon und das Meſſeniſche<lb/>
Pylos, ſoll daher Herakles einſt mit einem gewiſſen<lb/>
Rechte bekriegt und unterworfen, das Nationalfeſt der<lb/>
Olympien geſtiftet, ſelbſt zu den entfernteſten Colonien<lb/>ſoll er den Grund gelegt haben. Dieſe Eroberungen<lb/>
und Stiftungen, dieſe mythiſche Vorgeſchichte der wirk-<lb/>
lichen Geſchichte fuͤr faktiſch zu halten, iſt einer hellern<lb/>
Anſicht dieſer Dinge unmoͤglich: und nur ſehr glaͤubi-<lb/>
gen Leuten koͤnnen wir halb im Scherze die Frage vor-<lb/>
legen, wie es in jener Zeit, wo Belagerungen ſo hoͤchſt<lb/>
langwierig waren, dem einen Herakles gelang, ſo<lb/>
viele mit unverwuͤſtlichen Mauern umgebene Feſten zu<lb/>
erſtuͤrmen.</p><lb/><p>Eine ſtrengere Critik befiehlt, das Mythiſche in<lb/>ſeinen Mittelpunkt zu verfolgen, und die Frage nicht<lb/>
ohne Antwort zu laſſen: War wirklich der Herrſcher-<lb/>ſtamm der Dorier von den fruͤhern Herrſchern zu My-<lb/>
kenaͤ entſpungen? wie nicht blos die epiſche Erzaͤhlung,<lb/>ſondern auch die in Sparta ſelbſt ſanktionirte Sage<lb/>
behauptet. Tyrtaeos ſang in der Eunomia:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Denn Kronion ſelbſt, der Gemahl der erhabenen Hera,</l><lb/><l>Zeus hat dieſes Gebiet Herakles Stamme verliehn,</l><lb/><l><hirendition="#g">Weichem geeint</hi> wir die Feſte des Sturmes, Erineos, laſſend</l><lb/><l>Dieſes Pelopiſchen Lands breite Gefilde erreicht <notexml:id="seg2pn_6_1"next="#seg2pn_6_2"place="foot"n="1">Τόνδεπόλιν iſt Lakonien; <hirendition="#g">wir</hi> die Dorier; Erineos bezeich-<lb/>
net die Tetrapolis. Strabo 8. <hirendition="#aq">p.</hi> 362. hat dieſe Verſe ganz miß-<lb/>
verſtanden; richtiger Brunk <hirendition="#aq">Lectt. ad Anal. T. 3. p.</hi> 8. Manſo</note>.</l></lg><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[47/0077]
rier nicht als ungerechte Eroberer, ſondern blos als
Wiedereroberer des ihren Fuͤrſten von Vaͤter-Zeiten her
Gehoͤrenden erſcheinen: ungefaͤhr ſo wie die Israeliten
durch die blutige Unterjochung Canaans nur das ge-
lobte Land, wo Abrahams Grabſtaͤtte war, wieder
gewannen. — Die Hauptlaͤnder des Doriſchen Stam-
mes, außer Argos, Lakedaemon und das Meſſeniſche
Pylos, ſoll daher Herakles einſt mit einem gewiſſen
Rechte bekriegt und unterworfen, das Nationalfeſt der
Olympien geſtiftet, ſelbſt zu den entfernteſten Colonien
ſoll er den Grund gelegt haben. Dieſe Eroberungen
und Stiftungen, dieſe mythiſche Vorgeſchichte der wirk-
lichen Geſchichte fuͤr faktiſch zu halten, iſt einer hellern
Anſicht dieſer Dinge unmoͤglich: und nur ſehr glaͤubi-
gen Leuten koͤnnen wir halb im Scherze die Frage vor-
legen, wie es in jener Zeit, wo Belagerungen ſo hoͤchſt
langwierig waren, dem einen Herakles gelang, ſo
viele mit unverwuͤſtlichen Mauern umgebene Feſten zu
erſtuͤrmen.
Eine ſtrengere Critik befiehlt, das Mythiſche in
ſeinen Mittelpunkt zu verfolgen, und die Frage nicht
ohne Antwort zu laſſen: War wirklich der Herrſcher-
ſtamm der Dorier von den fruͤhern Herrſchern zu My-
kenaͤ entſpungen? wie nicht blos die epiſche Erzaͤhlung,
ſondern auch die in Sparta ſelbſt ſanktionirte Sage
behauptet. Tyrtaeos ſang in der Eunomia:
Denn Kronion ſelbſt, der Gemahl der erhabenen Hera,
Zeus hat dieſes Gebiet Herakles Stamme verliehn,
Weichem geeint wir die Feſte des Sturmes, Erineos, laſſend
Dieſes Pelopiſchen Lands breite Gefilde erreicht 1.
1 Τόνδε πόλιν iſt Lakonien; wir die Dorier; Erineos bezeich-
net die Tetrapolis. Strabo 8. p. 362. hat dieſe Verſe ganz miß-
verſtanden; richtiger Brunk Lectt. ad Anal. T. 3. p. 8. Manſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/77>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.