Die bedeutendste und folgereichste unter allen Wanderungen Hellenischer Stämme, die durch die ganze Geschichte fortwirkende Ursache vieler Ereignisse, der Zug der Dorier in den Peloponnes, ist so durchaus in Mythen gekleidet; und diese sind schon früh mit solcher Consequenz ausgebildet, daß es nichts hilft sie einzeln zu prüfen, wenn man nicht vorher den Verband des Ganzen aufgelöst hat. Der sagenhafte Name dieses Zuges ist "die Rückkehr der Enkel des Herakles" 1. Herakles, der Sohn des Zeus, ist (schon in der Ilias) durch Geburt und Bestimmung Erbfürst von Tiryns und Mykenä und Herr der umwohnenden Völker 2. Aber durch eine böse Verwirrung erhält Eurystheus den Vorrang, und der Zeussohn muß ihm dienstbar werden. Doch erbt er die Ansprüche auf die Herr- schaft des Peloponnes auf seine Nachkommen fort, die sie hernach mit den Doriern vereint geltend machen: indem Herakles auch für diese solche Thaten vollbracht hat, daß seine Nachkommen stets das Drittel ihres Landes besitzen müssen. So ist nun Herakles Helden- leben die mythische Rechtfertigung, wodurch die Do-
1 e ton Erakleidon kalodos. Thuk. 1, 12. sagt: Do- rieis xun Erakleidais. Isokr. Archidam 6. spricht von einem Orakel: epi ten patroai ienai khoran.
2 19, 105.
3.
1.
Die bedeutendſte und folgereichſte unter allen Wanderungen Helleniſcher Staͤmme, die durch die ganze Geſchichte fortwirkende Urſache vieler Ereigniſſe, der Zug der Dorier in den Peloponnes, iſt ſo durchaus in Mythen gekleidet; und dieſe ſind ſchon fruͤh mit ſolcher Conſequenz ausgebildet, daß es nichts hilft ſie einzeln zu pruͤfen, wenn man nicht vorher den Verband des Ganzen aufgeloͤst hat. Der ſagenhafte Name dieſes Zuges iſt “die Ruͤckkehr der Enkel des Herakles” 1. Herakles, der Sohn des Zeus, iſt (ſchon in der Ilias) durch Geburt und Beſtimmung Erbfuͤrſt von Tiryns und Mykenaͤ und Herr der umwohnenden Voͤlker 2. Aber durch eine boͤſe Verwirrung erhaͤlt Euryſtheus den Vorrang, und der Zeusſohn muß ihm dienſtbar werden. Doch erbt er die Anſpruͤche auf die Herr- ſchaft des Peloponnes auf ſeine Nachkommen fort, die ſie hernach mit den Doriern vereint geltend machen: indem Herakles auch fuͤr dieſe ſolche Thaten vollbracht hat, daß ſeine Nachkommen ſtets das Drittel ihres Landes beſitzen muͤſſen. So iſt nun Herakles Helden- leben die mythiſche Rechtfertigung, wodurch die Do-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0076"n="46"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>3.</head><lb/><divn="3"><head>1.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>ie bedeutendſte und folgereichſte unter allen<lb/>
Wanderungen Helleniſcher Staͤmme, die durch die ganze<lb/>
Geſchichte fortwirkende Urſache vieler Ereigniſſe, der<lb/>
Zug der Dorier in den Peloponnes, iſt ſo durchaus in<lb/>
Mythen gekleidet; und dieſe ſind ſchon fruͤh mit ſolcher<lb/>
Conſequenz ausgebildet, daß es nichts hilft ſie einzeln<lb/>
zu pruͤfen, wenn man nicht vorher den Verband des<lb/>
Ganzen aufgeloͤst hat. Der ſagenhafte Name dieſes<lb/>
Zuges iſt “die Ruͤckkehr der Enkel des Herakles”<noteplace="foot"n="1">ἡτῶνἩϱακλειδῶνκἀλοδος. Thuk. 1, 12. ſagt: Δω-<lb/>ϱιεῖςξὺνἩϱακλείδαις. Iſokr. Archidam 6. ſpricht von einem<lb/>
Orakel: ἐπὶτὴνπατϱῴαιἰέναιχώϱαν.</note>.<lb/>
Herakles, der Sohn des Zeus, iſt (ſchon in der Ilias)<lb/>
durch Geburt und Beſtimmung Erbfuͤrſt von Tiryns<lb/>
und Mykenaͤ und Herr der umwohnenden Voͤlker <noteplace="foot"n="2">19, 105.</note>.<lb/>
Aber durch eine boͤſe Verwirrung erhaͤlt Euryſtheus<lb/>
den Vorrang, und der Zeusſohn muß ihm dienſtbar<lb/>
werden. Doch erbt er die Anſpruͤche auf die Herr-<lb/>ſchaft des Peloponnes auf ſeine Nachkommen fort, die<lb/>ſie hernach mit den Doriern vereint geltend machen:<lb/>
indem Herakles auch fuͤr dieſe ſolche Thaten vollbracht<lb/>
hat, daß ſeine Nachkommen ſtets das Drittel ihres<lb/>
Landes beſitzen muͤſſen. So iſt nun Herakles Helden-<lb/>
leben die mythiſche Rechtfertigung, wodurch die Do-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[46/0076]
3.
1.
Die bedeutendſte und folgereichſte unter allen
Wanderungen Helleniſcher Staͤmme, die durch die ganze
Geſchichte fortwirkende Urſache vieler Ereigniſſe, der
Zug der Dorier in den Peloponnes, iſt ſo durchaus in
Mythen gekleidet; und dieſe ſind ſchon fruͤh mit ſolcher
Conſequenz ausgebildet, daß es nichts hilft ſie einzeln
zu pruͤfen, wenn man nicht vorher den Verband des
Ganzen aufgeloͤst hat. Der ſagenhafte Name dieſes
Zuges iſt “die Ruͤckkehr der Enkel des Herakles” 1.
Herakles, der Sohn des Zeus, iſt (ſchon in der Ilias)
durch Geburt und Beſtimmung Erbfuͤrſt von Tiryns
und Mykenaͤ und Herr der umwohnenden Voͤlker 2.
Aber durch eine boͤſe Verwirrung erhaͤlt Euryſtheus
den Vorrang, und der Zeusſohn muß ihm dienſtbar
werden. Doch erbt er die Anſpruͤche auf die Herr-
ſchaft des Peloponnes auf ſeine Nachkommen fort, die
ſie hernach mit den Doriern vereint geltend machen:
indem Herakles auch fuͤr dieſe ſolche Thaten vollbracht
hat, daß ſeine Nachkommen ſtets das Drittel ihres
Landes beſitzen muͤſſen. So iſt nun Herakles Helden-
leben die mythiſche Rechtfertigung, wodurch die Do-
1 ἡ τῶν Ἡϱακλειδῶν κἀλοδος. Thuk. 1, 12. ſagt: Δω-
ϱιεῖς ξὺν Ἡϱακλείδαις. Iſokr. Archidam 6. ſpricht von einem
Orakel: ἐπὶ τὴν πατϱῴαι ἰέναι χώϱαν.
2 19, 105.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/76>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.