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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Erlegung des Kithäronischen Löwen ist ein Nachbild der
unten zu behandelnden Sage von Nemea. Bei diesem
Abentheuer kommt er nach Thespiä zu Thestios, und
befruchtet hier in einer oder sieben oder funfzig Näch-
ten die funfzig Töchter seines Wirths. Ob man blos
darin die Zeugkraft des gewaltigen Recken darstellen
wollte? Böckh hat gezeigt 1, daß zu Elis Selene mit
Endymion funfzig Söhne zeugt, deswegen, weil die
Olympiade funfzig Mondenmonate enthält. So liegt
denn sicher derselbe Sinn in der angeführten Fabel,
die sich entweder auf die Periode der Thespischen Ero-
tidien -- oder lieber auf die Nemeen bezieht und dann
nur übergetragen ist. Hier gebe ich scheinbar denen
freies Feld, die den Herakles für die Sonne erklären,
welche nun den Mond gleichsam funfzigmal beschläft,
und darnach funfzig cyklische Mondenmonate zeugt.
Doch scheint es mir rathsamer, zu erklären: Sobald
man Herakles einmal als Gründer des Festes ansah,
maß man ihm auch die Einrichtung der alten Jahres-
periode bei, und stellte diese in Redensarten alter
Symbolik -- vielleicht schon halb scherzend -- dar 2.
-- Was den wunderbaren Mythus anlangt von den
Kindern der Megara, die ihr wahnsinniger Vater in
das Feuer geworfen haben soll 3: so scheint allerdings
ein mystischer Sinn darin zu liegen, und es ist wahr-
scheinlich, daß aus alter Kadmeersage etwas hineinge-
tragen worden ist. Aber abgesehn von der Art, wie
Herakles seine Wuth ausläßt, so gehört diese Wuth
selbst zu den Grundzügen, die die Thebäer aus dem

1 Expl. Pind. O. 3, 18. p. 138. vgl. oben S. 252.
2 Zu Nemea verehrte man 360 angebliche Genossen des Herakles,
Aelian V. G. 4, 5.; offenbar auf das Jahr von 360 Tagen be-
bezüglich.
3 vgl. außer Heyne ad Apolld. Dissen Expl.
Pind. p.
509.
28 *

Erlegung des Kithaͤroniſchen Loͤwen iſt ein Nachbild der
unten zu behandelnden Sage von Nemea. Bei dieſem
Abentheuer kommt er nach Thespiaͤ zu Theſtios, und
befruchtet hier in einer oder ſieben oder funfzig Naͤch-
ten die funfzig Toͤchter ſeines Wirths. Ob man blos
darin die Zeugkraft des gewaltigen Recken darſtellen
wollte? Boͤckh hat gezeigt 1, daß zu Elis Selene mit
Endymion funfzig Soͤhne zeugt, deswegen, weil die
Olympiade funfzig Mondenmonate enthaͤlt. So liegt
denn ſicher derſelbe Sinn in der angefuͤhrten Fabel,
die ſich entweder auf die Periode der Thespiſchen Ero-
tidien — oder lieber auf die Nemeen bezieht und dann
nur uͤbergetragen iſt. Hier gebe ich ſcheinbar denen
freies Feld, die den Herakles fuͤr die Sonne erklaͤren,
welche nun den Mond gleichſam funfzigmal beſchlaͤft,
und darnach funfzig cykliſche Mondenmonate zeugt.
Doch ſcheint es mir rathſamer, zu erklaͤren: Sobald
man Herakles einmal als Gruͤnder des Feſtes anſah,
maß man ihm auch die Einrichtung der alten Jahres-
periode bei, und ſtellte dieſe in Redensarten alter
Symbolik — vielleicht ſchon halb ſcherzend — dar 2.
— Was den wunderbaren Mythus anlangt von den
Kindern der Megara, die ihr wahnſinniger Vater in
das Feuer geworfen haben ſoll 3: ſo ſcheint allerdings
ein myſtiſcher Sinn darin zu liegen, und es iſt wahr-
ſcheinlich, daß aus alter Kadmeerſage etwas hineinge-
tragen worden iſt. Aber abgeſehn von der Art, wie
Herakles ſeine Wuth auslaͤßt, ſo gehoͤrt dieſe Wuth
ſelbſt zu den Grundzuͤgen, die die Thebaͤer aus dem

1 Expl. Pind. O. 3, 18. p. 138. vgl. oben S. 252.
2 Zu Nemea verehrte man 360 angebliche Genoſſen des Herakles,
Aelian V. G. 4, 5.; offenbar auf das Jahr von 360 Tagen be-
bezuͤglich.
3 vgl. außer Heyne ad Apolld. Diſſen Expl.
Pind. p.
509.
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[435/0465] Erlegung des Kithaͤroniſchen Loͤwen iſt ein Nachbild der unten zu behandelnden Sage von Nemea. Bei dieſem Abentheuer kommt er nach Thespiaͤ zu Theſtios, und befruchtet hier in einer oder ſieben oder funfzig Naͤch- ten die funfzig Toͤchter ſeines Wirths. Ob man blos darin die Zeugkraft des gewaltigen Recken darſtellen wollte? Boͤckh hat gezeigt 1, daß zu Elis Selene mit Endymion funfzig Soͤhne zeugt, deswegen, weil die Olympiade funfzig Mondenmonate enthaͤlt. So liegt denn ſicher derſelbe Sinn in der angefuͤhrten Fabel, die ſich entweder auf die Periode der Thespiſchen Ero- tidien — oder lieber auf die Nemeen bezieht und dann nur uͤbergetragen iſt. Hier gebe ich ſcheinbar denen freies Feld, die den Herakles fuͤr die Sonne erklaͤren, welche nun den Mond gleichſam funfzigmal beſchlaͤft, und darnach funfzig cykliſche Mondenmonate zeugt. Doch ſcheint es mir rathſamer, zu erklaͤren: Sobald man Herakles einmal als Gruͤnder des Feſtes anſah, maß man ihm auch die Einrichtung der alten Jahres- periode bei, und ſtellte dieſe in Redensarten alter Symbolik — vielleicht ſchon halb ſcherzend — dar 2. — Was den wunderbaren Mythus anlangt von den Kindern der Megara, die ihr wahnſinniger Vater in das Feuer geworfen haben ſoll 3: ſo ſcheint allerdings ein myſtiſcher Sinn darin zu liegen, und es iſt wahr- ſcheinlich, daß aus alter Kadmeerſage etwas hineinge- tragen worden iſt. Aber abgeſehn von der Art, wie Herakles ſeine Wuth auslaͤßt, ſo gehoͤrt dieſe Wuth ſelbſt zu den Grundzuͤgen, die die Thebaͤer aus dem 1 Expl. Pind. O. 3, 18. p. 138. vgl. oben S. 252. 2 Zu Nemea verehrte man 360 angebliche Genoſſen des Herakles, Aelian V. G. 4, 5.; offenbar auf das Jahr von 360 Tagen be- bezuͤglich. 3 vgl. außer Heyne ad Apolld. Diſſen Expl. Pind. p. 509. 28 *

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/465>, abgerufen am 23.11.2024.