An die bisher dargestellten Mythen schließen sich dem Inhalt und Charakter nach zunächst die Böoti- schen an.
8.
Zur leichten Uebersicht der nachfolgenden Er- örterung stellen wir das Resultat, auf das wir hinaus wollen, sogleich voraus.
Herakles in Theben ist nicht als Kadme- one anzusehen, da er nichts mit den alten Göttern und Sagen der Kadmeer zu thun hat; er ist theils durch Dorische Herakliden, theils von Delphi aus mit dem Cultus des Apollon nach Böotien gekommen, und seine Mythen beziehen sich zum großen Theil auf diesen Cultus; die darin ausgedrückten Ideen sind mit einzelnen Modificationen dieselben, wel- che dem Dorischen Heraklesmythus unterliegen.
Zum Beweis, daß Herakles mit den Kadmeischen Göttern, Tempeln, Fürsten in keiner Verbindung steht, dürfte man nur eine Geschlechtstafel der Thebäischen Mythologie und einen nach Pausanias entworfenen Plan von Theben vor sich legen. Aus jener sähe man dann, daß die Mythe den Herakles, dessen Vater sie als Flüchtling von Mykenä dort ankommen läßt, in gar keine Verwandtschaft und Verschwägerung mit den Kadmeern treten läßt; denn Kreon, der angebliche Schwiegervater des Helden, ist eine blos Lücken aus- füllende Person der Dichtung 1: -- aus diesem, daß Herakles Heiligthümer nicht blos nicht auf der Burg, wie die des Kadmos, der Harmonia, Semele, sondern auch nicht in den Ringmauern der Stadt, daß sie selbst außerhalb der Thore standen. Diese Betrachtung ist ohne
1 Auch Heyne ad Apolld. 2, 4, 6. bemerkt einsichtig: Her- culis Thebani facta et fata ad Thebanas historias accommo- dare difficile est.
An die bisher dargeſtellten Mythen ſchließen ſich dem Inhalt und Charakter nach zunaͤchſt die Boͤoti- ſchen an.
8.
Zur leichten Ueberſicht der nachfolgenden Er- oͤrterung ſtellen wir das Reſultat, auf das wir hinaus wollen, ſogleich voraus.
Herakles in Theben iſt nicht als Kadme- one anzuſehen, da er nichts mit den alten Goͤttern und Sagen der Kadmeer zu thun hat; er iſt theils durch Doriſche Herakliden, theils von Delphi aus mit dem Cultus des Apollon nach Boͤotien gekommen, und ſeine Mythen beziehen ſich zum großen Theil auf dieſen Cultus; die darin ausgedruͤckten Ideen ſind mit einzelnen Modificationen dieſelben, wel- che dem Doriſchen Heraklesmythus unterliegen.
Zum Beweis, daß Herakles mit den Kadmeiſchen Goͤttern, Tempeln, Fuͤrſten in keiner Verbindung ſteht, duͤrfte man nur eine Geſchlechtstafel der Thebaͤiſchen Mythologie und einen nach Pauſanias entworfenen Plan von Theben vor ſich legen. Aus jener ſaͤhe man dann, daß die Mythe den Herakles, deſſen Vater ſie als Fluͤchtling von Mykenaͤ dort ankommen laͤßt, in gar keine Verwandtſchaft und Verſchwaͤgerung mit den Kadmeern treten laͤßt; denn Kreon, der angebliche Schwiegervater des Helden, iſt eine blos Luͤcken aus- fuͤllende Perſon der Dichtung 1: — aus dieſem, daß Herakles Heiligthuͤmer nicht blos nicht auf der Burg, wie die des Kadmos, der Harmonia, Semele, ſondern auch nicht in den Ringmauern der Stadt, daß ſie ſelbſt außerhalb der Thore ſtanden. Dieſe Betrachtung iſt ohne
1 Auch Heyne ad Apolld. 2, 4, 6. bemerkt einſichtig: Her- culis Thebani facta et fata ad Thebanas historias accommo- dare difficile est.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0459"n="429"/><p>An die bisher dargeſtellten Mythen ſchließen ſich<lb/>
dem Inhalt und Charakter nach zunaͤchſt die <hirendition="#g">Boͤoti-<lb/>ſchen</hi> an.</p></div><lb/><divn="4"><head>8.</head><lb/><p>Zur leichten Ueberſicht der nachfolgenden Er-<lb/>
oͤrterung ſtellen wir das Reſultat, auf das wir hinaus<lb/>
wollen, ſogleich voraus.</p><lb/><p><hirendition="#g">Herakles in Theben iſt nicht als Kadme-<lb/>
one anzuſehen</hi>, da er nichts mit den alten Goͤttern<lb/>
und Sagen der Kadmeer zu thun hat; er iſt theils<lb/><hirendition="#g">durch Doriſche Herakliden</hi>, theils von <hirendition="#g">Delphi<lb/>
aus mit dem Cultus des Apollon</hi> nach Boͤotien<lb/>
gekommen, und ſeine Mythen beziehen ſich zum großen<lb/>
Theil auf dieſen Cultus; die darin ausgedruͤckten<lb/>
Ideen ſind mit einzelnen Modificationen dieſelben, wel-<lb/>
che dem Doriſchen Heraklesmythus unterliegen.</p><lb/><p>Zum Beweis, daß Herakles mit den Kadmeiſchen<lb/>
Goͤttern, Tempeln, Fuͤrſten in keiner Verbindung ſteht,<lb/>
duͤrfte man nur eine Geſchlechtstafel der Thebaͤiſchen<lb/>
Mythologie und einen nach Pauſanias entworfenen<lb/>
Plan von Theben vor ſich legen. Aus jener ſaͤhe man<lb/>
dann, daß die Mythe den Herakles, deſſen Vater ſie<lb/>
als Fluͤchtling von Mykenaͤ dort ankommen laͤßt, in<lb/>
gar keine Verwandtſchaft und Verſchwaͤgerung mit den<lb/>
Kadmeern treten laͤßt; denn Kreon, der angebliche<lb/>
Schwiegervater des Helden, iſt eine blos Luͤcken aus-<lb/>
fuͤllende Perſon der Dichtung <noteplace="foot"n="1">Auch Heyne <hirendition="#aq">ad Apolld.</hi> 2, 4, 6. bemerkt einſichtig: <hirendition="#aq">Her-<lb/>
culis Thebani facta et fata ad Thebanas historias accommo-<lb/>
dare difficile est</hi>.</note>: — aus dieſem, daß<lb/>
Herakles Heiligthuͤmer nicht blos nicht auf der Burg,<lb/>
wie die des Kadmos, der Harmonia, Semele, ſondern<lb/>
auch nicht in den Ringmauern der Stadt, daß ſie ſelbſt<lb/>
außerhalb der Thore ſtanden. Dieſe Betrachtung iſt ohne<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[429/0459]
An die bisher dargeſtellten Mythen ſchließen ſich
dem Inhalt und Charakter nach zunaͤchſt die Boͤoti-
ſchen an.
8.
Zur leichten Ueberſicht der nachfolgenden Er-
oͤrterung ſtellen wir das Reſultat, auf das wir hinaus
wollen, ſogleich voraus.
Herakles in Theben iſt nicht als Kadme-
one anzuſehen, da er nichts mit den alten Goͤttern
und Sagen der Kadmeer zu thun hat; er iſt theils
durch Doriſche Herakliden, theils von Delphi
aus mit dem Cultus des Apollon nach Boͤotien
gekommen, und ſeine Mythen beziehen ſich zum großen
Theil auf dieſen Cultus; die darin ausgedruͤckten
Ideen ſind mit einzelnen Modificationen dieſelben, wel-
che dem Doriſchen Heraklesmythus unterliegen.
Zum Beweis, daß Herakles mit den Kadmeiſchen
Goͤttern, Tempeln, Fuͤrſten in keiner Verbindung ſteht,
duͤrfte man nur eine Geſchlechtstafel der Thebaͤiſchen
Mythologie und einen nach Pauſanias entworfenen
Plan von Theben vor ſich legen. Aus jener ſaͤhe man
dann, daß die Mythe den Herakles, deſſen Vater ſie
als Fluͤchtling von Mykenaͤ dort ankommen laͤßt, in
gar keine Verwandtſchaft und Verſchwaͤgerung mit den
Kadmeern treten laͤßt; denn Kreon, der angebliche
Schwiegervater des Helden, iſt eine blos Luͤcken aus-
fuͤllende Perſon der Dichtung 1: — aus dieſem, daß
Herakles Heiligthuͤmer nicht blos nicht auf der Burg,
wie die des Kadmos, der Harmonia, Semele, ſondern
auch nicht in den Ringmauern der Stadt, daß ſie ſelbſt
außerhalb der Thore ſtanden. Dieſe Betrachtung iſt ohne
1 Auch Heyne ad Apolld. 2, 4, 6. bemerkt einſichtig: Her-
culis Thebani facta et fata ad Thebanas historias accommo-
dare difficile est.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/459>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.