endete sich so ein nationales Sagenepos, wovon wir nur einzelne Fragmente haben. Denn es ist kein Zwei- fel, daß die in u. um Thessalien lokalen Abentheuer des Heros, welche auch noch in der gewöhnlichen Erzählung fast ganz zusammengeblieben sind, einen eignen Cyclus bildeten, der in sich abgeschlossener und gerundeter war, als die Heraklesfabel jetzt erscheint. Wenigstens muß man aber noch annehmen, daß die Wanderung zu den Hyperboreern, die jetzt durch die Anlegung des Haines von Olympia motivirt wird, einst in diesem Sagen- kreise ihre Wurzel hatte, in dem so viel Beziehung auf Apollodienst ist. So geben dann die bis hieher erör- terten Mythen, ohne alle fremdartige Zuthat, den kla- ren und bestimmten Sinn: Der nationale Held bahnt dem Volkstamme und dessen Cultus überall den Weg, und schützt und verficht den letztern gegen fremde Stäm- me. Er bahnt die Straßen der Verbindung zwischen Tempe und Delphi, zwischen den mythischen Uranbe- tern des Gottes, den Hyperboreern, und seinen zeitigen Verehrern. Zugleich ist seine Person selbst eine Dar- stellung dieses Cultus nach außen hin; er genügt den Forderungen desselben in Hinsicht auf Blutsühne, er ist Vollführer und Vollbringer zugleich. Er ist seines Volkes Alexikakos, wie Apollon, und macht dessen Ei- genthümlichkeit gegen fremdartiges Wesen und Leben geltend. Sein mühevoll durchgerungenes Heldenleben schließt er rückkehrend zum Olympischen Zeus, das ir- dische Trübsal ausläuternd und die starke Seele zu ewig unverdüsterter Heiterkeit verklärend. So führt er gleichsam die heroische Menschenkraft, die er darstellte, in den Kreis der Gottheit ein; und in ihm apotheo- sirt sich die alte Menschheit selbst.
endete ſich ſo ein nationales Sagenepos, wovon wir nur einzelne Fragmente haben. Denn es iſt kein Zwei- fel, daß die in u. um Theſſalien lokalen Abentheuer des Heros, welche auch noch in der gewoͤhnlichen Erzaͤhlung faſt ganz zuſammengeblieben ſind, einen eignen Cyclus bildeten, der in ſich abgeſchloſſener und gerundeter war, als die Heraklesfabel jetzt erſcheint. Wenigſtens muß man aber noch annehmen, daß die Wanderung zu den Hyperboreern, die jetzt durch die Anlegung des Haines von Olympia motivirt wird, einſt in dieſem Sagen- kreiſe ihre Wurzel hatte, in dem ſo viel Beziehung auf Apollodienſt iſt. So geben dann die bis hieher eroͤr- terten Mythen, ohne alle fremdartige Zuthat, den kla- ren und beſtimmten Sinn: Der nationale Held bahnt dem Volkſtamme und deſſen Cultus uͤberall den Weg, und ſchuͤtzt und verficht den letztern gegen fremde Staͤm- me. Er bahnt die Straßen der Verbindung zwiſchen Tempe und Delphi, zwiſchen den mythiſchen Uranbe- tern des Gottes, den Hyperboreern, und ſeinen zeitigen Verehrern. Zugleich iſt ſeine Perſon ſelbſt eine Dar- ſtellung dieſes Cultus nach außen hin; er genuͤgt den Forderungen deſſelben in Hinſicht auf Blutſuͤhne, er iſt Vollfuͤhrer und Vollbringer zugleich. Er iſt ſeines Volkes Alexikakos, wie Apollon, und macht deſſen Ei- genthuͤmlichkeit gegen fremdartiges Weſen und Leben geltend. Sein muͤhevoll durchgerungenes Heldenleben ſchließt er ruͤckkehrend zum Olympiſchen Zeus, das ir- diſche Truͤbſal auslaͤuternd und die ſtarke Seele zu ewig unverduͤſterter Heiterkeit verklaͤrend. So fuͤhrt er gleichſam die heroiſche Menſchenkraft, die er darſtellte, in den Kreis der Gottheit ein; und in ihm apotheo- ſirt ſich die alte Menſchheit ſelbſt.
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endete ſich ſo ein nationales Sagenepos, wovon wir
nur einzelne Fragmente haben. Denn es iſt kein Zwei-
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Heros, welche auch noch in der gewoͤhnlichen Erzaͤhlung
faſt ganz zuſammengeblieben ſind, einen eignen Cyclus
bildeten, der in ſich abgeſchloſſener und gerundeter war,
als die Heraklesfabel jetzt erſcheint. Wenigſtens muß
man aber noch annehmen, daß die Wanderung zu den
Hyperboreern, die jetzt durch die Anlegung des Haines
von Olympia motivirt wird, einſt in dieſem Sagen-
kreiſe ihre Wurzel hatte, in dem ſo viel Beziehung auf
Apollodienſt iſt. So geben dann die bis hieher eroͤr-
terten Mythen, ohne alle fremdartige Zuthat, den kla-
ren und beſtimmten Sinn: Der nationale Held bahnt
dem Volkſtamme und deſſen Cultus uͤberall den Weg,
und ſchuͤtzt und verficht den letztern gegen fremde Staͤm-
me. Er bahnt die Straßen der Verbindung zwiſchen
Tempe und Delphi, zwiſchen den mythiſchen Uranbe-
tern des Gottes, den Hyperboreern, und ſeinen zeitigen
Verehrern. Zugleich iſt ſeine Perſon ſelbſt eine Dar-
ſtellung dieſes Cultus nach außen hin; er genuͤgt den
Forderungen deſſelben in Hinſicht auf Blutſuͤhne, er iſt
Vollfuͤhrer und Vollbringer zugleich. Er iſt ſeines
Volkes Alexikakos, wie Apollon, und macht deſſen Ei-
genthuͤmlichkeit gegen fremdartiges Weſen und Leben
geltend. Sein muͤhevoll durchgerungenes Heldenleben
ſchließt er ruͤckkehrend zum Olympiſchen Zeus, das ir-
diſche Truͤbſal auslaͤuternd und die ſtarke Seele zu ewig
unverduͤſterter Heiterkeit verklaͤrend. So fuͤhrt er
gleichſam die heroiſche Menſchenkraft, die er darſtellte,
in den Kreis der Gottheit ein; und in ihm apotheo-
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/458>, abgerufen am 27.11.2024.
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