keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des Gottes, der zuerst ihre Wunderkraft dargethan, zu- schrieb 1; doch löst sich so keineswegs der ganze My- thus auf.
20.
Endlich steht der Apollodienst auch mit einem Zweige Griechischer Philosophie in einem solchen Ver- hältniß, daß diese in mancher Hinsicht wissenschaftlich begründet und ausführt, was jener nur für das Gefühl andeutete, nämlich mit dem Pythagoreis- mus. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon; er zog nach Kroton, wo dieser Gott so vielfach verehrt wurde 2; er lebte meist unter Doriern, die diesem Dienste überall anhingen; unter seinen Anhängern wird selbst eine Delphische Priesterin, Aristokleia, genannt 3. Man hat die Pythagorische Philosophie in neuern Zei- ten mit Recht als die Dorische zu betrachten angefan- gen: so folgte sie auch in der Politik Dorischen Grund- sätzen, so knüpfte sie sich äußerlich wie innerlich an Dorische Religion an: und eben das Bestreben, na- tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr- schend zu machen, erklärt vielleicht das wunderbare Phänomen der so schnell anwachsenden Macht des Pythagorischen Bundes. Im Innern dieser Philoso- phie ruht immer die Grundansicht: das Wesen der Dinge liege in dem Maaße, dem Verhältnisse, der geregelten Form; alles bestehe einzig durch Harmonie und Sym- metrie; die Welt selbst sei eine Einheit aller dieser Verhältnisse, ein kosmos; dabei beachtet sie das die Form erfüllende, Stoffartige eigentlich wenig, das
1 Platon Charmid. 158 b. Lykurg g. Menesächmos bei Eu- dokia Viol. p. 20. u. Nonnus ad Gregor. in Creuzer Meletem. P. 1. p. 76.
2 S. 264.
3 Fabric. Bibl. 1. S. 881. Harl. vgl. Apostol. 17, 86. -- Manches dahin einschlagende in Zinserlings seltsamem aber interessanten Pythagoras-Apollon.
keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des Gottes, der zuerſt ihre Wunderkraft dargethan, zu- ſchrieb 1; doch loͤst ſich ſo keineswegs der ganze My- thus auf.
20.
Endlich ſteht der Apollodienſt auch mit einem Zweige Griechiſcher Philoſophie in einem ſolchen Ver- haͤltniß, daß dieſe in mancher Hinſicht wiſſenſchaftlich begruͤndet und ausfuͤhrt, was jener nur fuͤr das Gefuͤhl andeutete, naͤmlich mit dem Pythagoreis- mus. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon; er zog nach Kroton, wo dieſer Gott ſo vielfach verehrt wurde 2; er lebte meiſt unter Doriern, die dieſem Dienſte uͤberall anhingen; unter ſeinen Anhaͤngern wird ſelbſt eine Delphiſche Prieſterin, Ariſtokleia, genannt 3. Man hat die Pythagoriſche Philoſophie in neuern Zei- ten mit Recht als die Doriſche zu betrachten angefan- gen: ſo folgte ſie auch in der Politik Doriſchen Grund- ſaͤtzen, ſo knuͤpfte ſie ſich aͤußerlich wie innerlich an Doriſche Religion an: und eben das Beſtreben, na- tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr- ſchend zu machen, erklaͤrt vielleicht das wunderbare Phaͤnomen der ſo ſchnell anwachſenden Macht des Pythagoriſchen Bundes. Im Innern dieſer Philoſo- phie ruht immer die Grundanſicht: das Weſen der Dinge liege in dem Maaße, dem Verhaͤltniſſe, der geregelten Form; alles beſtehe einzig durch Harmonie und Sym- metrie; die Welt ſelbſt ſei eine Einheit aller dieſer Verhaͤltniſſe, ein κόσμος; dabei beachtet ſie das die Form erfuͤllende, Stoffartige eigentlich wenig, das
1 Platon Charmid. 158 b. Lykurg g. Meneſaͤchmos bei Eu- dokia Viol. p. 20. u. Nonnus ad Gregor. in Creuzer Meletem. P. 1. p. 76.
2 S. 264.
3 Fabric. Bibl. 1. S. 881. Harl. vgl. Apoſtol. 17, 86. — Manches dahin einſchlagende in Zinſerlings ſeltſamem aber intereſſanten Pythagoras-Apollon.
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keit wegen einem Hyperboreer, einem Vertrauten des
Gottes, der zuerſt ihre Wunderkraft dargethan, zu-
ſchrieb 1; doch loͤst ſich ſo keineswegs der ganze My-
thus auf.
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Endlich ſteht der Apollodienſt auch mit einem
Zweige Griechiſcher Philoſophie in einem ſolchen Ver-
haͤltniß, daß dieſe in mancher Hinſicht wiſſenſchaftlich
begruͤndet und ausfuͤhrt, was jener nur fuͤr das
Gefuͤhl andeutete, naͤmlich mit dem Pythagoreis-
mus. Pythagoras hatte erbliche Sacra des Apollon;
er zog nach Kroton, wo dieſer Gott ſo vielfach verehrt
wurde 2; er lebte meiſt unter Doriern, die dieſem
Dienſte uͤberall anhingen; unter ſeinen Anhaͤngern wird
ſelbſt eine Delphiſche Prieſterin, Ariſtokleia, genannt 3.
Man hat die Pythagoriſche Philoſophie in neuern Zei-
ten mit Recht als die Doriſche zu betrachten angefan-
gen: ſo folgte ſie auch in der Politik Doriſchen Grund-
ſaͤtzen, ſo knuͤpfte ſie ſich aͤußerlich wie innerlich an
Doriſche Religion an: und eben das Beſtreben, na-
tionale Ideen und Prinzipe zu verwirklichen und herr-
ſchend zu machen, erklaͤrt vielleicht das wunderbare
Phaͤnomen der ſo ſchnell anwachſenden Macht des
Pythagoriſchen Bundes. Im Innern dieſer Philoſo-
phie ruht immer die Grundanſicht: das Weſen der Dinge
liege in dem Maaße, dem Verhaͤltniſſe, der geregelten
Form; alles beſtehe einzig durch Harmonie und Sym-
metrie; die Welt ſelbſt ſei eine Einheit aller dieſer
Verhaͤltniſſe, ein κόσμος; dabei beachtet ſie das die
Form erfuͤllende, Stoffartige eigentlich wenig, das
1 Platon Charmid. 158 b. Lykurg g. Meneſaͤchmos bei Eu-
dokia Viol. p. 20. u. Nonnus ad Gregor. in Creuzer Meletem.
P. 1. p. 76.
2 S. 264.
3 Fabric. Bibl. 1. S. 881.
Harl. vgl. Apoſtol. 17, 86. — Manches dahin einſchlagende in
Zinſerlings ſeltſamem aber intereſſanten Pythagoras-Apollon.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/395>, abgerufen am 16.02.2025.
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