gute, die umgekehrte eine böse. Dies läßt sich am sichersten aus dem Sprachgebrauche von Moira und Aisa selbst erkennen. Nach Homer ist es selbst mög- lich, daß Jemand gegen das Geschick handle: da für das einfache Gefühl allerdings der rechte Lauf der Dinge durch Willkühr unterbrochen werden zu können scheint. Diesen rechten Lauf der Dinge nun, nach dem erfüllet wird, was in der Natur der Sache liegt, ver- künden die alten Orakel, und nur so erklärt sich der Sprachgebrauch, warum die Sprüche Apollons Themi- stes, Ordnungen, heißen 1. Apollon giebt an, was in jeglichem Bezuge themis sei. Nun muß es frei- lich wunderbar scheinen, daß man nicht zu solchem Endzwecke eine ruhige Ueberlegung für das beste Mit- tel befand, und das Orakel von einer Frau im Zu- stande der Ekstase ausgesprochen werden mußte. Aber erscheint nicht auch in den älteren Zeiten der Griechi- schen Philosophie jede neue und tiefe Erkenntniß als ein Werk plötzlicher Erleuchtung und Ekstase; oft von wunderbaren Umständen begleitet? und mußte nicht das Gemüth jener Zeitalter von selbst in diesen Zustand versetzt werden, wenn es sich der individuellen Be- schränkung zu entziehn, und in dem Geschehenen das Walten der Götter zu erkennen strebte? Die Mittel, um diese Begeisterung zu befördern, der Hauch der Kluft, das Käuen des Lorbeers, das Trinken des Quellwassers, sind von höchst unschuldiger Art. Indes- sen stehn wir nicht in Abrede, daß früh die äußere Form ein bedeutungloses Spiel wurde, während poli-
1 S. besonders Od. 16, 403. Hymn. Ap. P. 210. vgl. Aelian V. G. 3, 43. 44. Diod. 5, 67. Harpokr. themisteuein Aa. Themis mit Apollon verehrt zu Delphi (wie auch die verdorbene Glosse des Hesych s. v. themis zu sagen scheint) und im Didymäon, Chis- dull Antt. Ass. p. 67.
gute, die umgekehrte eine boͤſe. Dies laͤßt ſich am ſicherſten aus dem Sprachgebrauche von Μοῖρα und Αἶσα ſelbſt erkennen. Nach Homer iſt es ſelbſt moͤg- lich, daß Jemand gegen das Geſchick handle: da fuͤr das einfache Gefuͤhl allerdings der rechte Lauf der Dinge durch Willkuͤhr unterbrochen werden zu koͤnnen ſcheint. Dieſen rechten Lauf der Dinge nun, nach dem erfuͤllet wird, was in der Natur der Sache liegt, ver- kuͤnden die alten Orakel, und nur ſo erklaͤrt ſich der Sprachgebrauch, warum die Spruͤche Apollons Θέμι- στες, Ordnungen, heißen 1. Apollon giebt an, was in jeglichem Bezuge ϑέμις ſei. Nun muß es frei- lich wunderbar ſcheinen, daß man nicht zu ſolchem Endzwecke eine ruhige Ueberlegung fuͤr das beſte Mit- tel befand, und das Orakel von einer Frau im Zu- ſtande der Ekſtaſe ausgeſprochen werden mußte. Aber erſcheint nicht auch in den aͤlteren Zeiten der Griechi- ſchen Philoſophie jede neue und tiefe Erkenntniß als ein Werk ploͤtzlicher Erleuchtung und Ekſtaſe; oft von wunderbaren Umſtaͤnden begleitet? und mußte nicht das Gemuͤth jener Zeitalter von ſelbſt in dieſen Zuſtand verſetzt werden, wenn es ſich der individuellen Be- ſchraͤnkung zu entziehn, und in dem Geſchehenen das Walten der Goͤtter zu erkennen ſtrebte? Die Mittel, um dieſe Begeiſterung zu befoͤrdern, der Hauch der Kluft, das Kaͤuen des Lorbeers, das Trinken des Quellwaſſers, ſind von hoͤchſt unſchuldiger Art. Indeſ- ſen ſtehn wir nicht in Abrede, daß fruͤh die aͤußere Form ein bedeutungloſes Spiel wurde, waͤhrend poli-
1 S. beſonders Od. 16, 403. Hymn. Ap. P. 210. vgl. Aelian V. G. 3, 43. 44. Diod. 5, 67. Harpokr. θεμιστεύειν Aa. Themis mit Apollon verehrt zu Delphi (wie auch die verdorbene Gloſſe des Heſych s. v. θέμις zu ſagen ſcheint) und im Didymaͤon, Chis- dull Antt. Ass. p. 67.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0368"n="338"/>
gute, die umgekehrte eine boͤſe. Dies laͤßt ſich am<lb/>ſicherſten aus dem Sprachgebrauche von Μοῖρα und<lb/>Αἶσαſelbſt erkennen. Nach Homer iſt es ſelbſt moͤg-<lb/>
lich, daß Jemand gegen das Geſchick handle: da fuͤr<lb/>
das einfache Gefuͤhl allerdings der rechte Lauf der<lb/>
Dinge durch Willkuͤhr unterbrochen werden zu koͤnnen<lb/>ſcheint. Dieſen rechten Lauf der Dinge nun, nach dem<lb/>
erfuͤllet wird, was in der Natur der Sache liegt, ver-<lb/>
kuͤnden die alten Orakel, und nur ſo erklaͤrt ſich der<lb/>
Sprachgebrauch, warum die Spruͤche Apollons <hirendition="#g">Θέμι-<lb/>στες, Ordnungen</hi>, heißen <noteplace="foot"n="1">S. beſonders Od. 16, 403. Hymn. Ap. P. 210. vgl.<lb/>
Aelian V. G. 3, 43. 44. Diod. 5, 67. Harpokr. θεμιστεύειν Aa.<lb/>
Themis mit Apollon verehrt zu Delphi (wie auch die verdorbene Gloſſe<lb/>
des Heſych <hirendition="#aq">s. v.</hi>θέμις zu ſagen ſcheint) und im Didymaͤon, Chis-<lb/>
dull <hirendition="#aq">Antt. Ass. p.</hi> 67.</note>. Apollon giebt an,<lb/>
was in jeglichem Bezuge ϑέμιςſei. Nun muß es frei-<lb/>
lich wunderbar ſcheinen, daß man nicht zu ſolchem<lb/>
Endzwecke eine ruhige Ueberlegung fuͤr das beſte Mit-<lb/>
tel befand, und das Orakel von einer Frau im Zu-<lb/>ſtande der Ekſtaſe ausgeſprochen werden mußte. Aber<lb/>
erſcheint nicht auch in den aͤlteren Zeiten der Griechi-<lb/>ſchen Philoſophie jede neue und tiefe Erkenntniß als<lb/>
ein Werk ploͤtzlicher Erleuchtung und Ekſtaſe; oft von<lb/>
wunderbaren Umſtaͤnden begleitet? und mußte nicht<lb/>
das Gemuͤth jener Zeitalter von ſelbſt in dieſen Zuſtand<lb/>
verſetzt werden, wenn es ſich der individuellen Be-<lb/>ſchraͤnkung zu entziehn, und in dem Geſchehenen das<lb/>
Walten der Goͤtter zu erkennen ſtrebte? Die Mittel,<lb/>
um dieſe Begeiſterung zu befoͤrdern, der Hauch der<lb/>
Kluft, das Kaͤuen des Lorbeers, das Trinken des<lb/>
Quellwaſſers, ſind von hoͤchſt unſchuldiger Art. Indeſ-<lb/>ſen ſtehn wir nicht in Abrede, daß fruͤh die aͤußere<lb/>
Form ein bedeutungloſes Spiel wurde, waͤhrend poli-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[338/0368]
gute, die umgekehrte eine boͤſe. Dies laͤßt ſich am
ſicherſten aus dem Sprachgebrauche von Μοῖρα und
Αἶσα ſelbſt erkennen. Nach Homer iſt es ſelbſt moͤg-
lich, daß Jemand gegen das Geſchick handle: da fuͤr
das einfache Gefuͤhl allerdings der rechte Lauf der
Dinge durch Willkuͤhr unterbrochen werden zu koͤnnen
ſcheint. Dieſen rechten Lauf der Dinge nun, nach dem
erfuͤllet wird, was in der Natur der Sache liegt, ver-
kuͤnden die alten Orakel, und nur ſo erklaͤrt ſich der
Sprachgebrauch, warum die Spruͤche Apollons Θέμι-
στες, Ordnungen, heißen 1. Apollon giebt an,
was in jeglichem Bezuge ϑέμις ſei. Nun muß es frei-
lich wunderbar ſcheinen, daß man nicht zu ſolchem
Endzwecke eine ruhige Ueberlegung fuͤr das beſte Mit-
tel befand, und das Orakel von einer Frau im Zu-
ſtande der Ekſtaſe ausgeſprochen werden mußte. Aber
erſcheint nicht auch in den aͤlteren Zeiten der Griechi-
ſchen Philoſophie jede neue und tiefe Erkenntniß als
ein Werk ploͤtzlicher Erleuchtung und Ekſtaſe; oft von
wunderbaren Umſtaͤnden begleitet? und mußte nicht
das Gemuͤth jener Zeitalter von ſelbſt in dieſen Zuſtand
verſetzt werden, wenn es ſich der individuellen Be-
ſchraͤnkung zu entziehn, und in dem Geſchehenen das
Walten der Goͤtter zu erkennen ſtrebte? Die Mittel,
um dieſe Begeiſterung zu befoͤrdern, der Hauch der
Kluft, das Kaͤuen des Lorbeers, das Trinken des
Quellwaſſers, ſind von hoͤchſt unſchuldiger Art. Indeſ-
ſen ſtehn wir nicht in Abrede, daß fruͤh die aͤußere
Form ein bedeutungloſes Spiel wurde, waͤhrend poli-
1 S. beſonders Od. 16, 403. Hymn. Ap. P. 210. vgl.
Aelian V. G. 3, 43. 44. Diod. 5, 67. Harpokr. θεμιστεύειν Aa.
Themis mit Apollon verehrt zu Delphi (wie auch die verdorbene Gloſſe
des Heſych s. v. θέμις zu ſagen ſcheint) und im Didymaͤon, Chis-
dull Antt. Ass. p. 67.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/368>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.