brach. Man wird darin das Zeugniß der Delpher selbst achten müssen, daß von hier aus der Dienst zu ihnen gekommen, und das Bekenntniß implicirt finden, daß den Lorbeerbäumen von Tempe größere Heiligkeit und Sühnkraft zukomme als ihren eigenen. Nach der al- ten Sage, daß Apollon selbst nach Tödtung des Py- thon zum Altar von Tempe geflohen sei, um gereinigt und gesühnt zu werden, zog nun beim Wiederkehren des Zeitpunkts der heilige Knabe als Ebenhild des Gottes auf einem bestimmten Wege 1 ebendahin, um unter den Freudengesängen des Jungfraunchors als Daph- nephoros heimzukehren. Die religiösen Gedanken die- ses Festgebrauches verfolgen wir weiter unten: hier wollen wir den Weg der Theorie genauer beachten. Er führte durch Thessalia und Pelasgia (d. h. durch die Ebene des Peneios, die sich südlich bis Pherä erstreckt), dann durch das Land der Malier und Aenianen, über den Oeta, durch Doris und das westliche Lokris 2, -- und vermied sonach merkwürdiger Weise die sowohl kürzere als gebahntere Straße, welche aus Thessalien durch die Thermopylen über Phokis und durch die En- gen von Panopeus und Daulis nach Delphi führt. Der Grund davon kann einerseits in einem Widerstand liegen, den ehemals feindliche Völkerhaufen von der Ostseite Delphis dem ruhigen Anlangen heiliger Sen- dungen entgegensetzten; andererseits darin, daß die Theorie auf ihrem Wege die zweiten Wohnsitze der Do- rier zwischen Oeta und Parnaß berühren sollte, wo ohne Zweifel ebenfalls der Apollinische Cultus herrschte 3.
1 kata ten odon en nun ieran kaloumen. Plut. Qu. Gr. 12.
2 Aelian. V. G. 3, 1. verstellt aus Unkunde die Folge der Ge- genden.
3 Tempel des Apoll und der Artemis zu Liläa. Pau 10, 33, 2.
brach. Man wird darin das Zeugniß der Delpher ſelbſt achten muͤſſen, daß von hier aus der Dienſt zu ihnen gekommen, und das Bekenntniß implicirt finden, daß den Lorbeerbaͤumen von Tempe groͤßere Heiligkeit und Suͤhnkraft zukomme als ihren eigenen. Nach der al- ten Sage, daß Apollon ſelbſt nach Toͤdtung des Py- thon zum Altar von Tempe geflohen ſei, um gereinigt und geſuͤhnt zu werden, zog nun beim Wiederkehren des Zeitpunkts der heilige Knabe als Ebenhild des Gottes auf einem beſtimmten Wege 1 ebendahin, um unter den Freudengeſaͤngen des Jungfraunchors als Daph- nephoros heimzukehren. Die religioͤſen Gedanken die- ſes Feſtgebrauches verfolgen wir weiter unten: hier wollen wir den Weg der Theorie genauer beachten. Er fuͤhrte durch Theſſalia und Pelasgia (d. h. durch die Ebene des Peneios, die ſich ſuͤdlich bis Pheraͤ erſtreckt), dann durch das Land der Malier und Aenianen, uͤber den Oeta, durch Doris und das weſtliche Lokris 2, — und vermied ſonach merkwuͤrdiger Weiſe die ſowohl kuͤrzere als gebahntere Straße, welche aus Theſſalien durch die Thermopylen uͤber Phokis und durch die En- gen von Panopeus und Daulis nach Delphi fuͤhrt. Der Grund davon kann einerſeits in einem Widerſtand liegen, den ehemals feindliche Voͤlkerhaufen von der Oſtſeite Delphis dem ruhigen Anlangen heiliger Sen- dungen entgegenſetzten; andererſeits darin, daß die Theorie auf ihrem Wege die zweiten Wohnſitze der Do- rier zwiſchen Oeta und Parnaß beruͤhren ſollte, wo ohne Zweifel ebenfalls der Apolliniſche Cultus herrſchte 3.
2 Aelian. V. G. 3, 1. verſtellt aus Unkunde die Folge der Ge- genden.
3 Tempel des Apoll und der Artemis zu Lilaͤa. Pau 10, 33, 2.
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brach. Man wird darin das Zeugniß der Delpher
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daß den Lorbeerbaͤumen von Tempe groͤßere Heiligkeit und
Suͤhnkraft zukomme als ihren eigenen. Nach der al-
ten Sage, daß Apollon ſelbſt nach Toͤdtung des Py-
thon zum Altar von Tempe geflohen ſei, um gereinigt
und geſuͤhnt zu werden, zog nun beim Wiederkehren
des Zeitpunkts der heilige Knabe als Ebenhild des
Gottes auf einem beſtimmten Wege 1 ebendahin, um
unter den Freudengeſaͤngen des Jungfraunchors als Daph-
nephoros heimzukehren. Die religioͤſen Gedanken die-
ſes Feſtgebrauches verfolgen wir weiter unten: hier
wollen wir den Weg der Theorie genauer beachten.
Er fuͤhrte durch Theſſalia und Pelasgia (d. h. durch die
Ebene des Peneios, die ſich ſuͤdlich bis Pheraͤ erſtreckt),
dann durch das Land der Malier und Aenianen, uͤber
den Oeta, durch Doris und das weſtliche Lokris 2, —
und vermied ſonach merkwuͤrdiger Weiſe die ſowohl
kuͤrzere als gebahntere Straße, welche aus Theſſalien
durch die Thermopylen uͤber Phokis und durch die En-
gen von Panopeus und Daulis nach Delphi fuͤhrt.
Der Grund davon kann einerſeits in einem Widerſtand
liegen, den ehemals feindliche Voͤlkerhaufen von der
Oſtſeite Delphis dem ruhigen Anlangen heiliger Sen-
dungen entgegenſetzten; andererſeits darin, daß die
Theorie auf ihrem Wege die zweiten Wohnſitze der Do-
rier zwiſchen Oeta und Parnaß beruͤhren ſollte, wo
ohne Zweifel ebenfalls der Apolliniſche Cultus herrſchte 3.
1 κατὰ τὴν ὁδὸν ἣν νῦν ἱεϱὰν καλοῦμεν. Plut. Qu. Gr. 12.
2 Aelian. V. G. 3, 1. verſtellt aus Unkunde die Folge der Ge-
genden.
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10, 33, 2.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/233>, abgerufen am 26.11.2024.
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