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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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Das Phantasticon kann nicht in Affection seyn ohne
zu phantasiren, und die Erregungen des Phantasticon kön-
nen bei der Beschränkung des äußern Sinnenlebens nicht
seyn ohne Einbilden der Phantasmen in das subjective dunkle
oder lichte Sehfeld der Sehsinnsubstanz. Wir dürfen uns
daher nicht wundern, vielmehr es als eine Bestätigung des
Wahren ansehen, wenn Phantasiebilder in allen protopa-
thischen und sympathischen Affectionen des Gehirns auf-
treten.

130.

Das Phantasticon in dem Erethismus, in der Ent-
zündung des Gehirns kann nicht anders als in seinen
Affectionen phantasiren. Die in den Fiebern auf die Cen-
tralorgane verpflanzten Reizungen können in dem Phantas-
ticon nur erregen, was des Phantasticon ist, sein Eigen-
leben, dessen Aeußerungen freie selbstthätige Hallucinationen
sind. Das Phantasticon kann an einem allgemeinen Ere-
thismus des Nervensystems in der Hypochondrie und Hy-
sterie und anderen allgemeinen Affectionen des Nervensystems,
welche nächste, Ursache sie immer haben, wie in der Epilepsie
und Catalepsie nicht Antheil haben ohne Phantasieen, die
bei der Beschränkung und Obnubilation der peripherischen
Theile des Nervensystems, leuchtend in den innern Theilen
der Sehsinnsubstanz hervortreten.

134.

Je thätiger dieses innere productive Leben, um so
mangelhafter ist, wie in allen verwandten Zuständen, das
äußere Auffassen. Aus mangelhaften unvollkommenen äu-
ßeren Eindrücken werden die wunderbarsten Gestalten erzeugt
und verwandelt. Aus einem Ofen wird ein Priester, aus
dem Geräthe des Zimmers eine Volksversammlung, ein
bewegter Markt, ein theatralischer Aufzug. Das Genetische

Das Phantaſticon kann nicht in Affection ſeyn ohne
zu phantaſiren, und die Erregungen des Phantaſticon koͤn-
nen bei der Beſchraͤnkung des aͤußern Sinnenlebens nicht
ſeyn ohne Einbilden der Phantasmen in das ſubjective dunkle
oder lichte Sehfeld der Sehſinnſubſtanz. Wir duͤrfen uns
daher nicht wundern, vielmehr es als eine Beſtaͤtigung des
Wahren anſehen, wenn Phantaſiebilder in allen protopa-
thiſchen und ſympathiſchen Affectionen des Gehirns auf-
treten.

130.

Das Phantaſticon in dem Erethismus, in der Ent-
zuͤndung des Gehirns kann nicht anders als in ſeinen
Affectionen phantaſiren. Die in den Fiebern auf die Cen-
tralorgane verpflanzten Reizungen koͤnnen in dem Phantas-
ticon nur erregen, was des Phantaſticon iſt, ſein Eigen-
leben, deſſen Aeußerungen freie ſelbſtthaͤtige Hallucinationen
ſind. Das Phantaſticon kann an einem allgemeinen Ere-
thismus des Nervenſyſtems in der Hypochondrie und Hy-
ſterie und anderen allgemeinen Affectionen des Nervenſyſtems,
welche naͤchſte, Urſache ſie immer haben, wie in der Epilepſie
und Catalepſie nicht Antheil haben ohne Phantaſieen, die
bei der Beſchraͤnkung und Obnubilation der peripheriſchen
Theile des Nervenſyſtems, leuchtend in den innern Theilen
der Sehſinnſubſtanz hervortreten.

134.

Je thaͤtiger dieſes innere productive Leben, um ſo
mangelhafter iſt, wie in allen verwandten Zuſtaͤnden, das
aͤußere Auffaſſen. Aus mangelhaften unvollkommenen aͤu-
ßeren Eindruͤcken werden die wunderbarſten Geſtalten erzeugt
und verwandelt. Aus einem Ofen wird ein Prieſter, aus
dem Geraͤthe des Zimmers eine Volksverſammlung, ein
bewegter Markt, ein theatraliſcher Aufzug. Das Genetiſche

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[73/0089] Das Phantaſticon kann nicht in Affection ſeyn ohne zu phantaſiren, und die Erregungen des Phantaſticon koͤn- nen bei der Beſchraͤnkung des aͤußern Sinnenlebens nicht ſeyn ohne Einbilden der Phantasmen in das ſubjective dunkle oder lichte Sehfeld der Sehſinnſubſtanz. Wir duͤrfen uns daher nicht wundern, vielmehr es als eine Beſtaͤtigung des Wahren anſehen, wenn Phantaſiebilder in allen protopa- thiſchen und ſympathiſchen Affectionen des Gehirns auf- treten. 130. Das Phantaſticon in dem Erethismus, in der Ent- zuͤndung des Gehirns kann nicht anders als in ſeinen Affectionen phantaſiren. Die in den Fiebern auf die Cen- tralorgane verpflanzten Reizungen koͤnnen in dem Phantas- ticon nur erregen, was des Phantaſticon iſt, ſein Eigen- leben, deſſen Aeußerungen freie ſelbſtthaͤtige Hallucinationen ſind. Das Phantaſticon kann an einem allgemeinen Ere- thismus des Nervenſyſtems in der Hypochondrie und Hy- ſterie und anderen allgemeinen Affectionen des Nervenſyſtems, welche naͤchſte, Urſache ſie immer haben, wie in der Epilepſie und Catalepſie nicht Antheil haben ohne Phantaſieen, die bei der Beſchraͤnkung und Obnubilation der peripheriſchen Theile des Nervenſyſtems, leuchtend in den innern Theilen der Sehſinnſubſtanz hervortreten. 134. Je thaͤtiger dieſes innere productive Leben, um ſo mangelhafter iſt, wie in allen verwandten Zuſtaͤnden, das aͤußere Auffaſſen. Aus mangelhaften unvollkommenen aͤu- ßeren Eindruͤcken werden die wunderbarſten Geſtalten erzeugt und verwandelt. Aus einem Ofen wird ein Prieſter, aus dem Geraͤthe des Zimmers eine Volksverſammlung, ein bewegter Markt, ein theatraliſcher Aufzug. Das Genetiſche

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/89>, abgerufen am 12.12.2024.