Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

sind der Lichtempfindung durch innere organische Reize noch
fähig, wenn ihre Ausbreitung nach außen, bestimmt das
Elementarische als lichten Tag zu sehen, zerstört ist.

63.

Wir können kühn behaupten: So lange die Empfin-
dung des Dunkeln nicht aufgehoben ist, so lange der Blinde
noch dunkel sieht, sind auch innere Lichtempfindungen
Hallucinationen möglich. Von einem Blinden, der
nicht noch dunkel gesehen hätte, habe ich noch nicht gehört.
Und doch ist das Dunkele etwas Positives und wird
nur da empfunden, wo die Sehsinnsubstanz ist; denn von
dem Hinter uns ist uns unmöglich, die Empfindung des
Dunkeln zu haben.

Möge doch nun ein Unterrichteter auch über das Licht-
sehen der Blinden in den Delirien der fieberhaften Krankheiten
Beobachtungen mittheilen, zu denen ja an einer Blindenanstalt
manche Gelegenheit gegeben seyn muß.

64.

Wenn die Traumbilder und die Gesichtserscheinungen
in den Delirien dieselben Phaenomene sind, die ich vorher
aus dem wachenden Zustande beschrieben, so haben diese ins-
gesammt nur in den innersten Theilen der Sehsinnsubstanz
statt, und nicht wie die Blendungsbilder in der Netzhaut
selbst. Wenn ein Blendungsbild als eine partielle Affection
der Netzhaut durch äußere unmittelbare Reizung ihrer selbst
in ihr haftet, so kann es mit der Bewegung der Augen
selbst auch bewegt werden im Verhältniß zu den äußern
Objecten. Wenn es auch seine Localität zum ganzen Sehfelde
bei allen Bewegungen der Augen nie verändert, so kann es
doch mit dem Sehfelde selbst durch Bewegung der Augen
sein Verhältniß zum äußern Raum oder zu unserer eignen
Räumlichkeit ändern. Es wird nach oben, nach den

ſind der Lichtempfindung durch innere organiſche Reize noch
faͤhig, wenn ihre Ausbreitung nach außen, beſtimmt das
Elementariſche als lichten Tag zu ſehen, zerſtoͤrt iſt.

63.

Wir koͤnnen kuͤhn behaupten: So lange die Empfin-
dung des Dunkeln nicht aufgehoben iſt, ſo lange der Blinde
noch dunkel ſieht, ſind auch innere Lichtempfindungen
Hallucinationen moͤglich. Von einem Blinden, der
nicht noch dunkel geſehen haͤtte, habe ich noch nicht gehoͤrt.
Und doch iſt das Dunkele etwas Poſitives und wird
nur da empfunden, wo die Sehſinnſubſtanz iſt; denn von
dem Hinter uns iſt uns unmoͤglich, die Empfindung des
Dunkeln zu haben.

Moͤge doch nun ein Unterrichteter auch uͤber das Licht-
ſehen der Blinden in den Delirien der fieberhaften Krankheiten
Beobachtungen mittheilen, zu denen ja an einer Blindenanſtalt
manche Gelegenheit gegeben ſeyn muß.

64.

Wenn die Traumbilder und die Geſichtserſcheinungen
in den Delirien dieſelben Phaenomene ſind, die ich vorher
aus dem wachenden Zuſtande beſchrieben, ſo haben dieſe ins-
geſammt nur in den innerſten Theilen der Sehſinnſubſtanz
ſtatt, und nicht wie die Blendungsbilder in der Netzhaut
ſelbſt. Wenn ein Blendungsbild als eine partielle Affection
der Netzhaut durch aͤußere unmittelbare Reizung ihrer ſelbſt
in ihr haftet, ſo kann es mit der Bewegung der Augen
ſelbſt auch bewegt werden im Verhaͤltniß zu den aͤußern
Objecten. Wenn es auch ſeine Localitaͤt zum ganzen Sehfelde
bei allen Bewegungen der Augen nie veraͤndert, ſo kann es
doch mit dem Sehfelde ſelbſt durch Bewegung der Augen
ſein Verhaͤltniß zum aͤußern Raum oder zu unſerer eignen
Raͤumlichkeit aͤndern. Es wird nach oben, nach den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0050" n="34"/>
&#x017F;ind der Lichtempfindung durch innere organi&#x017F;che Reize noch<lb/>
fa&#x0364;hig, wenn ihre Ausbreitung nach außen, be&#x017F;timmt das<lb/>
Elementari&#x017F;che als lichten Tag zu &#x017F;ehen, zer&#x017F;to&#x0364;rt i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>63.</head><lb/>
            <p>Wir ko&#x0364;nnen ku&#x0364;hn behaupten: So lange die Empfin-<lb/>
dung des Dunkeln nicht aufgehoben i&#x017F;t, &#x017F;o lange der Blinde<lb/>
noch dunkel &#x017F;ieht, &#x017F;ind auch innere Lichtempfindungen<lb/><hi rendition="#g">Hallucinationen</hi> mo&#x0364;glich. Von einem Blinden, der<lb/>
nicht noch dunkel ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte, habe ich noch nicht geho&#x0364;rt.<lb/>
Und doch i&#x017F;t das Dunkele etwas Po&#x017F;itives und wird<lb/>
nur da empfunden, wo die Seh&#x017F;inn&#x017F;ub&#x017F;tanz i&#x017F;t; denn von<lb/>
dem Hinter uns i&#x017F;t uns unmo&#x0364;glich, die Empfindung des<lb/>
Dunkeln zu haben.</p><lb/>
            <p>Mo&#x0364;ge doch nun ein Unterrichteter auch u&#x0364;ber das Licht-<lb/>
&#x017F;ehen der Blinden in den Delirien der fieberhaften Krankheiten<lb/>
Beobachtungen mittheilen, zu denen ja an einer Blindenan&#x017F;talt<lb/>
manche Gelegenheit gegeben &#x017F;eyn muß.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>64.</head><lb/>
            <p>Wenn die Traumbilder und die Ge&#x017F;ichtser&#x017F;cheinungen<lb/>
in den Delirien die&#x017F;elben Phaenomene &#x017F;ind, die ich vorher<lb/>
aus dem wachenden Zu&#x017F;tande be&#x017F;chrieben, &#x017F;o haben die&#x017F;e ins-<lb/>
ge&#x017F;ammt nur in den inner&#x017F;ten Theilen der Seh&#x017F;inn&#x017F;ub&#x017F;tanz<lb/>
&#x017F;tatt, und nicht wie die Blendungsbilder in der Netzhaut<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Wenn ein Blendungsbild als eine partielle Affection<lb/>
der Netzhaut durch a&#x0364;ußere unmittelbare Reizung ihrer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
in ihr haftet, &#x017F;o kann es mit der Bewegung der Augen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t auch bewegt werden im Verha&#x0364;ltniß zu den a&#x0364;ußern<lb/>
Objecten. Wenn es auch &#x017F;eine Localita&#x0364;t zum ganzen Sehfelde<lb/>
bei allen Bewegungen der Augen nie vera&#x0364;ndert, &#x017F;o kann es<lb/>
doch mit dem Sehfelde &#x017F;elb&#x017F;t durch Bewegung der Augen<lb/>
&#x017F;ein Verha&#x0364;ltniß zum a&#x0364;ußern Raum oder zu un&#x017F;erer eignen<lb/>
Ra&#x0364;umlichkeit a&#x0364;ndern. Es wird nach oben, nach den<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0050] ſind der Lichtempfindung durch innere organiſche Reize noch faͤhig, wenn ihre Ausbreitung nach außen, beſtimmt das Elementariſche als lichten Tag zu ſehen, zerſtoͤrt iſt. 63. Wir koͤnnen kuͤhn behaupten: So lange die Empfin- dung des Dunkeln nicht aufgehoben iſt, ſo lange der Blinde noch dunkel ſieht, ſind auch innere Lichtempfindungen Hallucinationen moͤglich. Von einem Blinden, der nicht noch dunkel geſehen haͤtte, habe ich noch nicht gehoͤrt. Und doch iſt das Dunkele etwas Poſitives und wird nur da empfunden, wo die Sehſinnſubſtanz iſt; denn von dem Hinter uns iſt uns unmoͤglich, die Empfindung des Dunkeln zu haben. Moͤge doch nun ein Unterrichteter auch uͤber das Licht- ſehen der Blinden in den Delirien der fieberhaften Krankheiten Beobachtungen mittheilen, zu denen ja an einer Blindenanſtalt manche Gelegenheit gegeben ſeyn muß. 64. Wenn die Traumbilder und die Geſichtserſcheinungen in den Delirien dieſelben Phaenomene ſind, die ich vorher aus dem wachenden Zuſtande beſchrieben, ſo haben dieſe ins- geſammt nur in den innerſten Theilen der Sehſinnſubſtanz ſtatt, und nicht wie die Blendungsbilder in der Netzhaut ſelbſt. Wenn ein Blendungsbild als eine partielle Affection der Netzhaut durch aͤußere unmittelbare Reizung ihrer ſelbſt in ihr haftet, ſo kann es mit der Bewegung der Augen ſelbſt auch bewegt werden im Verhaͤltniß zu den aͤußern Objecten. Wenn es auch ſeine Localitaͤt zum ganzen Sehfelde bei allen Bewegungen der Augen nie veraͤndert, ſo kann es doch mit dem Sehfelde ſelbſt durch Bewegung der Augen ſein Verhaͤltniß zum aͤußern Raum oder zu unſerer eignen Raͤumlichkeit aͤndern. Es wird nach oben, nach den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/50
Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/50>, abgerufen am 22.12.2024.