ihrer gerechten und vollkommenen Ausübung, wie man sich aus den Werken der großen Dichter aller Zeiten davon über- zeugen kann, sowohl ein bezeichnendes als ein abbildendes, ein arithmetisches sowohl als ein geometrisches Element ent- hält, so hat doch die Barbarey unsrer sowohl, als aller an- dern Alexandrischen Zeiten, das Wesen der Wissenschaft in eine strenge Aussonderung des bezeichnenden oder arithmeti- schen Elementes der Sprache gesetzt. Dasjenige höchst Wesent- liche, ja Heilige, welches die Poesie durch ihren Rythmus, durch ihre Bilder, und durch den Wechsel ihrer Formen aus- drückt, glaubte man in der Wissenschaft nicht bloß entbehren zu können, sondern nicht dulden zu dürfen. Ja man räumte es der Poesie selbst nur als ein äußeres Beywesen, als einen unwesentlichen Schmuck, als ein Gewand, als ein Mittel zur Verstärkung und Belebung ihrer Eindrücke ein. Wis- senschaft war dasjenige, was ausschließend in Zeichen, in Zahlen, in Chiffern verkehrte: und nach dem Grade des Mangels alles bildenden Vermögens sollte die Strenge, die Exaktheit der Wissenschaft beurtheilt werden. Wenn daher einige wenige größere Seelen für die Wissenschaft die künst- lerische Form reklamirt haben, so haben sie damit etwas viel Höheres als die äußere Geschliffenheit oder die Eleganz des Gewandes, gemeint. Sie haben das zum Denken so gut als zum Dichten unentbehrliche bildende Vermögen zurück verlangt; und meine Elemente der Mathematik wer- den auf unüberwindliche Weise zeigen, daß die Geometrie der eigentliche Bürge dieser Vollständigkeit und Befriedigung der Wissenschaft sey.
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ihrer gerechten und vollkommenen Ausuͤbung, wie man ſich aus den Werken der großen Dichter aller Zeiten davon uͤber- zeugen kann, ſowohl ein bezeichnendes als ein abbildendes, ein arithmetiſches ſowohl als ein geometriſches Element ent- haͤlt, ſo hat doch die Barbarey unſrer ſowohl, als aller an- dern Alexandriſchen Zeiten, das Weſen der Wiſſenſchaft in eine ſtrenge Ausſonderung des bezeichnenden oder arithmeti- ſchen Elementes der Sprache geſetzt. Dasjenige hoͤchſt Weſent- liche, ja Heilige, welches die Poeſie durch ihren Rythmus, durch ihre Bilder, und durch den Wechſel ihrer Formen aus- druͤckt, glaubte man in der Wiſſenſchaft nicht bloß entbehren zu koͤnnen, ſondern nicht dulden zu duͤrfen. Ja man raͤumte es der Poeſie ſelbſt nur als ein aͤußeres Beyweſen, als einen unweſentlichen Schmuck, als ein Gewand, als ein Mittel zur Verſtaͤrkung und Belebung ihrer Eindruͤcke ein. Wiſ- ſenſchaft war dasjenige, was ausſchließend in Zeichen, in Zahlen, in Chiffern verkehrte: und nach dem Grade des Mangels alles bildenden Vermoͤgens ſollte die Strenge, die Exaktheit der Wiſſenſchaft beurtheilt werden. Wenn daher einige wenige groͤßere Seelen fuͤr die Wiſſenſchaft die kuͤnſt- leriſche Form reklamirt haben, ſo haben ſie damit etwas viel Hoͤheres als die aͤußere Geſchliffenheit oder die Eleganz des Gewandes, gemeint. Sie haben das zum Denken ſo gut als zum Dichten unentbehrliche bildende Vermoͤgen zuruͤck verlangt; und meine Elemente der Mathematik wer- den auf unuͤberwindliche Weiſe zeigen, daß die Geometrie der eigentliche Buͤrge dieſer Vollſtaͤndigkeit und Befriedigung der Wiſſenſchaft ſey.
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ihrer gerechten und vollkommenen Ausuͤbung, wie man ſich
aus den Werken der großen Dichter aller Zeiten davon uͤber-
zeugen kann, ſowohl ein bezeichnendes als ein abbildendes,
ein arithmetiſches ſowohl als ein geometriſches Element ent-
haͤlt, ſo hat doch die Barbarey unſrer ſowohl, als aller an-
dern Alexandriſchen Zeiten, das Weſen der Wiſſenſchaft in
eine ſtrenge Ausſonderung des bezeichnenden oder arithmeti-
ſchen Elementes der Sprache geſetzt. Dasjenige hoͤchſt Weſent-
liche, ja Heilige, welches die Poeſie durch ihren Rythmus,
durch ihre Bilder, und durch den Wechſel ihrer Formen aus-
druͤckt, glaubte man in der Wiſſenſchaft nicht bloß entbehren
zu koͤnnen, ſondern nicht dulden zu duͤrfen. Ja man raͤumte
es der Poeſie ſelbſt nur als ein aͤußeres Beyweſen, als einen
unweſentlichen Schmuck, als ein Gewand, als ein Mittel
zur Verſtaͤrkung und Belebung ihrer Eindruͤcke ein. Wiſ-
ſenſchaft war dasjenige, was ausſchließend in Zeichen, in
Zahlen, in Chiffern verkehrte: und nach dem Grade des
Mangels alles bildenden Vermoͤgens ſollte die Strenge, die
Exaktheit der Wiſſenſchaft beurtheilt werden. Wenn daher
einige wenige groͤßere Seelen fuͤr die Wiſſenſchaft die kuͤnſt-
leriſche Form reklamirt haben, ſo haben ſie damit etwas
viel Hoͤheres als die aͤußere Geſchliffenheit oder die Eleganz
des Gewandes, gemeint. Sie haben das zum Denken ſo
gut als zum Dichten unentbehrliche bildende Vermoͤgen
zuruͤck verlangt; und meine Elemente der Mathematik wer-
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/321>, abgerufen am 27.11.2024.
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