werden: auch die Zeit ist nicht mehr fern, wo man die Religion als letzte und höchste Quelle allen Credits und aller Macht, und als die mächtigste Gewährleisterinn alles Besitzes öffentlich anerkennen wird. Es wäre ein ganz hoffnungsloses Geschäft, irgend eines dieser Interessen darzustellen oder zu besorgen, wenn man nicht des Beystandes der übrigen gewiß wäre; es wäre unmöglich von der Staatswirthschaft zu han- deln, wenn es nicht erlaubt wäre, alle Dinge innerhalb des Staats, Personen und Sachen, ja den Staat selbst als eben so viele ökonomische Werthe zu betrachten.
Der Mensch begehrt Dinge, um seine Unvollkommenheit zu ergänzen, um der Vergänglichkeit abzuhelfen, die er an sich spürt: der roheste Hunger und Durst, und die ausgebil- detste Begierde nach dem raffinirtesten Lebensgenuß, sind nur Offenbarungen jenes Triebes. Er begehrt Personen von ent- gegengesetztem Geschlecht, um die Einseitigkeit seines Ge- schlechts zu ergänzen, um die Vorstellung eines vollständigen und dauerhaften Menschen, die er in seiner Seele trägt, zu verwirklichen. Der Mensch von einer gewissen Gewerbsgattung begehrt Menschen von der entgegengesetzten Gewerbsgattung, der Producent den Fabrikanten, der Gelehrte den Künstler, jeder um sich zu vervollständigen, um sich abzurunden, um sich zu einem Ganzen zu erheben. Er strebt sich zu verbinden mit Personen und Dingen; er strebt nach Eigenthum und nach Verpflichtungen; um etwas Höheres hervorzubringen als er sich selbst fühlt, um weiter zu sehen, zu greifen, zu wirken, als seine isolirten Kräfte reichen.
werden: auch die Zeit iſt nicht mehr fern, wo man die Religion als letzte und hoͤchſte Quelle allen Credits und aller Macht, und als die maͤchtigſte Gewaͤhrleiſterinn alles Beſitzes oͤffentlich anerkennen wird. Es waͤre ein ganz hoffnungsloſes Geſchaͤft, irgend eines dieſer Intereſſen darzuſtellen oder zu beſorgen, wenn man nicht des Beyſtandes der uͤbrigen gewiß waͤre; es waͤre unmoͤglich von der Staatswirthſchaft zu han- deln, wenn es nicht erlaubt waͤre, alle Dinge innerhalb des Staats, Perſonen und Sachen, ja den Staat ſelbſt als eben ſo viele oͤkonomiſche Werthe zu betrachten.
Der Menſch begehrt Dinge, um ſeine Unvollkommenheit zu ergaͤnzen, um der Vergaͤnglichkeit abzuhelfen, die er an ſich ſpuͤrt: der roheſte Hunger und Durſt, und die ausgebil- detſte Begierde nach dem raffinirteſten Lebensgenuß, ſind nur Offenbarungen jenes Triebes. Er begehrt Perſonen von ent- gegengeſetztem Geſchlecht, um die Einſeitigkeit ſeines Ge- ſchlechts zu ergaͤnzen, um die Vorſtellung eines vollſtaͤndigen und dauerhaften Menſchen, die er in ſeiner Seele traͤgt, zu verwirklichen. Der Menſch von einer gewiſſen Gewerbsgattung begehrt Menſchen von der entgegengeſetzten Gewerbsgattung, der Producent den Fabrikanten, der Gelehrte den Kuͤnſtler, jeder um ſich zu vervollſtaͤndigen, um ſich abzurunden, um ſich zu einem Ganzen zu erheben. Er ſtrebt ſich zu verbinden mit Perſonen und Dingen; er ſtrebt nach Eigenthum und nach Verpflichtungen; um etwas Hoͤheres hervorzubringen als er ſich ſelbſt fuͤhlt, um weiter zu ſehen, zu greifen, zu wirken, als ſeine iſolirten Kraͤfte reichen.
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werden: auch die Zeit iſt nicht mehr fern, wo man die
Religion als letzte und hoͤchſte Quelle allen Credits und aller
Macht, und als die maͤchtigſte Gewaͤhrleiſterinn alles Beſitzes
oͤffentlich anerkennen wird. Es waͤre ein ganz hoffnungsloſes
Geſchaͤft, irgend eines dieſer Intereſſen darzuſtellen oder zu
beſorgen, wenn man nicht des Beyſtandes der uͤbrigen gewiß
waͤre; es waͤre unmoͤglich von der Staatswirthſchaft zu han-
deln, wenn es nicht erlaubt waͤre, alle Dinge innerhalb des
Staats, Perſonen und Sachen, ja den Staat ſelbſt als eben
ſo viele oͤkonomiſche Werthe zu betrachten.
Der Menſch begehrt Dinge, um ſeine Unvollkommenheit
zu ergaͤnzen, um der Vergaͤnglichkeit abzuhelfen, die er an
ſich ſpuͤrt: der roheſte Hunger und Durſt, und die ausgebil-
detſte Begierde nach dem raffinirteſten Lebensgenuß, ſind nur
Offenbarungen jenes Triebes. Er begehrt Perſonen von ent-
gegengeſetztem Geſchlecht, um die Einſeitigkeit ſeines Ge-
ſchlechts zu ergaͤnzen, um die Vorſtellung eines vollſtaͤndigen
und dauerhaften Menſchen, die er in ſeiner Seele traͤgt, zu
verwirklichen. Der Menſch von einer gewiſſen Gewerbsgattung
begehrt Menſchen von der entgegengeſetzten Gewerbsgattung,
der Producent den Fabrikanten, der Gelehrte den Kuͤnſtler,
jeder um ſich zu vervollſtaͤndigen, um ſich abzurunden, um
ſich zu einem Ganzen zu erheben. Er ſtrebt ſich zu verbinden
mit Perſonen und Dingen; er ſtrebt nach Eigenthum und nach
Verpflichtungen; um etwas Hoͤheres hervorzubringen als er
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/32>, abgerufen am 23.11.2024.
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