So ist jedes Wort nicht etwa eine bloße Schale, ein bloßer Umschlag, eine bloße Etikette einer Gattung von Worten, sondern die Axe einer ganzen Welt von Worten oder Begriffen. Eben so jedes Gesetz die Axe einer ganzen Welt von untergeordneten Gesetzen und Fällen, und nicht etwa eine dürre Abstraktion von denselbigen.
Maaßstab, Begriff, Wort, Gesetz -- kurz, jede Ein- heit, unter der sich eine Welt von Mannigfaltigkeiten ordnet, ist nie und an keiner Stelle abgesondert für sich gegeben, sondern sie lebt, webt und wächst, und bestimmt sich innerhalb dieser Mannigfaltigkeiten und unzertrennlich von ihnen. Die Einheit kann nur anordnen, in wie fern sie von den ihr untergebenen Mannigfaltigkeiten unaufhörlich selbst wieder angeordnet und berichtigt wird: daher die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit irgend einen lokalen Maaßstab, irgend ein lokales Gesetz direct auf ein anderes Lokal zu übertragen. -- Aber wie mit der Axe einer bestimmten Kugel zugleich diese bestimmte Kugel selbst, und das eigenthümliche Gesetz ihrer Bewegung gegeben worden, so empfangen wir mit jedem Gesetz und jedem Maaßstabe zugleich die ganze Sphäre, in der sie sich gebildet. Der Maaßstab mißt nur die Sphäre von Größen, das Gesetz richtet nur die Sphäre von Fällen, aus der sie hervorgegangen: in Beziehung auf anderweiten Größen und anderweite Fälle sind sie nicht Maaßstäbe, nicht Gesetze, so wenig die bestimmte Axe einer Kugel in Beziehung auf eine andere Kugel noch eine Axe zu heißen verdient, so gewiß sie in dieser veränderten
So iſt jedes Wort nicht etwa eine bloße Schale, ein bloßer Umſchlag, eine bloße Etikette einer Gattung von Worten, ſondern die Axe einer ganzen Welt von Worten oder Begriffen. Eben ſo jedes Geſetz die Axe einer ganzen Welt von untergeordneten Geſetzen und Faͤllen, und nicht etwa eine duͤrre Abſtraktion von denſelbigen.
Maaßſtab, Begriff, Wort, Geſetz — kurz, jede Ein- heit, unter der ſich eine Welt von Mannigfaltigkeiten ordnet, iſt nie und an keiner Stelle abgeſondert fuͤr ſich gegeben, ſondern ſie lebt, webt und waͤchſt, und beſtimmt ſich innerhalb dieſer Mannigfaltigkeiten und unzertrennlich von ihnen. Die Einheit kann nur anordnen, in wie fern ſie von den ihr untergebenen Mannigfaltigkeiten unaufhoͤrlich ſelbſt wieder angeordnet und berichtigt wird: daher die Schwierigkeit, ja Unmoͤglichkeit irgend einen lokalen Maaßſtab, irgend ein lokales Geſetz direct auf ein anderes Lokal zu uͤbertragen. — Aber wie mit der Axe einer beſtimmten Kugel zugleich dieſe beſtimmte Kugel ſelbſt, und das eigenthuͤmliche Geſetz ihrer Bewegung gegeben worden, ſo empfangen wir mit jedem Geſetz und jedem Maaßſtabe zugleich die ganze Sphaͤre, in der ſie ſich gebildet. Der Maaßſtab mißt nur die Sphaͤre von Groͤßen, das Geſetz richtet nur die Sphaͤre von Faͤllen, aus der ſie hervorgegangen: in Beziehung auf anderweiten Groͤßen und anderweite Faͤlle ſind ſie nicht Maaßſtaͤbe, nicht Geſetze, ſo wenig die beſtimmte Axe einer Kugel in Beziehung auf eine andere Kugel noch eine Axe zu heißen verdient, ſo gewiß ſie in dieſer veraͤnderten
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[191/0205]
So iſt jedes Wort nicht etwa eine bloße Schale, ein
bloßer Umſchlag, eine bloße Etikette einer Gattung von
Worten, ſondern die Axe einer ganzen Welt von Worten
oder Begriffen. Eben ſo jedes Geſetz die Axe einer ganzen
Welt von untergeordneten Geſetzen und Faͤllen, und nicht etwa
eine duͤrre Abſtraktion von denſelbigen.
Maaßſtab, Begriff, Wort, Geſetz — kurz, jede Ein-
heit, unter der ſich eine Welt von Mannigfaltigkeiten ordnet,
iſt nie und an keiner Stelle abgeſondert fuͤr ſich gegeben,
ſondern ſie lebt, webt und waͤchſt, und beſtimmt ſich innerhalb
dieſer Mannigfaltigkeiten und unzertrennlich von ihnen. Die
Einheit kann nur anordnen, in wie fern ſie von den ihr
untergebenen Mannigfaltigkeiten unaufhoͤrlich ſelbſt wieder
angeordnet und berichtigt wird: daher die Schwierigkeit, ja
Unmoͤglichkeit irgend einen lokalen Maaßſtab, irgend ein
lokales Geſetz direct auf ein anderes Lokal zu uͤbertragen. —
Aber wie mit der Axe einer beſtimmten Kugel zugleich dieſe
beſtimmte Kugel ſelbſt, und das eigenthuͤmliche Geſetz ihrer
Bewegung gegeben worden, ſo empfangen wir mit jedem
Geſetz und jedem Maaßſtabe zugleich die ganze Sphaͤre,
in der ſie ſich gebildet. Der Maaßſtab mißt nur die
Sphaͤre von Groͤßen, das Geſetz richtet nur die Sphaͤre
von Faͤllen, aus der ſie hervorgegangen: in Beziehung auf
anderweiten Groͤßen und anderweite Faͤlle ſind ſie nicht
Maaßſtaͤbe, nicht Geſetze, ſo wenig die beſtimmte Axe
einer Kugel in Beziehung auf eine andere Kugel noch eine
Axe zu heißen verdient, ſo gewiß ſie in dieſer veraͤnderten
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/205>, abgerufen am 22.11.2024.
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