Aus allen einzelnen Menschen, wie oben aus den Indi- viduen jeder besonderen Gattung formirt sich ein mittlerer Mensch, und die Glieder dieses mittleren Menschen sind die vollkommenen Maaßstäbe: alle andern Maaßstäbe sind nur Repräsentanten, Substituten, Andeutungen dieser mittelsten Maaßstäbe; alle andern sind veränderlich, diese sind die mög- lichst festen, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende nach ihrer Festigkeit streben können. Dieser mittlere Mensch, von dem die festen Maaßstäbe kommen, ist, wie schon in der Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenstand des un- endlichen Strebens aller einzelnen Menschen; alle wollen sich zu seiner Fülle und Vollständigkeit erheben. Es ist der Staat selbst.
Also gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf, irgend einen Maaßstab auf dem abstrakten und vorgeblich mathemathischen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen des Lebens, mit den starren Linien des abgetödteten Ver- standes messen zu wollen.
Wie der Maaßstab einer bestimmten Gattung eigentlich nichts anderes ist, als die Axe, um die sich die ganze Gat- tung dreht, so müssen auch überhaupt die Begriffe des Men- schen von den einzelnen Gattungen, als solche Axen gedacht werden. Der Begriff Pferd ist nicht etwa ein Convolut von Eigenschaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen werden; vielmehr ist er unzertrennlich von der ganzen Gat- tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr; er wächst, er bestimmt sich schärfer mit jeder neuen hinzu- tretenden Anomalie. --
Aus allen einzelnen Menſchen, wie oben aus den Indi- viduen jeder beſonderen Gattung formirt ſich ein mittlerer Menſch, und die Glieder dieſes mittleren Menſchen ſind die vollkommenen Maaßſtaͤbe: alle andern Maaßſtaͤbe ſind nur Repraͤſentanten, Subſtituten, Andeutungen dieſer mittelſten Maaßſtaͤbe; alle andern ſind veraͤnderlich, dieſe ſind die moͤg- lichſt feſten, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende nach ihrer Feſtigkeit ſtreben koͤnnen. Dieſer mittlere Menſch, von dem die feſten Maaßſtaͤbe kommen, iſt, wie ſchon in der Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenſtand des un- endlichen Strebens aller einzelnen Menſchen; alle wollen ſich zu ſeiner Fuͤlle und Vollſtaͤndigkeit erheben. Es iſt der Staat ſelbſt.
Alſo gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf, irgend einen Maaßſtab auf dem abſtrakten und vorgeblich mathemathiſchen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen des Lebens, mit den ſtarren Linien des abgetoͤdteten Ver- ſtandes meſſen zu wollen.
Wie der Maaßſtab einer beſtimmten Gattung eigentlich nichts anderes iſt, als die Axe, um die ſich die ganze Gat- tung dreht, ſo muͤſſen auch uͤberhaupt die Begriffe des Men- ſchen von den einzelnen Gattungen, als ſolche Axen gedacht werden. Der Begriff Pferd iſt nicht etwa ein Convolut von Eigenſchaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen werden; vielmehr iſt er unzertrennlich von der ganzen Gat- tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr; er waͤchſt, er beſtimmt ſich ſchaͤrfer mit jeder neuen hinzu- tretenden Anomalie. —
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Aus allen einzelnen Menſchen, wie oben aus den Indi-
viduen jeder beſonderen Gattung formirt ſich ein mittlerer
Menſch, und die Glieder dieſes mittleren Menſchen ſind die
vollkommenen Maaßſtaͤbe: alle andern Maaßſtaͤbe ſind nur
Repraͤſentanten, Subſtituten, Andeutungen dieſer mittelſten
Maaßſtaͤbe; alle andern ſind veraͤnderlich, dieſe ſind die moͤg-
lichſt feſten, aber unerreichbar, damit die andern ohne Ende
nach ihrer Feſtigkeit ſtreben koͤnnen. Dieſer mittlere Menſch,
von dem die feſten Maaßſtaͤbe kommen, iſt, wie ſchon in der
Einleitung gezeigt worden, zugleich der Gegenſtand des un-
endlichen Strebens aller einzelnen Menſchen; alle wollen ſich
zu ſeiner Fuͤlle und Vollſtaͤndigkeit erheben. Es iſt der Staat
ſelbſt.
Alſo gebe man vor allen Dingen das eitle Streben auf,
irgend einen Maaßſtab auf dem abſtrakten und vorgeblich
mathemathiſchen Wege erfinden, und die beweglichen Welttaxen
des Lebens, mit den ſtarren Linien des abgetoͤdteten Ver-
ſtandes meſſen zu wollen.
Wie der Maaßſtab einer beſtimmten Gattung eigentlich
nichts anderes iſt, als die Axe, um die ſich die ganze Gat-
tung dreht, ſo muͤſſen auch uͤberhaupt die Begriffe des Men-
ſchen von den einzelnen Gattungen, als ſolche Axen gedacht
werden. Der Begriff Pferd iſt nicht etwa ein Convolut von
Eigenſchaften, die von allen wirklichen Pferden abgezogen
werden; vielmehr iſt er unzertrennlich von der ganzen Gat-
tung und allen ihren Anomalien; er lebt und webt in ihr;
er waͤchſt, er beſtimmt ſich ſchaͤrfer mit jeder neuen hinzu-
tretenden Anomalie. —
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/204>, abgerufen am 20.07.2024.
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