schen, wenn sie nur allein regieren dürfen, dieser Willkühr schon, hinreichende Zügel anlegen. Es ist aber schwer einzu- sehn warum dieselbe zwingende Nothwendigkeit nicht auch über die Staatsadministrationen walten soll: auch hier kann eine Abweichung von dem Naturgesetz, oder von dem wah- ren Interesse nur augenblicklich seyn; auf die Dauer wird jede Regierung eben sowohl wie jeder Privatmann in die wahren Schranken zurückkehren müssen. Weil aber die Re- gierung eine andere Zeitrechnung hat als der Privatmann, weil aus ihrem Standpuncte die Dauer ganzer Generatio- nen nicht viel mehr bedeutet als für den Einzelnen die Dauer eines Jahres, weil sie die hinterlassene Macht ganzer Gene- rationen zur Ausführung ihrer willkührlichen Anordnungen mißbrauchen kann, während dem Einzelnen doch im Durch- schnitt nur die im Laufe weniger Jahre erworbene Kraft zur Disposition steht, so scheint es, daß bey ihr die Augenblicke der Verirrung, der Abweichung vom Naturgesetz auch län- ger dauern könnten, als beym Privatmann, daß also ihre Willkühr eine gefährlichere wäre, als die des Privatmannes.
Wenn man sich dagegen erinnern will, daß die Anarchie eines einzigen Jahres mehr zu zerstören vermag, als der Despotismus über eine ganze Generation, so wird man ein- sehn, daß das Unheil, welches aus beyderley Willkühr kommt, gleich groß ist, und daß, wenn die Willkühr der Regierungen für den Augenblick geringeres Uebel stiftet, dagegen länger zu dauern vermag, die Willkühr der Einzelnen zwar vorüber- gehend sey, dagegen aber für den Augenblick auch desto mehr [z]erstöre. Das große Geboth, die ewigen Bedürfnisse der Ge-
ſchen, wenn ſie nur allein regieren duͤrfen, dieſer Willkuͤhr ſchon, hinreichende Zuͤgel anlegen. Es iſt aber ſchwer einzu- ſehn warum dieſelbe zwingende Nothwendigkeit nicht auch uͤber die Staatsadminiſtrationen walten ſoll: auch hier kann eine Abweichung von dem Naturgeſetz, oder von dem wah- ren Intereſſe nur augenblicklich ſeyn; auf die Dauer wird jede Regierung eben ſowohl wie jeder Privatmann in die wahren Schranken zuruͤckkehren muͤſſen. Weil aber die Re- gierung eine andere Zeitrechnung hat als der Privatmann, weil aus ihrem Standpuncte die Dauer ganzer Generatio- nen nicht viel mehr bedeutet als fuͤr den Einzelnen die Dauer eines Jahres, weil ſie die hinterlaſſene Macht ganzer Gene- rationen zur Ausfuͤhrung ihrer willkuͤhrlichen Anordnungen mißbrauchen kann, waͤhrend dem Einzelnen doch im Durch- ſchnitt nur die im Laufe weniger Jahre erworbene Kraft zur Dispoſition ſteht, ſo ſcheint es, daß bey ihr die Augenblicke der Verirrung, der Abweichung vom Naturgeſetz auch laͤn- ger dauern koͤnnten, als beym Privatmann, daß alſo ihre Willkuͤhr eine gefaͤhrlichere waͤre, als die des Privatmannes.
Wenn man ſich dagegen erinnern will, daß die Anarchie eines einzigen Jahres mehr zu zerſtoͤren vermag, als der Despotismus uͤber eine ganze Generation, ſo wird man ein- ſehn, daß das Unheil, welches aus beyderley Willkuͤhr kommt, gleich groß iſt, und daß, wenn die Willkuͤhr der Regierungen fuͤr den Augenblick geringeres Uebel ſtiftet, dagegen laͤnger zu dauern vermag, die Willkuͤhr der Einzelnen zwar voruͤber- gehend ſey, dagegen aber fuͤr den Augenblick auch deſto mehr [z]erſtoͤre. Das große Geboth, die ewigen Beduͤrfniſſe der Ge-
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ſchen, wenn ſie nur allein regieren duͤrfen, dieſer Willkuͤhr
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ſehn warum dieſelbe zwingende Nothwendigkeit nicht auch
uͤber die Staatsadminiſtrationen walten ſoll: auch hier kann
eine Abweichung von dem Naturgeſetz, oder von dem wah-
ren Intereſſe nur augenblicklich ſeyn; auf die Dauer wird
jede Regierung eben ſowohl wie jeder Privatmann in die
wahren Schranken zuruͤckkehren muͤſſen. Weil aber die Re-
gierung eine andere Zeitrechnung hat als der Privatmann,
weil aus ihrem Standpuncte die Dauer ganzer Generatio-
nen nicht viel mehr bedeutet als fuͤr den Einzelnen die Dauer
eines Jahres, weil ſie die hinterlaſſene Macht ganzer Gene-
rationen zur Ausfuͤhrung ihrer willkuͤhrlichen Anordnungen
mißbrauchen kann, waͤhrend dem Einzelnen doch im Durch-
ſchnitt nur die im Laufe weniger Jahre erworbene Kraft zur
Dispoſition ſteht, ſo ſcheint es, daß bey ihr die Augenblicke
der Verirrung, der Abweichung vom Naturgeſetz auch laͤn-
ger dauern koͤnnten, als beym Privatmann, daß alſo ihre
Willkuͤhr eine gefaͤhrlichere waͤre, als die des Privatmannes.
Wenn man ſich dagegen erinnern will, daß die Anarchie
eines einzigen Jahres mehr zu zerſtoͤren vermag, als der
Despotismus uͤber eine ganze Generation, ſo wird man ein-
ſehn, daß das Unheil, welches aus beyderley Willkuͤhr kommt,
gleich groß iſt, und daß, wenn die Willkuͤhr der Regierungen
fuͤr den Augenblick geringeres Uebel ſtiftet, dagegen laͤnger
zu dauern vermag, die Willkuͤhr der Einzelnen zwar voruͤber-
gehend ſey, dagegen aber fuͤr den Augenblick auch deſto mehr
zerſtoͤre. Das große Geboth, die ewigen Beduͤrfniſſe der Ge-
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/162>, abgerufen am 23.11.2024.
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