Personen, sondern ihre innere Persönlichkeit selbst begehrt, diese Persönlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern sie das Bleibende ist, unter allem vergänglichen Aussenwesen, also begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar ist für alles Begehren, -- so muß der Mensch aus diesem Wider- spruch zurückkehren, mit dem Bewußtseyn eines Doppelverlan- gens: er muß anerkennen, daß in seinem Drange nach der Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß die Dinge beharren möchten in ihrer Eigenheit, damit eine unendliche Aneignung möglich sey: diese unendliche Aneignung nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott selbst anzuschauen als diese Liebe.
Das Bedürfniß aller Bedürfnisse, das Bedürfniß nach der Ganzheit und Ewigkeit, wird also befriedigt durch die Erkennt- niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die unendliche Ausübung der Liebe, indem die Eigenheit und Un- überwindlichkeit aller Gegenstände der Liebe anerkannt wird.
Kein Bedürfniß des Lebens wird auf eine andere Weise be- friedigt: mit jedem Bissen für unsern Hunger, mit jedem Tropfen für unsern Durst wollen wir zugleich die Beruhigung speisen und trinken, daß wir diese Begierden immer werden befriedigen können, daß alle anderen Bedingungen dieser Be- friedigung dauern werden, daß auch der Nächste, dessen liebe- vollen Beystand wir brauchen um dieses Brotes und dieses Weines willen, sich derselbigen Befriedigung erfreue, daß also das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge- schöpfe der Tage unter einander und diese regelmäßig mit jenen verbindet.
Perſonen, ſondern ihre innere Perſoͤnlichkeit ſelbſt begehrt, dieſe Perſoͤnlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern ſie das Bleibende iſt, unter allem vergaͤnglichen Auſſenweſen, alſo begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar iſt fuͤr alles Begehren, — ſo muß der Menſch aus dieſem Wider- ſpruch zuruͤckkehren, mit dem Bewußtſeyn eines Doppelverlan- gens: er muß anerkennen, daß in ſeinem Drange nach der Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß die Dinge beharren moͤchten in ihrer Eigenheit, damit eine unendliche Aneignung moͤglich ſey: dieſe unendliche Aneignung nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott ſelbſt anzuſchauen als dieſe Liebe.
Das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, das Beduͤrfniß nach der Ganzheit und Ewigkeit, wird alſo befriedigt durch die Erkennt- niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die unendliche Ausuͤbung der Liebe, indem die Eigenheit und Un- uͤberwindlichkeit aller Gegenſtaͤnde der Liebe anerkannt wird.
Kein Beduͤrfniß des Lebens wird auf eine andere Weiſe be- friedigt: mit jedem Biſſen fuͤr unſern Hunger, mit jedem Tropfen fuͤr unſern Durſt wollen wir zugleich die Beruhigung ſpeiſen und trinken, daß wir dieſe Begierden immer werden befriedigen koͤnnen, daß alle anderen Bedingungen dieſer Be- friedigung dauern werden, daß auch der Naͤchſte, deſſen liebe- vollen Beyſtand wir brauchen um dieſes Brotes und dieſes Weines willen, ſich derſelbigen Befriedigung erfreue, daß alſo das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge- ſchoͤpfe der Tage unter einander und dieſe regelmaͤßig mit jenen verbindet.
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[108/0122]
Perſonen, ſondern ihre innere Perſoͤnlichkeit ſelbſt begehrt,
dieſe Perſoͤnlichkeit aber nur begehrt werden kann, inwiefern
ſie das Bleibende iſt, unter allem vergaͤnglichen Auſſenweſen,
alſo begehrt wird, und doch zugleich ewig unerreichbar iſt fuͤr
alles Begehren, — ſo muß der Menſch aus dieſem Wider-
ſpruch zuruͤckkehren, mit dem Bewußtſeyn eines Doppelverlan-
gens: er muß anerkennen, daß in ſeinem Drange nach der
Aneignung zugleich das andere Verlangen verborgen liegt, daß
die Dinge beharren moͤchten in ihrer Eigenheit, damit eine
unendliche Aneignung moͤglich ſey: dieſe unendliche Aneignung
nennt die Religion: Liebe, und befiehlt: Gott ſelbſt anzuſchauen
als dieſe Liebe.
Das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, das Beduͤrfniß nach der
Ganzheit und Ewigkeit, wird alſo befriedigt durch die Erkennt-
niß der Vereinigung des Ganzen in der Liebe, und durch die
unendliche Ausuͤbung der Liebe, indem die Eigenheit und Un-
uͤberwindlichkeit aller Gegenſtaͤnde der Liebe anerkannt wird.
Kein Beduͤrfniß des Lebens wird auf eine andere Weiſe be-
friedigt: mit jedem Biſſen fuͤr unſern Hunger, mit jedem
Tropfen fuͤr unſern Durſt wollen wir zugleich die Beruhigung
ſpeiſen und trinken, daß wir dieſe Begierden immer werden
befriedigen koͤnnen, daß alle anderen Bedingungen dieſer Be-
friedigung dauern werden, daß auch der Naͤchſte, deſſen liebe-
vollen Beyſtand wir brauchen um dieſes Brotes und dieſes
Weines willen, ſich derſelbigen Befriedigung erfreue, daß alſo
das Band fortdaure, welches die Tage untereinander, die Ge-
ſchoͤpfe der Tage unter einander und dieſe regelmaͤßig mit jenen
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/122>, abgerufen am 16.02.2025.
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