ist, der aber früh verloren gegangen, und nur durch ein göttliches Licht hat wieder gefunden werden können, und von den Weisen der Erde doch wieder vergessen worden ist. Er heißt: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst und um dieß höchst dunkle und mystische Wort den Philosophen und Oekonomen dieser Tage zu übersetzen: Erfülle dich ganz von der innersten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll- ständigkeit und Ewigkeit, welche du begehrst, umfaßt, und dann um dieser Ganzheit willen erkenne außer dir deines Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unüber- windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen- stand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.
Also, damit das Bedürfniß aller Bedürfnisse befriedigt werden könne, muß der Mensch ein unendliches Verlangen der Aneignung empfinden: Hunger und Durst und tausend- fältige Mängel pflegen und bestärken dieses Verlangen; aber damit dieses Verlangen nicht unabhängig für sich, ohne ein anderes beschränkendes und dämpfendes Element, wie ein sich selbst überlassenes, verzehrendes Feuer rase, muß es gehemmt werden durch seinen Gegenstand, -- muß ihm ein unendliches Versagen zur Seite gehn. --
Die Sachen scheinen diesem verzehrenden Verlangen un- bedingt unterworfen; aber da sich, nach der Einrichtung die- ser Welt, die Sachen nicht aneignen lassen, als vermittelst der Personen, da bald die Personen selbst zum Gegenstande des allerungestümsten Verlangens werden, dieses Verlangen aber nur deßhalb so ungestüm ist, weil es nichts Aeußeres an den
iſt, der aber fruͤh verloren gegangen, und nur durch ein goͤttliches Licht hat wieder gefunden werden koͤnnen, und von den Weiſen der Erde doch wieder vergeſſen worden iſt. Er heißt: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤchſten als dich ſelbſt und um dieß hoͤchſt dunkle und myſtiſche Wort den Philoſophen und Oekonomen dieſer Tage zu uͤberſetzen: Erfuͤlle dich ganz von der innerſten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll- ſtaͤndigkeit und Ewigkeit, welche du begehrſt, umfaßt, und dann um dieſer Ganzheit willen erkenne außer dir deines Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unuͤber- windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen- ſtand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.
Alſo, damit das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe befriedigt werden koͤnne, muß der Menſch ein unendliches Verlangen der Aneignung empfinden: Hunger und Durſt und tauſend- faͤltige Maͤngel pflegen und beſtaͤrken dieſes Verlangen; aber damit dieſes Verlangen nicht unabhaͤngig fuͤr ſich, ohne ein anderes beſchraͤnkendes und daͤmpfendes Element, wie ein ſich ſelbſt uͤberlaſſenes, verzehrendes Feuer raſe, muß es gehemmt werden durch ſeinen Gegenſtand, — muß ihm ein unendliches Verſagen zur Seite gehn. —
Die Sachen ſcheinen dieſem verzehrenden Verlangen un- bedingt unterworfen; aber da ſich, nach der Einrichtung die- ſer Welt, die Sachen nicht aneignen laſſen, als vermittelſt der Perſonen, da bald die Perſonen ſelbſt zum Gegenſtande des allerungeſtuͤmſten Verlangens werden, dieſes Verlangen aber nur deßhalb ſo ungeſtuͤm iſt, weil es nichts Aeußeres an den
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iſt, der aber fruͤh verloren gegangen, und nur durch ein
goͤttliches Licht hat wieder gefunden werden koͤnnen, und von
den Weiſen der Erde doch wieder vergeſſen worden iſt. Er
heißt: Liebe Gott uͤber alles und deinen Naͤchſten als dich ſelbſt
und um dieß hoͤchſt dunkle und myſtiſche Wort den Philoſophen
und Oekonomen dieſer Tage zu uͤberſetzen: Erfuͤlle dich ganz
von der innerſten Eigenheit deiner Natur, von dem Drange
nach der Ganzheit, die den Raum und die Zeit, die jene Voll-
ſtaͤndigkeit und Ewigkeit, welche du begehrſt, umfaßt, und
dann um dieſer Ganzheit willen erkenne außer dir deines
Gleichen an, erkenne daß er außer dir unerobert, unuͤber-
windlich bleiben muß, damit deine Innerlichkeit einen Gegen-
ſtand unendlicher Aneignung, d. h. der Liebe habe.
Alſo, damit das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe befriedigt
werden koͤnne, muß der Menſch ein unendliches Verlangen
der Aneignung empfinden: Hunger und Durſt und tauſend-
faͤltige Maͤngel pflegen und beſtaͤrken dieſes Verlangen; aber
damit dieſes Verlangen nicht unabhaͤngig fuͤr ſich, ohne ein
anderes beſchraͤnkendes und daͤmpfendes Element, wie ein ſich
ſelbſt uͤberlaſſenes, verzehrendes Feuer raſe, muß es gehemmt
werden durch ſeinen Gegenſtand, — muß ihm ein unendliches
Verſagen zur Seite gehn. —
Die Sachen ſcheinen dieſem verzehrenden Verlangen un-
bedingt unterworfen; aber da ſich, nach der Einrichtung die-
ſer Welt, die Sachen nicht aneignen laſſen, als vermittelſt der
Perſonen, da bald die Perſonen ſelbſt zum Gegenſtande des
allerungeſtuͤmſten Verlangens werden, dieſes Verlangen aber
nur deßhalb ſo ungeſtuͤm iſt, weil es nichts Aeußeres an den
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/121>, abgerufen am 16.07.2024.
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