Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

der Engel fängt sie in seinen Händen auf, und Maria wird damit getauft. Während der heiligen Handlung entzündet sich das Herz des Täufers von inbrünstiger Liebe zu der schönen Getauften, und indem ihre Lippen das Crucifix, welches er ihr zum Kusse darreicht, berühren, wird in ihm der irdische Wunsch rege, an der Stelle des Gekreuzigten zu sein. Darüber betrübt und erzürnt sich die Mutter Gottes, und der Engel verschwindet. Tiefe Nacht herrscht nun ringsumher, wilde Stimmen werden laut, stürmische Tritte toben durch das Haus, und mit kreischenden Flüchen und Lästerungen wird die Thüre der Kammer aufgerissen. Der Jüngling hält die Jungfrau in seinen Armen, aber er widersteht der lockenden Versuchung und dem drohenden Schrecken und spricht den Segen über das Haupt der Getauften aus. Kaum hat er dieses vollendet, so ist die Mutter Gottes versöhnt. Sie wirft einen Marterkranz aus dem Himmel herunter, und wie dieser die Schläfe des Jünglings berührt, erwürgt ihn die Hand eines ungläubigen Wütherichs. Sterbend weihet er die Getaufte noch mit folgenden Worten zu seiner geistlichen Braut: Leide zu Ehren Dessen, der für dich gelitten, aber wann deine Stunde schlägt, so werde ich wieder zu dir herabkommen und dich einführen in die himmlischen Wohnungen. Ave Maria, Amen!

Dies war der Schluß des Gedichts, dessen überspannte Darstellung wir in dem kurzen Auszuge seines

der Engel fängt sie in seinen Händen auf, und Maria wird damit getauft. Während der heiligen Handlung entzündet sich das Herz des Täufers von inbrünstiger Liebe zu der schönen Getauften, und indem ihre Lippen das Crucifix, welches er ihr zum Kusse darreicht, berühren, wird in ihm der irdische Wunsch rege, an der Stelle des Gekreuzigten zu sein. Darüber betrübt und erzürnt sich die Mutter Gottes, und der Engel verschwindet. Tiefe Nacht herrscht nun ringsumher, wilde Stimmen werden laut, stürmische Tritte toben durch das Haus, und mit kreischenden Flüchen und Lästerungen wird die Thüre der Kammer aufgerissen. Der Jüngling hält die Jungfrau in seinen Armen, aber er widersteht der lockenden Versuchung und dem drohenden Schrecken und spricht den Segen über das Haupt der Getauften aus. Kaum hat er dieses vollendet, so ist die Mutter Gottes versöhnt. Sie wirft einen Marterkranz aus dem Himmel herunter, und wie dieser die Schläfe des Jünglings berührt, erwürgt ihn die Hand eines ungläubigen Wütherichs. Sterbend weihet er die Getaufte noch mit folgenden Worten zu seiner geistlichen Braut: Leide zu Ehren Dessen, der für dich gelitten, aber wann deine Stunde schlägt, so werde ich wieder zu dir herabkommen und dich einführen in die himmlischen Wohnungen. Ave Maria, Amen!

Dies war der Schluß des Gedichts, dessen überspannte Darstellung wir in dem kurzen Auszuge seines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="9">
        <p><pb facs="#f0071"/>
der                Engel fängt sie in seinen Händen auf, und Maria wird damit getauft. Während der                heiligen Handlung entzündet sich das Herz des Täufers von inbrünstiger Liebe zu der                schönen Getauften, und indem ihre Lippen das Crucifix, welches er ihr zum Kusse                darreicht, berühren, wird in ihm der irdische Wunsch rege, an der Stelle des                Gekreuzigten zu sein. Darüber betrübt und erzürnt sich die Mutter Gottes, und der                Engel verschwindet. Tiefe Nacht herrscht nun ringsumher, wilde Stimmen werden laut,                stürmische Tritte toben durch das Haus, und mit kreischenden Flüchen und Lästerungen                wird die Thüre der Kammer aufgerissen. Der Jüngling hält die Jungfrau in seinen                Armen, aber er widersteht der lockenden Versuchung und dem drohenden Schrecken und                spricht den Segen über das Haupt der Getauften aus. Kaum hat er dieses vollendet, so                ist die Mutter Gottes versöhnt. Sie wirft einen Marterkranz aus dem Himmel herunter,                und wie dieser die Schläfe des Jünglings berührt, erwürgt ihn die Hand eines                ungläubigen Wütherichs. Sterbend weihet er die Getaufte noch mit folgenden Worten zu                seiner geistlichen Braut: Leide zu Ehren Dessen, der für dich gelitten, aber wann                deine Stunde schlägt, so werde ich wieder zu dir herabkommen und dich einführen in                die himmlischen Wohnungen. Ave Maria, Amen!</p><lb/>
        <p>Dies war der Schluß des Gedichts, dessen überspannte Darstellung wir in dem kurzen                Auszuge seines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] der Engel fängt sie in seinen Händen auf, und Maria wird damit getauft. Während der heiligen Handlung entzündet sich das Herz des Täufers von inbrünstiger Liebe zu der schönen Getauften, und indem ihre Lippen das Crucifix, welches er ihr zum Kusse darreicht, berühren, wird in ihm der irdische Wunsch rege, an der Stelle des Gekreuzigten zu sein. Darüber betrübt und erzürnt sich die Mutter Gottes, und der Engel verschwindet. Tiefe Nacht herrscht nun ringsumher, wilde Stimmen werden laut, stürmische Tritte toben durch das Haus, und mit kreischenden Flüchen und Lästerungen wird die Thüre der Kammer aufgerissen. Der Jüngling hält die Jungfrau in seinen Armen, aber er widersteht der lockenden Versuchung und dem drohenden Schrecken und spricht den Segen über das Haupt der Getauften aus. Kaum hat er dieses vollendet, so ist die Mutter Gottes versöhnt. Sie wirft einen Marterkranz aus dem Himmel herunter, und wie dieser die Schläfe des Jünglings berührt, erwürgt ihn die Hand eines ungläubigen Wütherichs. Sterbend weihet er die Getaufte noch mit folgenden Worten zu seiner geistlichen Braut: Leide zu Ehren Dessen, der für dich gelitten, aber wann deine Stunde schlägt, so werde ich wieder zu dir herabkommen und dich einführen in die himmlischen Wohnungen. Ave Maria, Amen! Dies war der Schluß des Gedichts, dessen überspannte Darstellung wir in dem kurzen Auszuge seines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/71
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/71>, abgerufen am 24.11.2024.