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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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um Mitternacht, umflossen von silbernen Strahlen, und schwebt wie eine Feuersäule vor ihm her, während er, ohne zu fragen und sich umzublicken, dem himmlischen Lichte nachfolgt. Vor einem hohen Thore wird ein Halt gemacht, der Engel zieht mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand ein Kreuz über das Schloß, und ohne Geräusch öffnen sich die beiden Flügel. Sie sind im Ghetto. Eine niedrige Hütte, finster und schmutzig, wie die ruchloseste Judenseele, thut sich vor ihnen auf, und eine Jungfrau, schön und betrübt, wie Esther vor dem Throne des Ahasverus, heißt die fremden Jünglinge mit demüthigen Geberden in ihrer Kammer willkommen. Denn auch ihr ist in einem wunderbaren Traume die Verheißung einer Erlösung zu Theil geworden, aber sie weiß nicht, woraus sie erlößt werden soll, ob aus den Sclavenfesseln ihres todten Glaubens, oder aus den grausamen Händen ihres Vaters. Der Jüngling verkündigt ihr seine Sendung und fragt sie feierlich, ob sie die Taufe von ihm annehmen wolle. Nach der Bejahung dieser Frage beginnt ein kurzes Examen über die Hauptpunkte der katholischen Glaubenslehre, welches die Jüdin, erleuchtet von der heiligen Jungfrau, mit solcher Weisheit und Salbung besieht, daß der Missionär sie als würdig erkennt, das Bad der Gnade augenblicklich zu empfangen. Aber es fehlt an Weihwasser; da rinnt plötzlich ein reicher Strom von Thränen aus den Augen des entzückten Jünglings,

um Mitternacht, umflossen von silbernen Strahlen, und schwebt wie eine Feuersäule vor ihm her, während er, ohne zu fragen und sich umzublicken, dem himmlischen Lichte nachfolgt. Vor einem hohen Thore wird ein Halt gemacht, der Engel zieht mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand ein Kreuz über das Schloß, und ohne Geräusch öffnen sich die beiden Flügel. Sie sind im Ghetto. Eine niedrige Hütte, finster und schmutzig, wie die ruchloseste Judenseele, thut sich vor ihnen auf, und eine Jungfrau, schön und betrübt, wie Esther vor dem Throne des Ahasverus, heißt die fremden Jünglinge mit demüthigen Geberden in ihrer Kammer willkommen. Denn auch ihr ist in einem wunderbaren Traume die Verheißung einer Erlösung zu Theil geworden, aber sie weiß nicht, woraus sie erlößt werden soll, ob aus den Sclavenfesseln ihres todten Glaubens, oder aus den grausamen Händen ihres Vaters. Der Jüngling verkündigt ihr seine Sendung und fragt sie feierlich, ob sie die Taufe von ihm annehmen wolle. Nach der Bejahung dieser Frage beginnt ein kurzes Examen über die Hauptpunkte der katholischen Glaubenslehre, welches die Jüdin, erleuchtet von der heiligen Jungfrau, mit solcher Weisheit und Salbung besieht, daß der Missionär sie als würdig erkennt, das Bad der Gnade augenblicklich zu empfangen. Aber es fehlt an Weihwasser; da rinnt plötzlich ein reicher Strom von Thränen aus den Augen des entzückten Jünglings,

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[0070] um Mitternacht, umflossen von silbernen Strahlen, und schwebt wie eine Feuersäule vor ihm her, während er, ohne zu fragen und sich umzublicken, dem himmlischen Lichte nachfolgt. Vor einem hohen Thore wird ein Halt gemacht, der Engel zieht mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand ein Kreuz über das Schloß, und ohne Geräusch öffnen sich die beiden Flügel. Sie sind im Ghetto. Eine niedrige Hütte, finster und schmutzig, wie die ruchloseste Judenseele, thut sich vor ihnen auf, und eine Jungfrau, schön und betrübt, wie Esther vor dem Throne des Ahasverus, heißt die fremden Jünglinge mit demüthigen Geberden in ihrer Kammer willkommen. Denn auch ihr ist in einem wunderbaren Traume die Verheißung einer Erlösung zu Theil geworden, aber sie weiß nicht, woraus sie erlößt werden soll, ob aus den Sclavenfesseln ihres todten Glaubens, oder aus den grausamen Händen ihres Vaters. Der Jüngling verkündigt ihr seine Sendung und fragt sie feierlich, ob sie die Taufe von ihm annehmen wolle. Nach der Bejahung dieser Frage beginnt ein kurzes Examen über die Hauptpunkte der katholischen Glaubenslehre, welches die Jüdin, erleuchtet von der heiligen Jungfrau, mit solcher Weisheit und Salbung besieht, daß der Missionär sie als würdig erkennt, das Bad der Gnade augenblicklich zu empfangen. Aber es fehlt an Weihwasser; da rinnt plötzlich ein reicher Strom von Thränen aus den Augen des entzückten Jünglings,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/70>, abgerufen am 22.11.2024.