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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Stadt, bis endlich eine alte entfernte Verwandte, die er in dem Ghetto von Rom entdeckt hatte, sich seiner erbarmte und ihn zu ihrem Geschäftsführer in einem Handel mit abgenutzten Kleidern und Geräthen annahm. Bald darauf starb seine Wohlthäterin und übergab ihm durch ihren letzten Willen die Mittel, ihr Geschäft in sein eigenes zu verwandeln.

Seit dieser Zeit galt Aron für einen der vornehmsten Bürger des Ghetto und machte sich besonders durch seine strenge Beobachtung der mosaischen Sitten und Gesetze in diesem kleinen Jerusalem allgemein verehrt. Aber in seinem Innern brütete die Rachsucht, die sich seit Jahren von seinem eigenen Fleische und Blute genährt hatte, auf ihren schwarzen Entwürfen fort, und während die Wunden zu verharschen anfingen, welche die Erbfeinde seines Glaubens ihm selbst geschlagen hatten, fühlte er desto ungetheilter den nie vernarbenden Schmerz, der sein heiliges Volk unter dem Joche der Nazarener in den Staub drückte. Mitten in der großen Hauptstadt der Christenheit in einem engen Winkel eingekerkert, ausgeschlossen von allen bürgerlichen Rechten und Freiheiten und verdammt zu den schimpflichsten Leistungen der Sclaverei, mußte er jetzt ingrimmiger als jemals die Demüthigung der Seinigen und den Uebermuth ihrer Tyrannen verknirschen. So oft er den Ghetto verließ und an den prächtigen Tempeln und Palästen der Messiaspriester vorüberging, oder gar, von einer

Stadt, bis endlich eine alte entfernte Verwandte, die er in dem Ghetto von Rom entdeckt hatte, sich seiner erbarmte und ihn zu ihrem Geschäftsführer in einem Handel mit abgenutzten Kleidern und Geräthen annahm. Bald darauf starb seine Wohlthäterin und übergab ihm durch ihren letzten Willen die Mittel, ihr Geschäft in sein eigenes zu verwandeln.

Seit dieser Zeit galt Aron für einen der vornehmsten Bürger des Ghetto und machte sich besonders durch seine strenge Beobachtung der mosaischen Sitten und Gesetze in diesem kleinen Jerusalem allgemein verehrt. Aber in seinem Innern brütete die Rachsucht, die sich seit Jahren von seinem eigenen Fleische und Blute genährt hatte, auf ihren schwarzen Entwürfen fort, und während die Wunden zu verharschen anfingen, welche die Erbfeinde seines Glaubens ihm selbst geschlagen hatten, fühlte er desto ungetheilter den nie vernarbenden Schmerz, der sein heiliges Volk unter dem Joche der Nazarener in den Staub drückte. Mitten in der großen Hauptstadt der Christenheit in einem engen Winkel eingekerkert, ausgeschlossen von allen bürgerlichen Rechten und Freiheiten und verdammt zu den schimpflichsten Leistungen der Sclaverei, mußte er jetzt ingrimmiger als jemals die Demüthigung der Seinigen und den Uebermuth ihrer Tyrannen verknirschen. So oft er den Ghetto verließ und an den prächtigen Tempeln und Palästen der Messiaspriester vorüberging, oder gar, von einer

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[0145] Stadt, bis endlich eine alte entfernte Verwandte, die er in dem Ghetto von Rom entdeckt hatte, sich seiner erbarmte und ihn zu ihrem Geschäftsführer in einem Handel mit abgenutzten Kleidern und Geräthen annahm. Bald darauf starb seine Wohlthäterin und übergab ihm durch ihren letzten Willen die Mittel, ihr Geschäft in sein eigenes zu verwandeln. Seit dieser Zeit galt Aron für einen der vornehmsten Bürger des Ghetto und machte sich besonders durch seine strenge Beobachtung der mosaischen Sitten und Gesetze in diesem kleinen Jerusalem allgemein verehrt. Aber in seinem Innern brütete die Rachsucht, die sich seit Jahren von seinem eigenen Fleische und Blute genährt hatte, auf ihren schwarzen Entwürfen fort, und während die Wunden zu verharschen anfingen, welche die Erbfeinde seines Glaubens ihm selbst geschlagen hatten, fühlte er desto ungetheilter den nie vernarbenden Schmerz, der sein heiliges Volk unter dem Joche der Nazarener in den Staub drückte. Mitten in der großen Hauptstadt der Christenheit in einem engen Winkel eingekerkert, ausgeschlossen von allen bürgerlichen Rechten und Freiheiten und verdammt zu den schimpflichsten Leistungen der Sclaverei, mußte er jetzt ingrimmiger als jemals die Demüthigung der Seinigen und den Uebermuth ihrer Tyrannen verknirschen. So oft er den Ghetto verließ und an den prächtigen Tempeln und Palästen der Messiaspriester vorüberging, oder gar, von einer

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/145>, abgerufen am 27.11.2024.