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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gebracht worden wäre, diesen Morgen gegen Sonnenaufgang als eine gute Christin nach dem Genusse der Hostie und dem Empfange der letzten Oelung aus dem Leben abgeschieden sei. Ein armes Mädchen aus der Anstalt sei durch die zufällige Berührung ihrer Hand in dem Augenblicke ihres Todes von dem Veitstanze geheilt worden, und sobald der Ruf eines solchen Wunders sich verbreitet habe, sei das Volk haufenweise nach dem Kloster geströmt, um die heilige Leiche zu verehren. Endlich habe die Polizei sich in das Mittel gelegt und die Eingänge des Gebäudes besetzt, und von der Zeit an werde keine Menschenseele mehr zugelassen. Nachdem die Träger diese Erzählung beendigt hatten, sank der Jüngling, ohne einen Laut von sich zu geben, in die Sänfte zurück und faltete die Hände über seine Brust zusammen. Dann winkte er mit seinem Taschentuche aus dem Fensterschlage, und als die beiden Männer um seinen Befehl baten, sprach er mit nachdrücklicher Betonung: Nach Hause!

Es schien mit diesem Augenblicke eine wunderbare Fassung über unsern Freund gekommen zu sein, und der Tod Debora's hatte die kämpfenden Bewegungen seines Innern mit einem großen und entscheidenden Streiche geschlichtet. Er hatte abgeschlossen mit sich und dem Leben, Hoffnung und Furcht, Sehnsucht und Abscheu rannen friedlich ineinander, aufgelös't in das Gefühl jener Ergebung, die nichts mehr bedarf, nachdem sie Alles verloren hat, und so beugte

gebracht worden wäre, diesen Morgen gegen Sonnenaufgang als eine gute Christin nach dem Genusse der Hostie und dem Empfange der letzten Oelung aus dem Leben abgeschieden sei. Ein armes Mädchen aus der Anstalt sei durch die zufällige Berührung ihrer Hand in dem Augenblicke ihres Todes von dem Veitstanze geheilt worden, und sobald der Ruf eines solchen Wunders sich verbreitet habe, sei das Volk haufenweise nach dem Kloster geströmt, um die heilige Leiche zu verehren. Endlich habe die Polizei sich in das Mittel gelegt und die Eingänge des Gebäudes besetzt, und von der Zeit an werde keine Menschenseele mehr zugelassen. Nachdem die Träger diese Erzählung beendigt hatten, sank der Jüngling, ohne einen Laut von sich zu geben, in die Sänfte zurück und faltete die Hände über seine Brust zusammen. Dann winkte er mit seinem Taschentuche aus dem Fensterschlage, und als die beiden Männer um seinen Befehl baten, sprach er mit nachdrücklicher Betonung: Nach Hause!

Es schien mit diesem Augenblicke eine wunderbare Fassung über unsern Freund gekommen zu sein, und der Tod Debora's hatte die kämpfenden Bewegungen seines Innern mit einem großen und entscheidenden Streiche geschlichtet. Er hatte abgeschlossen mit sich und dem Leben, Hoffnung und Furcht, Sehnsucht und Abscheu rannen friedlich ineinander, aufgelös't in das Gefühl jener Ergebung, die nichts mehr bedarf, nachdem sie Alles verloren hat, und so beugte

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[0141] gebracht worden wäre, diesen Morgen gegen Sonnenaufgang als eine gute Christin nach dem Genusse der Hostie und dem Empfange der letzten Oelung aus dem Leben abgeschieden sei. Ein armes Mädchen aus der Anstalt sei durch die zufällige Berührung ihrer Hand in dem Augenblicke ihres Todes von dem Veitstanze geheilt worden, und sobald der Ruf eines solchen Wunders sich verbreitet habe, sei das Volk haufenweise nach dem Kloster geströmt, um die heilige Leiche zu verehren. Endlich habe die Polizei sich in das Mittel gelegt und die Eingänge des Gebäudes besetzt, und von der Zeit an werde keine Menschenseele mehr zugelassen. Nachdem die Träger diese Erzählung beendigt hatten, sank der Jüngling, ohne einen Laut von sich zu geben, in die Sänfte zurück und faltete die Hände über seine Brust zusammen. Dann winkte er mit seinem Taschentuche aus dem Fensterschlage, und als die beiden Männer um seinen Befehl baten, sprach er mit nachdrücklicher Betonung: Nach Hause! Es schien mit diesem Augenblicke eine wunderbare Fassung über unsern Freund gekommen zu sein, und der Tod Debora's hatte die kämpfenden Bewegungen seines Innern mit einem großen und entscheidenden Streiche geschlichtet. Er hatte abgeschlossen mit sich und dem Leben, Hoffnung und Furcht, Sehnsucht und Abscheu rannen friedlich ineinander, aufgelös't in das Gefühl jener Ergebung, die nichts mehr bedarf, nachdem sie Alles verloren hat, und so beugte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/141>, abgerufen am 26.11.2024.