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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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als eine oberflächliche Aehnlichkeit mit der unergründlichen Schönheit seines Ideals in irgend einem lebenden Wesen entdeckt haben sollten, und eine solche würde für ihn selbst wohl kaum bemerklich sein. Er wunderte sich sogar, wie es nur möglich gewesen wäre, daß ein zufälliges Zusammentreffen zweier Namen, welche keinesweges zu den seltensten unter den Israeliten gehörten, ihn so tief erschüttert und seinen Zustand dem Professor so lächerlich bloßgestellt hätte. Das war nun nicht mehr zu ändern, und er hielt es in seiner jetzigen Lage für das kürzeste Mittel, sich aus der Sache zu ziehen, wenn er dem Professor den Willen thäte, mit ihm nach dem Ghetto ginge, das Mädchen ansähe und, wie er sie auch fände, ihre Aehnlichkeit mit seinem Bilde geradezu leugnete.

In solcher gegenseitigen Stimmung machten der Wirth und der Gast nach einer kurzen Mahlzeit sich auf den Weg und erreichten den Ghetto, ohne viele Worte gewechselt zu haben. Arthur hatte den verrufenen Ort noch niemals betreten und kannte ihn nur aus der Schilderung in dem Volksbuche von dem Martertode des Don Alonzo de Floridias, dessen Lesung auch seine eigene Phantasie in diesen schmutzigen Winkel des Elends und der Schmach hineingezogen hatte. Als er nun vor dem offenen Thore stand und in die kleine armselige Stadt der alten Bürger von Jerusalem eintreten wollte, aus welcher ein übelriechender Dampf und ein verworrenes Ge-

als eine oberflächliche Aehnlichkeit mit der unergründlichen Schönheit seines Ideals in irgend einem lebenden Wesen entdeckt haben sollten, und eine solche würde für ihn selbst wohl kaum bemerklich sein. Er wunderte sich sogar, wie es nur möglich gewesen wäre, daß ein zufälliges Zusammentreffen zweier Namen, welche keinesweges zu den seltensten unter den Israeliten gehörten, ihn so tief erschüttert und seinen Zustand dem Professor so lächerlich bloßgestellt hätte. Das war nun nicht mehr zu ändern, und er hielt es in seiner jetzigen Lage für das kürzeste Mittel, sich aus der Sache zu ziehen, wenn er dem Professor den Willen thäte, mit ihm nach dem Ghetto ginge, das Mädchen ansähe und, wie er sie auch fände, ihre Aehnlichkeit mit seinem Bilde geradezu leugnete.

In solcher gegenseitigen Stimmung machten der Wirth und der Gast nach einer kurzen Mahlzeit sich auf den Weg und erreichten den Ghetto, ohne viele Worte gewechselt zu haben. Arthur hatte den verrufenen Ort noch niemals betreten und kannte ihn nur aus der Schilderung in dem Volksbuche von dem Martertode des Don Alonzo de Floridias, dessen Lesung auch seine eigene Phantasie in diesen schmutzigen Winkel des Elends und der Schmach hineingezogen hatte. Als er nun vor dem offenen Thore stand und in die kleine armselige Stadt der alten Bürger von Jerusalem eintreten wollte, aus welcher ein übelriechender Dampf und ein verworrenes Ge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/128>, abgerufen am 25.11.2024.