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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Wie unsern Faden Zeit und Kranckheit abgeschnitten/
Wie jeder Wind verlescht des Lebens tunckles Licht.
Wie wir nichts ewiges in dieser Welt zu hoffen/
Und unsre Pilgramschafft hat ein weit höher Ziel;
So wär' ein solches Hertz in Sünden gantz ersoffen/
Daß da es eilen soll/ sich noch versäumen will.
Er trete/ werther Greiß/ zu seiner Liebsten Beinen/
Jch Schatten leite hier den andern zu der Nacht;
Da steckt was herrlichers als in den Marmel-Steinen/
Dieweil sie GOttes Geist lebendig wieder macht/
Es muß auch dieses Grab mehr als ein Graben heissen/
Es wird mit Erde nicht wie jenes nur gefüllt;
Die Haut/ so jetzt verschrumpfft/ soll ausgekläret gleissen/
Die dürren Rippen hat denn neues Fleisch umbhüllt.
Der auffgeworffne Kloß der Erden stellt die Hügel/
Die Freuden-Hügel vor/ in Salems schöner Stadt.
Jch meyne daß ein Mensch mit freygelaßnem Zügel
Zu rennen nach dem Ziel genugsam Ursach hat.
Zu dem/ die erste Kirch erkiest in holen Grüfften/
Jn alten Gräbern offt der Andacht Sicherheit.
Ja Heyden/ wolten sie ein Mahl des Todes stifften/
So ward die Hirnschal' ein zum Trinck-Geschirr geweyht.
Das erste rühm' ich noch/ Gewissens-Zwang zu meiden
Hat manche fromme Seel in Gräbern Ruh gesucht.
Das letzt' an Todten noch die Augen wollen weiden/
Jst wider die Gesetz und von Natur verflucht.
Alleine soll es bloß ein Angedencken heissen/
Daß auch die Weisen meist in ihrem Sinn bethört;
So gilt bey Christen nicht so ein schein-heilig Gleissen/
Jndem uns GOttes Wort gar ein weit bessers lehrt.
Ein ander Odem wird in unser Beine dringen/
Der uns aus Milch und Blut zusammen hat gefügt.
Kan der nicht neue Krafft in dürre Beine bringen/
Der Teuffel/ Höll und Welt hat im Triumph besiegt!
So ist die Liebste nicht/ hochwerther Freund/ verlohrem
Sie tritt als Heroldin zum ersten auff den Platz:
Sie hat vor Welt und Tand den Himmel auserkohren/
Mißgönnt er seiner Frau/ so außerwehlten Schatz?
Ach nein! sie ist und bleibt in seiner Seel' begraben/
Jhr würdig Ehren-Lob frist Rost und Schimmel nicht;
Jhr
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Leichen-Gedichte.
Wie unſern Faden Zeit und Kranckheit abgeſchnitten/
Wie jeder Wind verleſcht des Lebens tunckles Licht.
Wie wir nichts ewiges in dieſer Welt zu hoffen/
Und unſre Pilgramſchafft hat ein weit hoͤher Ziel;
So waͤr’ ein ſolches Hertz in Suͤnden gantz erſoffen/
Daß da es eilen ſoll/ ſich noch verſaͤumen will.
Er trete/ werther Greiß/ zu ſeiner Liebſten Beinen/
Jch Schatten leite hier den andern zu der Nacht;
Da ſteckt was herrlichers als in den Marmel-Steinen/
Dieweil ſie GOttes Geiſt lebendig wieder macht/
Es muß auch dieſes Grab mehr als ein Graben heiſſen/
Es wird mit Erde nicht wie jenes nur gefuͤllt;
Die Haut/ ſo jetzt verſchrumpfft/ ſoll ausgeklaͤret gleiſſen/
Die duͤrren Rippen hat denn neues Fleiſch umbhuͤllt.
Der auffgeworffne Kloß der Erden ſtellt die Huͤgel/
Die Freuden-Huͤgel vor/ in Salems ſchoͤner Stadt.
Jch meyne daß ein Menſch mit freygelaßnem Zuͤgel
Zu rennen nach dem Ziel genugſam Urſach hat.
Zu dem/ die erſte Kirch erkieſt in holen Gruͤfften/
Jn alten Graͤbern offt der Andacht Sicherheit.
Ja Heyden/ wolten ſie ein Mahl des Todes ſtifften/
So ward die Hirnſchal’ ein zum Trinck-Geſchirr geweyht.
Das erſte ruͤhm’ ich noch/ Gewiſſens-Zwang zu meiden
Hat manche fromme Seel in Graͤbern Ruh geſucht.
Das letzt’ an Todten noch die Augen wollen weiden/
Jſt wider die Geſetz und von Natur verflucht.
Alleine ſoll es bloß ein Angedencken heiſſen/
Daß auch die Weiſen meiſt in ihrem Sinn bethoͤrt;
So gilt bey Chriſten nicht ſo ein ſchein-heilig Gleiſſen/
Jndem uns GOttes Wort gar ein weit beſſers lehrt.
Ein ander Odem wird in unſer Beine dringen/
Der uns aus Milch und Blut zuſammen hat gefuͤgt.
Kan der nicht neue Krafft in duͤrre Beine bringen/
Der Teuffel/ Hoͤll und Welt hat im Triumph beſiegt!
So iſt die Liebſte nicht/ hochwerther Freund/ verlohrem
Sie tritt als Heroldin zum erſten auff den Platz:
Sie hat vor Welt und Tand den Himmel auserkohren/
Mißgoͤnnt er ſeiner Frau/ ſo außerwehlten Schatz?
Ach nein! ſie iſt und bleibt in ſeiner Seel’ begraben/
Jhr wuͤrdig Ehren-Lob friſt Roſt und Schimmel nicht;
Jhr
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[451/0683] Leichen-Gedichte. Wie unſern Faden Zeit und Kranckheit abgeſchnitten/ Wie jeder Wind verleſcht des Lebens tunckles Licht. Wie wir nichts ewiges in dieſer Welt zu hoffen/ Und unſre Pilgramſchafft hat ein weit hoͤher Ziel; So waͤr’ ein ſolches Hertz in Suͤnden gantz erſoffen/ Daß da es eilen ſoll/ ſich noch verſaͤumen will. Er trete/ werther Greiß/ zu ſeiner Liebſten Beinen/ Jch Schatten leite hier den andern zu der Nacht; Da ſteckt was herrlichers als in den Marmel-Steinen/ Dieweil ſie GOttes Geiſt lebendig wieder macht/ Es muß auch dieſes Grab mehr als ein Graben heiſſen/ Es wird mit Erde nicht wie jenes nur gefuͤllt; Die Haut/ ſo jetzt verſchrumpfft/ ſoll ausgeklaͤret gleiſſen/ Die duͤrren Rippen hat denn neues Fleiſch umbhuͤllt. Der auffgeworffne Kloß der Erden ſtellt die Huͤgel/ Die Freuden-Huͤgel vor/ in Salems ſchoͤner Stadt. Jch meyne daß ein Menſch mit freygelaßnem Zuͤgel Zu rennen nach dem Ziel genugſam Urſach hat. Zu dem/ die erſte Kirch erkieſt in holen Gruͤfften/ Jn alten Graͤbern offt der Andacht Sicherheit. Ja Heyden/ wolten ſie ein Mahl des Todes ſtifften/ So ward die Hirnſchal’ ein zum Trinck-Geſchirr geweyht. Das erſte ruͤhm’ ich noch/ Gewiſſens-Zwang zu meiden Hat manche fromme Seel in Graͤbern Ruh geſucht. Das letzt’ an Todten noch die Augen wollen weiden/ Jſt wider die Geſetz und von Natur verflucht. Alleine ſoll es bloß ein Angedencken heiſſen/ Daß auch die Weiſen meiſt in ihrem Sinn bethoͤrt; So gilt bey Chriſten nicht ſo ein ſchein-heilig Gleiſſen/ Jndem uns GOttes Wort gar ein weit beſſers lehrt. Ein ander Odem wird in unſer Beine dringen/ Der uns aus Milch und Blut zuſammen hat gefuͤgt. Kan der nicht neue Krafft in duͤrre Beine bringen/ Der Teuffel/ Hoͤll und Welt hat im Triumph beſiegt! So iſt die Liebſte nicht/ hochwerther Freund/ verlohrem Sie tritt als Heroldin zum erſten auff den Platz: Sie hat vor Welt und Tand den Himmel auserkohren/ Mißgoͤnnt er ſeiner Frau/ ſo außerwehlten Schatz? Ach nein! ſie iſt und bleibt in ſeiner Seel’ begraben/ Jhr wuͤrdig Ehren-Lob friſt Roſt und Schimmel nicht; Jhr F f f f 2

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/683>, abgerufen am 22.11.2024.