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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Ein Rad scheint träg und faul das doch unendlich geht/
Für ihrer Fertigkeit entschläffet der Magnet.
Jst nun die Zeit so schnell und so ein fressend Feuer/
Greifft ihre Grausamkeit auch Ertz und Marmel an?
Zermalmt manch Königreich ihr unersättlich Zahn?
Und sind durch sie gestürtzt die schönsten Ungeheuer?
Jst das Mausol nur Asch und der Colossus Staub
Dianens Tempel selbst der Eitelkeiten Raub.
Wie kan der arme Mensch erbaut aus schlechter Erden/
Ein Tohn den jeder Stoß in tausend Stücke bricht/
Ein Leim aus einem Kloß von Anfang zugericht/
Von der Bewältigung der Zeit befreyet werden?
Er ist ja weiter nichts als nur ein Spiel der Zeit/
Und Grab und Wiege sind von schlechtem Unterscheid.
Doch weil der höchste GOtt den Scepter ihm gegeben/
Und die gevierdte Welt ihm unterthan gemacht/
So ist er billich auch auf Schuldigkeit bedacht
Wie er mög in der Zeit wohl und vernünfftig leben.
Viel brauchen sie zur Lust/ viel brauchen sie zur Quaal.
Den meisten die nichts thun entschlippt sie wie ein Aal.
Noch mehr verirren sich in gantz verkehrten Wegen/
Und kreutzen wie ein Schiff auf der Gedancken Meer/
Von der Begierden Sturm getrieben hin und her/
Und wollen Ancker an bey Scyll und Syrten legen.
Erkiesen vor das Haupt der Hoffnung/ die Malee/
Sind Frembdling in sich selbst und Bürger auf der See.
Wie wenig wissen doch die kurtze Zeit zu brauchen?
Die doch zu Tugenden ein ausgebreites Feld/
Und wenn ihr Stunden-Glaß nun keinen Sand mehr hält/
So klagen sie zu spät daß Jahr und Tag verrauchen.
Wer hente nicht wohl lebt fängt selten morgen an/
Der Laster Weg ist weich und rauh der Tugend Bahn.
Jn ein weit ander Ziel/ in gar weit andre Schrancken
Schloß die Vergänglichkeit des kurtzen Lebens ein
Die seelig-edle Frau/ die Zeit war ihr allein
Die treuste Weckerin zu himmlischen Gedancken.
Sie kunt ihr niemals nicht so schnell und bald entfliehn/
Daß sie nicht ihr Gemüth pflag Sternen-werts zu ziehn.
Sie theilte stets mit GOtt Minuten/ Tag und Stunden/
Ein andre Monica/ wenn es zum Beten kam/
Und
Leichen-Gedichte.
Ein Rad ſcheint traͤg und faul das doch unendlich geht/
Fuͤr ihrer Fertigkeit entſchlaͤffet der Magnet.
Jſt nun die Zeit ſo ſchnell und ſo ein freſſend Feuer/
Greifft ihre Grauſamkeit auch Ertz und Marmel an?
Zermalmt manch Koͤnigreich ihr unerſaͤttlich Zahn?
Und ſind durch ſie geſtuͤrtzt die ſchoͤnſten Ungeheuer?
Jſt das Mauſol nur Aſch und der Coloſſus Staub
Dianens Tempel ſelbſt der Eitelkeiten Raub.
Wie kan der arme Menſch erbaut aus ſchlechter Erden/
Ein Tohn den jeder Stoß in tauſend Stuͤcke bricht/
Ein Leim aus einem Kloß von Anfang zugericht/
Von der Bewaͤltigung der Zeit befreyet werden?
Er iſt ja weiter nichts als nur ein Spiel der Zeit/
Und Grab und Wiege ſind von ſchlechtem Unterſcheid.
Doch weil der hoͤchſte GOtt den Scepter ihm gegeben/
Und die gevierdte Welt ihm unterthan gemacht/
So iſt er billich auch auf Schuldigkeit bedacht
Wie er moͤg in der Zeit wohl und vernuͤnfftig leben.
Viel brauchen ſie zur Luſt/ viel brauchen ſie zur Quaal.
Den meiſten die nichts thun entſchlippt ſie wie ein Aal.
Noch mehr verirren ſich in gantz verkehrten Wegen/
Und kreutzen wie ein Schiff auf der Gedancken Meer/
Von der Begierden Sturm getrieben hin und her/
Und wollen Ancker an bey Scyll und Syrten legen.
Erkieſen vor das Haupt der Hoffnung/ die Malee/
Sind Frembdling in ſich ſelbſt und Buͤrger auf der See.
Wie wenig wiſſen doch die kurtze Zeit zu brauchen?
Die doch zu Tugenden ein ausgebreites Feld/
Und wenn ihr Stunden-Glaß nun keinen Sand mehr haͤlt/
So klagen ſie zu ſpaͤt daß Jahr und Tag verrauchen.
Wer hente nicht wohl lebt faͤngt ſelten morgen an/
Der Laſter Weg iſt weich und rauh der Tugend Bahn.
Jn ein weit ander Ziel/ in gar weit andre Schrancken
Schloß die Vergaͤnglichkeit des kurtzen Lebens ein
Die ſeelig-edle Frau/ die Zeit war ihr allein
Die treuſte Weckerin zu himmliſchen Gedancken.
Sie kunt ihr niemals nicht ſo ſchnell und bald entfliehn/
Daß ſie nicht ihr Gemuͤth pflag Sternen-werts zu ziehn.
Sie theilte ſtets mit GOtt Minuten/ Tag und Stunden/
Ein andre Monica/ wenn es zum Beten kam/
Und
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[436/0668] Leichen-Gedichte. Ein Rad ſcheint traͤg und faul das doch unendlich geht/ Fuͤr ihrer Fertigkeit entſchlaͤffet der Magnet. Jſt nun die Zeit ſo ſchnell und ſo ein freſſend Feuer/ Greifft ihre Grauſamkeit auch Ertz und Marmel an? Zermalmt manch Koͤnigreich ihr unerſaͤttlich Zahn? Und ſind durch ſie geſtuͤrtzt die ſchoͤnſten Ungeheuer? Jſt das Mauſol nur Aſch und der Coloſſus Staub Dianens Tempel ſelbſt der Eitelkeiten Raub. Wie kan der arme Menſch erbaut aus ſchlechter Erden/ Ein Tohn den jeder Stoß in tauſend Stuͤcke bricht/ Ein Leim aus einem Kloß von Anfang zugericht/ Von der Bewaͤltigung der Zeit befreyet werden? Er iſt ja weiter nichts als nur ein Spiel der Zeit/ Und Grab und Wiege ſind von ſchlechtem Unterſcheid. Doch weil der hoͤchſte GOtt den Scepter ihm gegeben/ Und die gevierdte Welt ihm unterthan gemacht/ So iſt er billich auch auf Schuldigkeit bedacht Wie er moͤg in der Zeit wohl und vernuͤnfftig leben. Viel brauchen ſie zur Luſt/ viel brauchen ſie zur Quaal. Den meiſten die nichts thun entſchlippt ſie wie ein Aal. Noch mehr verirren ſich in gantz verkehrten Wegen/ Und kreutzen wie ein Schiff auf der Gedancken Meer/ Von der Begierden Sturm getrieben hin und her/ Und wollen Ancker an bey Scyll und Syrten legen. Erkieſen vor das Haupt der Hoffnung/ die Malee/ Sind Frembdling in ſich ſelbſt und Buͤrger auf der See. Wie wenig wiſſen doch die kurtze Zeit zu brauchen? Die doch zu Tugenden ein ausgebreites Feld/ Und wenn ihr Stunden-Glaß nun keinen Sand mehr haͤlt/ So klagen ſie zu ſpaͤt daß Jahr und Tag verrauchen. Wer hente nicht wohl lebt faͤngt ſelten morgen an/ Der Laſter Weg iſt weich und rauh der Tugend Bahn. Jn ein weit ander Ziel/ in gar weit andre Schrancken Schloß die Vergaͤnglichkeit des kurtzen Lebens ein Die ſeelig-edle Frau/ die Zeit war ihr allein Die treuſte Weckerin zu himmliſchen Gedancken. Sie kunt ihr niemals nicht ſo ſchnell und bald entfliehn/ Daß ſie nicht ihr Gemuͤth pflag Sternen-werts zu ziehn. Sie theilte ſtets mit GOtt Minuten/ Tag und Stunden/ Ein andre Monica/ wenn es zum Beten kam/ Und

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/668>, abgerufen am 22.11.2024.