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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
5.
So ists demnach so hoch zu schätzen?
Wenn sich die Lebens-Frist verlängt/
Wer was den Jahren bey kan setzen/
Daß der so grosses Gut empfängt?
Was hilfft's mit flüchtigem Gewebe
Das kurtze Garn zu unterziehn?
Und daß man wol beschneyet lebe/
Sich mit viel Seuffzern zu bemühn?
6.
Ein Kind das in der Wieg' erbleichet/
Und der gebückt von hinnen fährt/
Die haben gleiches Ziel erreichet/
Und eine Zeit hat sie verzehrt.
Die Wenigkeit der kurtzen Tage/
Die hohen Staffeln vieler Jahr
Erwogen auff gerechter Wage/
Sind unterschieden nicht ein Haar.
7.
Der Mensch bleibt nur der Zeiten Beuthe/
Auch Elemente tauren nicht.
Wer wolte nun nicht lieber heute/
Gesegnen dieser Sonnen Licht/
Als daß bey Martern und bey Quälen/
Und aller Schmertzen Uberfluß/
Er mög ein tieffes Alter zehlen/
Besaamt mit Ekel und Verdruß.
8.
Flieht nun die Zeit/ verschwind't die Stunde/
Raubt alles die Vergessenheit/
Gehn Erd und Himmel selbst zu Grunde/
Was soll der Mensch/ ein Spiel der Zeit
Sich in der Welt so sehr vergaffen/
Und dieser Meynung fallen bey/
Wie daß er bloß allein erschaffen
Umb hier nur wol zu leben sey.
9.
Nein/ aus des Monden Vorbild lernet
Jhr Sterblichen den wahren Zweck.
Je
Leichen-Gedichte.
5.
So iſts demnach ſo hoch zu ſchaͤtzen?
Wenn ſich die Lebens-Friſt verlaͤngt/
Wer was den Jahren bey kan ſetzen/
Daß der ſo groſſes Gut empfaͤngt?
Was hilfft’s mit fluͤchtigem Gewebe
Das kurtze Garn zu unterziehn?
Und daß man wol beſchneyet lebe/
Sich mit viel Seuffzern zu bemuͤhn?
6.
Ein Kind das in der Wieg’ erbleichet/
Und der gebuͤckt von hinnen faͤhrt/
Die haben gleiches Ziel erreichet/
Und eine Zeit hat ſie verzehrt.
Die Wenigkeit der kurtzen Tage/
Die hohen Staffeln vieler Jahr
Erwogen auff gerechter Wage/
Sind unterſchieden nicht ein Haar.
7.
Der Menſch bleibt nur der Zeiten Beuthe/
Auch Elemente tauren nicht.
Wer wolte nun nicht lieber heute/
Geſegnen dieſer Sonnen Licht/
Als daß bey Martern und bey Quaͤlen/
Und aller Schmertzen Uberfluß/
Er moͤg ein tieffes Alter zehlen/
Beſaamt mit Ekel und Verdruß.
8.
Flieht nun die Zeit/ verſchwind’t die Stunde/
Raubt alles die Vergeſſenheit/
Gehn Erd und Himmel ſelbſt zu Grunde/
Was ſoll der Menſch/ ein Spiel der Zeit
Sich in der Welt ſo ſehr vergaffen/
Und dieſer Meynung fallen bey/
Wie daß er bloß allein erſchaffen
Umb hier nur wol zu leben ſey.
9.
Nein/ aus des Monden Vorbild lernet
Jhr Sterblichen den wahren Zweck.
Je
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[410/0642] Leichen-Gedichte. 5. So iſts demnach ſo hoch zu ſchaͤtzen? Wenn ſich die Lebens-Friſt verlaͤngt/ Wer was den Jahren bey kan ſetzen/ Daß der ſo groſſes Gut empfaͤngt? Was hilfft’s mit fluͤchtigem Gewebe Das kurtze Garn zu unterziehn? Und daß man wol beſchneyet lebe/ Sich mit viel Seuffzern zu bemuͤhn? 6. Ein Kind das in der Wieg’ erbleichet/ Und der gebuͤckt von hinnen faͤhrt/ Die haben gleiches Ziel erreichet/ Und eine Zeit hat ſie verzehrt. Die Wenigkeit der kurtzen Tage/ Die hohen Staffeln vieler Jahr Erwogen auff gerechter Wage/ Sind unterſchieden nicht ein Haar. 7. Der Menſch bleibt nur der Zeiten Beuthe/ Auch Elemente tauren nicht. Wer wolte nun nicht lieber heute/ Geſegnen dieſer Sonnen Licht/ Als daß bey Martern und bey Quaͤlen/ Und aller Schmertzen Uberfluß/ Er moͤg ein tieffes Alter zehlen/ Beſaamt mit Ekel und Verdruß. 8. Flieht nun die Zeit/ verſchwind’t die Stunde/ Raubt alles die Vergeſſenheit/ Gehn Erd und Himmel ſelbſt zu Grunde/ Was ſoll der Menſch/ ein Spiel der Zeit Sich in der Welt ſo ſehr vergaffen/ Und dieſer Meynung fallen bey/ Wie daß er bloß allein erſchaffen Umb hier nur wol zu leben ſey. 9. Nein/ aus des Monden Vorbild lernet Jhr Sterblichen den wahren Zweck. Je

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/642>, abgerufen am 24.07.2024.