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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
11.
Betrübtste Freundin/ daß ihr Klagen
Ans recht verwundtem Hertzen geht/
Nun ihre Tochter fortzutragen
Hier auf bedeckter Bahre steht/
Bezeugt ihr thränendes Gesichte;
Und der wär' härter als ein Stein
Der bey dergleichen Traur-Geschichte
Gantz ohne Beyleid wolte seyn.
12.
Doch dencke sie/ daß die itzt stirbet
Und fest ihr Püschel Myrrhen trägt/
Durch den des Lebens Heil erwirbet|
Mit dem sie sich ins Grab hier legt.
Sie eilt den Herrn zu balsamiren
Wie Magdalen und Salome:
Solt es der Heyland nicht verspühren
Es sey ihr Anna Dorothe?
Bey Beerdigung Hn. C. G. den 3.
Junii 1678.
1.
WAs ist das/ das wir leben heissen?
Ein Circkel voll gedrungner Noth.
Ein Traum und ein betrüglich gleissen/
Ein ungewisses Morgenroth.
Ein Rauch/ der wenn er kömmt/ verschwindet/
Ein Meer das stets von Jammer pranst/
Ein Fallstrick/ der die Seele bindet/
Ein Wind/ der uns zu stürtzen saust.
2.
Jst noch was flüchtiger als Schatten?
Ach ja der kurtzen Tage Flucht.
Der Thau den man auf grünen Matten
Bey aufgewachter Sonne sucht/
Wird vielmals nicht so schnell vergehen/
Als die elende Sterbligkeit:
Da/ eh wir lernen/ reden/ gehen
Man schon uns macht das Todten-Kleid.
3. Der
Leichen-Gedichte.
11.
Betruͤbtſte Freundin/ daß ihr Klagen
Ans recht verwundtem Hertzen geht/
Nun ihre Tochter fortzutragen
Hier auf bedeckter Bahre ſteht/
Bezeugt ihr thraͤnendes Geſichte;
Und der waͤr’ haͤrter als ein Stein
Der bey dergleichen Traur-Geſchichte
Gantz ohne Beyleid wolte ſeyn.
12.
Doch dencke ſie/ daß die itzt ſtirbet
Und feſt ihr Puͤſchel Myrrhen traͤgt/
Durch den des Lebens Heil erwirbet|
Mit dem ſie ſich ins Grab hier legt.
Sie eilt den Herrn zu balſamiren
Wie Magdalen und Salome:
Solt es der Heyland nicht verſpuͤhren
Es ſey ihr Anna Dorothe?
Bey Beerdigung Hn. C. G. den 3.
Junii 1678.
1.
WAs iſt das/ das wir leben heiſſen?
Ein Circkel voll gedrungner Noth.
Ein Traum und ein betruͤglich gleiſſen/
Ein ungewiſſes Morgenroth.
Ein Rauch/ der wenn er koͤmmt/ verſchwindet/
Ein Meer das ſtets von Jammer pranſt/
Ein Fallſtrick/ der die Seele bindet/
Ein Wind/ der uns zu ſtuͤrtzen ſauſt.
2.
Jſt noch was fluͤchtiger als Schatten?
Ach ja der kurtzen Tage Flucht.
Der Thau den man auf gruͤnen Matten
Bey aufgewachter Sonne ſucht/
Wird vielmals nicht ſo ſchnell vergehen/
Als die elende Sterbligkeit:
Da/ eh wir lernen/ reden/ gehen
Man ſchon uns macht das Todten-Kleid.
3. Der
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[334/0566] Leichen-Gedichte. 11. Betruͤbtſte Freundin/ daß ihr Klagen Ans recht verwundtem Hertzen geht/ Nun ihre Tochter fortzutragen Hier auf bedeckter Bahre ſteht/ Bezeugt ihr thraͤnendes Geſichte; Und der waͤr’ haͤrter als ein Stein Der bey dergleichen Traur-Geſchichte Gantz ohne Beyleid wolte ſeyn. 12. Doch dencke ſie/ daß die itzt ſtirbet Und feſt ihr Puͤſchel Myrrhen traͤgt/ Durch den des Lebens Heil erwirbet| Mit dem ſie ſich ins Grab hier legt. Sie eilt den Herrn zu balſamiren Wie Magdalen und Salome: Solt es der Heyland nicht verſpuͤhren Es ſey ihr Anna Dorothe? Bey Beerdigung Hn. C. G. den 3. Junii 1678. 1. WAs iſt das/ das wir leben heiſſen? Ein Circkel voll gedrungner Noth. Ein Traum und ein betruͤglich gleiſſen/ Ein ungewiſſes Morgenroth. Ein Rauch/ der wenn er koͤmmt/ verſchwindet/ Ein Meer das ſtets von Jammer pranſt/ Ein Fallſtrick/ der die Seele bindet/ Ein Wind/ der uns zu ſtuͤrtzen ſauſt. 2. Jſt noch was fluͤchtiger als Schatten? Ach ja der kurtzen Tage Flucht. Der Thau den man auf gruͤnen Matten Bey aufgewachter Sonne ſucht/ Wird vielmals nicht ſo ſchnell vergehen/ Als die elende Sterbligkeit: Da/ eh wir lernen/ reden/ gehen Man ſchon uns macht das Todten-Kleid. 3. Der

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/566>, abgerufen am 24.07.2024.