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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Bey Beerdigung J. S. F. den 3.
Septembr. 1676.
SO machst du dich so bald im Morgen erster Jahre/
Du zarte Freyerin/ von Band und Ketten loß.
Gibst den verblasten Leib der schwartz-bedeckten Bahre
Und deine reine Seel' in des Erlösers Schoß?
So sol dein Bräutgam dich so früh in Rosen weiden/
Und magst das Leben nicht mit seinem Schatten sehn?
So eilst du franck und frey zu den gekrönten Freuden/
Und läst umbsonst nach dir der Seufftzer Winde wehn?
Gewiß dein Freyheits-Stand ist wol mit nichts zu gleichen
Und dein erlauchtes Heil geht allen Würden für.
Ach aber! wer entdeckt bey der entseelten Leichen
Was für ein tieffer Schmertz der Eltern Hertze rühr.
Je hefftiger die Lieb/ je grösser auch die Wunden/
Denn ihrem Ursprung nach entsprost sie aus dem Blut/
Und wird hinwiederumb zum zartesten empfunden
Wenn einen solchen Streich des Todes Mord-Beil thut.
Wie sol/ Betrübteste/ die Seele nicht erzittern/
Das Auge wie ein Brunn voll heisser Thränen stehn?
Nach dem so einen Sturm von rauhen Ungewittern.
Läst über euer Hauß der Schluß des Himmels gehn.
Die Tochter schau'n verblast/ so eure höchste Freude/
Ja gar auff dieser Welt das andre Leben hieß/
Des Vatern Trost und Lust/ der Mutter Augen-Weide.
Sehn auff der Baare stehn/ diß ist ein Seelen-Rieß.
Hält denn die Wütterey des Todes nichts zurücke?
Kont ihre Liebligkeit und Anmuth nicht entfliehn?
Wo bleibt ihr munter Geist/ die freundlich-holden Blicke?
Muß diese Blume denn im ersten Lentz verblühn?
Ach ja der Augen Liecht/ so Sternen gleich gestralet/
Blickt in der Sterbligkeit nicht mehr die Eltern an:
Der Mund/ den Lieb und Huld mit Rosen übermahlet/
Er zehlt nicht wie zuvor/ was sie ergetzen kan:
Der Glieder Schnee zergeht/ der Jahre Wachs zerrinnet
Die sittsame Gestalt/ so allen wol gefiel/
Verstellt des Todes Grimm/ die Tugend liegt entsinnet/
Die Anmuth abgemeyht/ es schläfft nun Schertz und Spiel.
Hier
R r r 3
Leichen-Gedichte.
Bey Beerdigung J. S. F. den 3.
Septembr. 1676.
SO machſt du dich ſo bald im Morgen erſter Jahre/
Du zarte Freyerin/ von Band und Ketten loß.
Gibſt den verblaſten Leib der ſchwartz-bedeckten Bahre
Und deine reine Seel’ in des Erloͤſers Schoß?
So ſol dein Braͤutgam dich ſo fruͤh in Roſen weiden/
Und magſt das Leben nicht mit ſeinem Schatten ſehn?
So eilſt du franck und frey zu den gekroͤnten Freuden/
Und laͤſt umbſonſt nach dir der Seufftzer Winde wehn?
Gewiß dein Freyheits-Stand iſt wol mit nichts zu gleichen
Und dein erlauchtes Heil geht allen Wuͤrden fuͤr.
Ach aber! wer entdeckt bey der entſeelten Leichen
Was fuͤr ein tieffer Schmertz der Eltern Hertze ruͤhr.
Je hefftiger die Lieb/ je groͤſſer auch die Wunden/
Denn ihrem Urſprung nach entſproſt ſie aus dem Blut/
Und wird hinwiederumb zum zarteſten empfunden
Wenn einen ſolchen Streich des Todes Mord-Beil thut.
Wie ſol/ Betruͤbteſte/ die Seele nicht erzittern/
Das Auge wie ein Brunn voll heiſſer Thraͤnen ſtehn?
Nach dem ſo einen Sturm von rauhen Ungewittern.
Laͤſt uͤber euer Hauß der Schluß des Himmels gehn.
Die Tochter ſchau’n verblaſt/ ſo eure hoͤchſte Freude/
Ja gar auff dieſer Welt das andre Leben hieß/
Des Vatern Troſt und Luſt/ der Mutter Augen-Weide.
Sehn auff der Baare ſtehn/ diß iſt ein Seelen-Rieß.
Haͤlt denn die Wuͤtterey des Todes nichts zuruͤcke?
Kont ihre Liebligkeit und Anmuth nicht entfliehn?
Wo bleibt ihr munter Geiſt/ die freundlich-holden Blicke?
Muß dieſe Blume denn im erſten Lentz verbluͤhn?
Ach ja der Augen Liecht/ ſo Sternen gleich geſtralet/
Blickt in der Sterbligkeit nicht mehr die Eltern an:
Der Mund/ den Lieb und Huld mit Roſen uͤbermahlet/
Er zehlt nicht wie zuvor/ was ſie ergetzen kan:
Der Glieder Schnee zergeht/ der Jahre Wachs zerrinnet
Die ſittſame Geſtalt/ ſo allen wol gefiel/
Verſtellt des Todes Grimm/ die Tugend liegt entſinnet/
Die Anmuth abgemeyht/ es ſchlaͤfft nun Schertz und Spiel.
Hier
R r r 3
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[261/0493] Leichen-Gedichte. Bey Beerdigung J. S. F. den 3. Septembr. 1676. SO machſt du dich ſo bald im Morgen erſter Jahre/ Du zarte Freyerin/ von Band und Ketten loß. Gibſt den verblaſten Leib der ſchwartz-bedeckten Bahre Und deine reine Seel’ in des Erloͤſers Schoß? So ſol dein Braͤutgam dich ſo fruͤh in Roſen weiden/ Und magſt das Leben nicht mit ſeinem Schatten ſehn? So eilſt du franck und frey zu den gekroͤnten Freuden/ Und laͤſt umbſonſt nach dir der Seufftzer Winde wehn? Gewiß dein Freyheits-Stand iſt wol mit nichts zu gleichen Und dein erlauchtes Heil geht allen Wuͤrden fuͤr. Ach aber! wer entdeckt bey der entſeelten Leichen Was fuͤr ein tieffer Schmertz der Eltern Hertze ruͤhr. Je hefftiger die Lieb/ je groͤſſer auch die Wunden/ Denn ihrem Urſprung nach entſproſt ſie aus dem Blut/ Und wird hinwiederumb zum zarteſten empfunden Wenn einen ſolchen Streich des Todes Mord-Beil thut. Wie ſol/ Betruͤbteſte/ die Seele nicht erzittern/ Das Auge wie ein Brunn voll heiſſer Thraͤnen ſtehn? Nach dem ſo einen Sturm von rauhen Ungewittern. Laͤſt uͤber euer Hauß der Schluß des Himmels gehn. Die Tochter ſchau’n verblaſt/ ſo eure hoͤchſte Freude/ Ja gar auff dieſer Welt das andre Leben hieß/ Des Vatern Troſt und Luſt/ der Mutter Augen-Weide. Sehn auff der Baare ſtehn/ diß iſt ein Seelen-Rieß. Haͤlt denn die Wuͤtterey des Todes nichts zuruͤcke? Kont ihre Liebligkeit und Anmuth nicht entfliehn? Wo bleibt ihr munter Geiſt/ die freundlich-holden Blicke? Muß dieſe Blume denn im erſten Lentz verbluͤhn? Ach ja der Augen Liecht/ ſo Sternen gleich geſtralet/ Blickt in der Sterbligkeit nicht mehr die Eltern an: Der Mund/ den Lieb und Huld mit Roſen uͤbermahlet/ Er zehlt nicht wie zuvor/ was ſie ergetzen kan: Der Glieder Schnee zergeht/ der Jahre Wachs zerrinnet Die ſittſame Geſtalt/ ſo allen wol gefiel/ Verſtellt des Todes Grimm/ die Tugend liegt entſinnet/ Die Anmuth abgemeyht/ es ſchlaͤfft nun Schertz und Spiel. Hier R r r 3

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/493>, abgerufen am 22.11.2024.