Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Leichen-Gedichte. Aloe Menschlichen Lebens/ ES buhlet noch die Welt mit ihren schönen Sünden/Bey Beerdigung Fr. A. G. g. B. den 16. April 1673. (Wo Laster schöne sind/ und Tugend ungestalt) Man wird die Aloe in solchem Mißbrauch finden/ Als sie im Morgenland bey Uppigkeiten galt. Jhr Bette steht geschmückt mit köstlichen Tapeten/ Das Lager ist mit Myrrh und Aloe besprengt. Auf! spricht ihr glatter Mund/ last uns die Sorgen tödten/ Weil noch der Jugend-Strauch voll Purpur Rosen hängt! Egypten nicht allein hat Schwelgerey getrieben/ Zum Werckzeug süsser Lust die Aloe gebraucht/ Die sinds: Die in die Welt sich allzusehr verlieben/ Und derer Fleisch und Blut voll toller Brünste raucht. Es hat der Persier die Götter mit versöhnet/ Und in die Opffer-Glut die Aloe gestreut. Wo Lüste Götzen seyn/ so werden sie bekrönet/ Wenn unser Hertz und Sinn dem Zeitlichen sich weiht Die Aloe wird alt/ eh' sie kan Früchte bringen/ Viel Menschen die verblühn im Leben ohne Frucht. Die Blüth muß mit Geplatz auß ihrer Knospe dringen: Von uns wird auch die Welt erst mit Geschrey besucht. Mehr ist die Aloe in sondrer Schärffe bitter: Ach wie viel Bitterkeit quält nicht deß Lebens Ziel! Pracht/ Hoffart/ Geitz und Neid/ die Stachel der Gemüther/ Sind in uns/ da sie dort nur umb der Pflantze Stiel. So scheint die Aloe in den verkehrten Sinnen/ Wenn sie der Mißbrauch nutzt/ und eitler Wahn erwegt; Da wir die Würckung doch viel anders finden können/ Weil ihr deß HErren Wort weit beßre Krafft zulegt. Rühmt nicht der Bräutigam der Sulamithin Garten? Wo ein versiegelt Brunn/ Gewächse voller Zier/ Wo die Granaten stehn/ und Früchte von viel Arten/ Wo Myrrh und Aloe geht andern Würtzen für. Ja ist nicht seine Braut mit Aloe gekleidet? Und läst er seinen Leib darmit nicht salben ein? Weil diese Pflantze nun nicht Stanck noch Fäulnüß leidet/ Kan sie der Sterbligkeit ein klarer Spiegel seyn. Es
Leichen-Gedichte. Aloe Menſchlichen Lebens/ ES buhlet noch die Welt mit ihren ſchoͤnen Suͤnden/Bey Beerdigung Fr. A. G. g. B. den 16. April 1673. (Wo Laſter ſchoͤne ſind/ und Tugend ungeſtalt) Man wird die Aloe in ſolchem Mißbrauch finden/ Als ſie im Morgenland bey Uppigkeiten galt. Jhr Bette ſteht geſchmuͤckt mit koͤſtlichen Tapeten/ Das Lager iſt mit Myrrh und Aloe beſprengt. Auf! ſpricht ihr glatter Mund/ laſt uns die Sorgen toͤdten/ Weil noch der Jugend-Strauch voll Purpur Roſen haͤngt! Egypten nicht allein hat Schwelgerey getrieben/ Zum Werckzeug ſuͤſſer Luſt die Aloe gebraucht/ Die ſinds: Die in die Welt ſich allzuſehr verlieben/ Und derer Fleiſch und Blut voll toller Bruͤnſte raucht. Es hat der Perſier die Goͤtter mit verſoͤhnet/ Und in die Opffer-Glut die Aloe geſtreut. Wo Luͤſte Goͤtzen ſeyn/ ſo werden ſie bekroͤnet/ Wenn unſer Hertz und Sinn dem Zeitlichen ſich weiht Die Aloe wird alt/ eh’ ſie kan Fruͤchte bringen/ Viel Menſchen die verbluͤhn im Leben ohne Frucht. Die Bluͤth muß mit Geplatz auß ihrer Knoſpe dringen: Von uns wird auch die Welt erſt mit Geſchrey beſucht. Mehr iſt die Aloe in ſondrer Schaͤrffe bitter: Ach wie viel Bitterkeit quaͤlt nicht deß Lebens Ziel! Pracht/ Hoffart/ Geitz und Neid/ die Stachel der Gemuͤther/ Sind in uns/ da ſie dort nur umb der Pflantze Stiel. So ſcheint die Aloe in den verkehrten Sinnen/ Wenn ſie der Mißbrauch nutzt/ und eitler Wahn erwegt; Da wir die Wuͤrckung doch viel anders finden koͤnnen/ Weil ihr deß HErren Wort weit beßre Krafft zulegt. Ruͤhmt nicht der Braͤutigam der Sulamithin Garten? Wo ein verſiegelt Brunn/ Gewaͤchſe voller Zier/ Wo die Granaten ſtehn/ und Fruͤchte von viel Arten/ Wo Myrrh und Aloe geht andern Wuͤrtzen fuͤr. Ja iſt nicht ſeine Braut mit Aloe gekleidet? Und laͤſt er ſeinen Leib darmit nicht ſalben ein? Weil dieſe Pflantze nun nicht Stanck noch Faͤulnuͤß leidet/ Kan ſie der Sterbligkeit ein klarer Spiegel ſeyn. Es
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Leichen-Gedichte.
Aloe Menſchlichen Lebens/
Bey Beerdigung Fr. A. G. g. B. den 16.
April 1673.
ES buhlet noch die Welt mit ihren ſchoͤnen Suͤnden/
(Wo Laſter ſchoͤne ſind/ und Tugend ungeſtalt)
Man wird die Aloe in ſolchem Mißbrauch finden/
Als ſie im Morgenland bey Uppigkeiten galt.
Jhr Bette ſteht geſchmuͤckt mit koͤſtlichen Tapeten/
Das Lager iſt mit Myrrh und Aloe beſprengt.
Auf! ſpricht ihr glatter Mund/ laſt uns die Sorgen toͤdten/
Weil noch der Jugend-Strauch voll Purpur Roſen haͤngt!
Egypten nicht allein hat Schwelgerey getrieben/
Zum Werckzeug ſuͤſſer Luſt die Aloe gebraucht/
Die ſinds: Die in die Welt ſich allzuſehr verlieben/
Und derer Fleiſch und Blut voll toller Bruͤnſte raucht.
Es hat der Perſier die Goͤtter mit verſoͤhnet/
Und in die Opffer-Glut die Aloe geſtreut.
Wo Luͤſte Goͤtzen ſeyn/ ſo werden ſie bekroͤnet/
Wenn unſer Hertz und Sinn dem Zeitlichen ſich weiht
Die Aloe wird alt/ eh’ ſie kan Fruͤchte bringen/
Viel Menſchen die verbluͤhn im Leben ohne Frucht.
Die Bluͤth muß mit Geplatz auß ihrer Knoſpe dringen:
Von uns wird auch die Welt erſt mit Geſchrey beſucht.
Mehr iſt die Aloe in ſondrer Schaͤrffe bitter:
Ach wie viel Bitterkeit quaͤlt nicht deß Lebens Ziel!
Pracht/ Hoffart/ Geitz und Neid/ die Stachel der Gemuͤther/
Sind in uns/ da ſie dort nur umb der Pflantze Stiel.
So ſcheint die Aloe in den verkehrten Sinnen/
Wenn ſie der Mißbrauch nutzt/ und eitler Wahn erwegt;
Da wir die Wuͤrckung doch viel anders finden koͤnnen/
Weil ihr deß HErren Wort weit beßre Krafft zulegt.
Ruͤhmt nicht der Braͤutigam der Sulamithin Garten?
Wo ein verſiegelt Brunn/ Gewaͤchſe voller Zier/
Wo die Granaten ſtehn/ und Fruͤchte von viel Arten/
Wo Myrrh und Aloe geht andern Wuͤrtzen fuͤr.
Ja iſt nicht ſeine Braut mit Aloe gekleidet?
Und laͤſt er ſeinen Leib darmit nicht ſalben ein?
Weil dieſe Pflantze nun nicht Stanck noch Faͤulnuͤß leidet/
Kan ſie der Sterbligkeit ein klarer Spiegel ſeyn.
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