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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Zwey Hertzen müssen ietzt von deinem Hertzen scheiden/
Welch Mensch verarget dir dein Winseln und dein Flehn?
Des Creutzes Aloe ist hier nur allzubitter/
Sie nimmt die Zuckerung des Trostes gar nicht an/
Ein solcher Fall bestürtzt die trefflichsten Gemüther/
Daß auch ein Stoicus sich hier nicht halten kan.
Es mag die Vorder-Welt des Orpheus Treu beschreiben/
Der sein' Eurydice mit tausend Thränen sucht/
Läst biß an Plutons Reich sich auch die Liebe treiben/
Auff daß er nur erblickt den Schatten ihrer Flucht/
Versöhnt mit seinem Klang die unversöhnten Geister/
Und macht daß Klipp und Felß zugleich mitleidig seyn;
So bleibt der grosse Schmertz hierinnen dennoch Meister
Und keine Sehnsucht hilfft/ noch ein unendlich schrey'n.
Gewiß/ betrübter freund/ du würdest sie mit Thränen/
Mit Thränen voller Blut zurücke wieder ziehn/
Jhr gar durch deinen Tod den Weg zum Leben bähnen
Wann die verfallne Blum nur wieder könte blühn.
Alleine kan ein Mensch den grossen GOtt betagen?
Und rufft ein Erdenkloß den Schöpffer vor Gericht?
Sein unerforschter Rath ist gar nicht aus zufragen/
Das Urthel Zweiffels frey so seine Allmacht spricht.
End-Urtheil müssen ja bey Sterblichen hoch gelten/
Und solte GOttes Spruch bey dir nicht gültig seyn?
Der die Gerechtigkeit/ läst auch sein Recht nicht schelten
Das über alle Welt durchgehend allgemein.
Jch weiß doch daß dein Sinn wie tieff er ietzt gebeuget
Sich noch ermannen wird/ und schicken in die Zeit/
Wie sehr der Trauer-Fall dir zu Gemüthe steiget/
So hat doch die Gedult ein Pflaster schon bereit.
Es muß dein Hertz hierinn nur einem Amboß gleichen
Den jeder Unglücks-Schlag noch immer härter macht.
Ein weiser steht getrost auch mitten unter Leichen/
Und hofft auff seinen GOtt wenn gleich die Erd erkracht.
Mißgönne nicht die Ruh der Hochgeliebten deinen/
Ob sie schon in dem Lentz und erster Blüth vergeht/
Es wird die Richterin vor GOttes Stul erscheinen
Jn einem solchen Glantz worinn kein Stern nicht steht.
Die seltne Frömmigkeit/ das Tugend-volle Leben/
Die Andacht gegen GOtt/ die Liebe gegen dich
Sind
Leichen-Gedichte.
Zwey Hertzen muͤſſen ietzt von deinem Hertzen ſcheiden/
Welch Menſch verarget dir dein Winſeln und dein Flehn?
Des Creutzes Aloe iſt hier nur allzubitter/
Sie nimmt die Zuckerung des Troſtes gar nicht an/
Ein ſolcher Fall beſtuͤrtzt die trefflichſten Gemuͤther/
Daß auch ein Stoicus ſich hier nicht halten kan.
Es mag die Vorder-Welt des Orpheus Treu beſchreiben/
Der ſein’ Eurydice mit tauſend Thraͤnen ſucht/
Laͤſt biß an Plutons Reich ſich auch die Liebe treiben/
Auff daß er nur erblickt den Schatten ihrer Flucht/
Verſoͤhnt mit ſeinem Klang die unverſoͤhnten Geiſter/
Und macht daß Klipp und Felß zugleich mitleidig ſeyn;
So bleibt der groſſe Schmertz hierinnen dennoch Meiſter
Und keine Sehnſucht hilfft/ noch ein unendlich ſchrey’n.
Gewiß/ betruͤbter freund/ du wuͤrdeſt ſie mit Thraͤnen/
Mit Thraͤnen voller Blut zuruͤcke wieder ziehn/
Jhr gar durch deinen Tod den Weg zum Leben baͤhnen
Wann die verfallne Blum nur wieder koͤnte bluͤhn.
Alleine kan ein Menſch den groſſen GOtt betagen?
Und rufft ein Erdenkloß den Schoͤpffer vor Gericht?
Sein unerforſchter Rath iſt gar nicht aus zufragen/
Das Urthel Zweiffels frey ſo ſeine Allmacht ſpricht.
End-Urtheil muͤſſen ja bey Sterblichen hoch gelten/
Und ſolte GOttes Spruch bey dir nicht guͤltig ſeyn?
Der die Gerechtigkeit/ laͤſt auch ſein Recht nicht ſchelten
Das uͤber alle Welt durchgehend allgemein.
Jch weiß doch daß dein Sinn wie tieff er ietzt gebeuget
Sich noch ermannen wird/ und ſchicken in die Zeit/
Wie ſehr der Trauer-Fall dir zu Gemuͤthe ſteiget/
So hat doch die Gedult ein Pflaſter ſchon bereit.
Es muß dein Hertz hierinn nur einem Amboß gleichen
Den jeder Ungluͤcks-Schlag noch immer haͤrter macht.
Ein weiſer ſteht getroſt auch mitten unter Leichen/
Und hofft auff ſeinen GOtt wenn gleich die Erd erkracht.
Mißgoͤnne nicht die Ruh der Hochgeliebten deinen/
Ob ſie ſchon in dem Lentz und erſter Bluͤth vergeht/
Es wird die Richterin vor GOttes Stul erſcheinen
Jn einem ſolchen Glantz worinn kein Stern nicht ſteht.
Die ſeltne Froͤmmigkeit/ das Tugend-volle Leben/
Die Andacht gegen GOtt/ die Liebe gegen dich
Sind
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[102/0334] Leichen-Gedichte. Zwey Hertzen muͤſſen ietzt von deinem Hertzen ſcheiden/ Welch Menſch verarget dir dein Winſeln und dein Flehn? Des Creutzes Aloe iſt hier nur allzubitter/ Sie nimmt die Zuckerung des Troſtes gar nicht an/ Ein ſolcher Fall beſtuͤrtzt die trefflichſten Gemuͤther/ Daß auch ein Stoicus ſich hier nicht halten kan. Es mag die Vorder-Welt des Orpheus Treu beſchreiben/ Der ſein’ Eurydice mit tauſend Thraͤnen ſucht/ Laͤſt biß an Plutons Reich ſich auch die Liebe treiben/ Auff daß er nur erblickt den Schatten ihrer Flucht/ Verſoͤhnt mit ſeinem Klang die unverſoͤhnten Geiſter/ Und macht daß Klipp und Felß zugleich mitleidig ſeyn; So bleibt der groſſe Schmertz hierinnen dennoch Meiſter Und keine Sehnſucht hilfft/ noch ein unendlich ſchrey’n. Gewiß/ betruͤbter freund/ du wuͤrdeſt ſie mit Thraͤnen/ Mit Thraͤnen voller Blut zuruͤcke wieder ziehn/ Jhr gar durch deinen Tod den Weg zum Leben baͤhnen Wann die verfallne Blum nur wieder koͤnte bluͤhn. Alleine kan ein Menſch den groſſen GOtt betagen? Und rufft ein Erdenkloß den Schoͤpffer vor Gericht? Sein unerforſchter Rath iſt gar nicht aus zufragen/ Das Urthel Zweiffels frey ſo ſeine Allmacht ſpricht. End-Urtheil muͤſſen ja bey Sterblichen hoch gelten/ Und ſolte GOttes Spruch bey dir nicht guͤltig ſeyn? Der die Gerechtigkeit/ laͤſt auch ſein Recht nicht ſchelten Das uͤber alle Welt durchgehend allgemein. Jch weiß doch daß dein Sinn wie tieff er ietzt gebeuget Sich noch ermannen wird/ und ſchicken in die Zeit/ Wie ſehr der Trauer-Fall dir zu Gemuͤthe ſteiget/ So hat doch die Gedult ein Pflaſter ſchon bereit. Es muß dein Hertz hierinn nur einem Amboß gleichen Den jeder Ungluͤcks-Schlag noch immer haͤrter macht. Ein weiſer ſteht getroſt auch mitten unter Leichen/ Und hofft auff ſeinen GOtt wenn gleich die Erd erkracht. Mißgoͤnne nicht die Ruh der Hochgeliebten deinen/ Ob ſie ſchon in dem Lentz und erſter Bluͤth vergeht/ Es wird die Richterin vor GOttes Stul erſcheinen Jn einem ſolchen Glantz worinn kein Stern nicht ſteht. Die ſeltne Froͤmmigkeit/ das Tugend-volle Leben/ Die Andacht gegen GOtt/ die Liebe gegen dich Sind

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/334>, abgerufen am 28.11.2024.