Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Leichen-Gedichte. Das Grab verzehret auch der Jugend Rosen-Jahre/Man weiß von keinem Held der übern Tod gesiegt. Wenn schon die Stunde schlägt/ kan Esculap nicht rathen/ Und gantz Arabiens sein Balsam gilt nicht viel. Der Syrer theures Oel und Jndiens Mußkaten Sambt allem Bezoar verlängern nicht das Ziel. Jch weiß/ Apollens Sohn/ wie sehr er sich bemühet Sein allerliebstes Kind dem sterben zu entziehn: Alleine diese Ros' und Lilg' ist nur verblühet/ Ein Wollust-reicher May der Eltern gehet hin. Es scheinet der Natur Gesetze fast zu wieder/ Und stellt mit der Vernunfft schier einen Wett-Streit an/ Den Kindern drücken zu die matten Augen-Lieder/ Da man doch sonsten wünscht/ daß sie uns diß gethan. Doch unterstehet sich ein Mensch mit GOtt zu rechten? Betagt der Erden-Kloß den Schöpffer für Gericht? Ach nein! ein spröder Thon der kan nicht wieder fechten/ Dem Allgewaltigen hält niemand das Gewicht. Es ist dem schönen Kind so übel nicht geschehen/ Wie saur es Fleisch und Blut auch immer deucht zu seyn/ Die Eltern kränckt es zwar/ daß sie die Lust nicht sehen/ So stets den Frühling gab und einen Sonnen-Schein. Der zarten Glieder Schmuck ist freylich jetzt versehret/ Der Wangen Nelcke bleich/ der Lippen Scharlach blaß. Der Aeuglein Sternen-Glut hat Finsterniß verstöret/ Und diese Tods-Gestalt macht eure Augen naß. Es lacht euch nicht mehr an/ gibt weiter keine Küsse/ Und redet/ was den Geist von Grund erquicken kan. Ach ja ich geb es zu/ daß herbe Seelen-Risse/ Als Wecker strenger Noth/ euch hefftig greiffen an. Hingegen wann ihr wohl des Höchsten Schluß erweget/ Und grimmer Zeiten Lauff vernünfftig überschlagt; So hat ein zeitlich Tod das Kind zur Ruh geleget/ Da Unruh/ Furcht und Angst uns alle Stunden plagt. Was ist die Jugend sonst? Ein Jahrmarck schöner Sünden/ Worbey ein grüner Sinn fast gar zu geitzig kaufft. Das Blut ist voller Gluth und kan sich leicht entzünden/ Daß einer Zügel-loß in sein Verderben laufft. Je länger man hie lebt/ je mehr man sich beflecket/ Und in die Gauckeley der schnöden Welt verliebt/ Wir
Leichen-Gedichte. Das Grab verzehret auch der Jugend Roſen-Jahre/Man weiß von keinem Held der uͤbern Tod geſiegt. Wenn ſchon die Stunde ſchlaͤgt/ kan Eſculap nicht rathen/ Und gantz Arabiens ſein Balſam gilt nicht viel. Der Syrer theures Oel und Jndiens Mußkaten Sambt allem Bezoar verlaͤngern nicht das Ziel. Jch weiß/ Apollens Sohn/ wie ſehr er ſich bemuͤhet Sein allerliebſtes Kind dem ſterben zu entziehn: Alleine dieſe Roſ’ und Lilg’ iſt nur verbluͤhet/ Ein Wolluſt-reicher May der Eltern gehet hin. Es ſcheinet der Natur Geſetze faſt zu wieder/ Und ſtellt mit der Vernunfft ſchier einen Wett-Streit an/ Den Kindern druͤcken zu die matten Augen-Lieder/ Da man doch ſonſten wuͤnſcht/ daß ſie uns diß gethan. Doch unterſtehet ſich ein Menſch mit GOtt zu rechten? Betagt der Erden-Kloß den Schoͤpffer fuͤr Gericht? Ach nein! ein ſproͤder Thon der kan nicht wieder fechten/ Dem Allgewaltigen haͤlt niemand das Gewicht. Es iſt dem ſchoͤnen Kind ſo uͤbel nicht geſchehen/ Wie ſaur es Fleiſch und Blut auch immer deucht zu ſeyn/ Die Eltern kraͤnckt es zwar/ daß ſie die Luſt nicht ſehen/ So ſtets den Fruͤhling gab und einen Sonnen-Schein. Der zarten Glieder Schmuck iſt freylich jetzt verſehret/ Der Wangen Nelcke bleich/ der Lippen Scharlach blaß. Der Aeuglein Sternen-Glut hat Finſterniß verſtoͤret/ Und dieſe Tods-Geſtalt macht eure Augen naß. Es lacht euch nicht mehr an/ gibt weiter keine Kuͤſſe/ Und redet/ was den Geiſt von Grund erquicken kan. Ach ja ich geb es zu/ daß herbe Seelen-Riſſe/ Als Wecker ſtrenger Noth/ euch hefftig greiffen an. Hingegen wann ihr wohl des Hoͤchſten Schluß erweget/ Und grimmer Zeiten Lauff vernuͤnfftig uͤberſchlagt; So hat ein zeitlich Tod das Kind zur Ruh geleget/ Da Unruh/ Furcht und Angſt uns alle Stunden plagt. Was iſt die Jugend ſonſt? Ein Jahrmarck ſchoͤner Suͤnden/ Worbey ein gruͤner Sinn faſt gar zu geitzig kaufft. Das Blut iſt voller Gluth und kan ſich leicht entzuͤnden/ Daß einer Zuͤgel-loß in ſein Verderben laufft. Je laͤnger man hie lebt/ je mehr man ſich beflecket/ Und in die Gauckeley der ſchnoͤden Welt verliebt/ Wir
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0268" n="36"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Leichen-Gedichte.</hi> </fw><lb/> <l>Das Grab verzehret auch der Jugend Roſen-Jahre/</l><lb/> <l>Man weiß von keinem Held der uͤbern Tod geſiegt.</l><lb/> <l>Wenn ſchon die Stunde ſchlaͤgt/ kan Eſculap nicht rathen/</l><lb/> <l>Und gantz Arabiens ſein Balſam gilt nicht viel.</l><lb/> <l>Der Syrer theures Oel und Jndiens Mußkaten</l><lb/> <l>Sambt allem Bezoar verlaͤngern nicht das Ziel.</l><lb/> <l>Jch weiß/ Apollens Sohn/ wie ſehr er ſich bemuͤhet</l><lb/> <l>Sein allerliebſtes Kind dem ſterben zu entziehn:</l><lb/> <l>Alleine dieſe Roſ’ und Lilg’ iſt nur verbluͤhet/</l><lb/> <l>Ein Wolluſt-reicher May der Eltern gehet hin.</l><lb/> <l>Es ſcheinet der Natur Geſetze faſt zu wieder/</l><lb/> <l>Und ſtellt mit der Vernunfft ſchier einen Wett-Streit an/</l><lb/> <l>Den Kindern druͤcken zu die matten Augen-Lieder/</l><lb/> <l>Da man doch ſonſten wuͤnſcht/ daß ſie uns diß gethan.</l><lb/> <l>Doch unterſtehet ſich ein Menſch mit GOtt zu rechten?</l><lb/> <l>Betagt der Erden-Kloß den Schoͤpffer fuͤr Gericht?</l><lb/> <l>Ach nein! ein ſproͤder Thon der kan nicht wieder fechten/</l><lb/> <l>Dem Allgewaltigen haͤlt niemand das Gewicht.</l><lb/> <l>Es iſt dem ſchoͤnen Kind ſo uͤbel nicht geſchehen/</l><lb/> <l>Wie ſaur es Fleiſch und Blut auch immer deucht zu ſeyn/</l><lb/> <l>Die Eltern kraͤnckt es zwar/ daß ſie die Luſt nicht ſehen/</l><lb/> <l>So ſtets den Fruͤhling gab und einen Sonnen-Schein.</l><lb/> <l>Der zarten Glieder Schmuck iſt freylich jetzt verſehret/</l><lb/> <l>Der Wangen Nelcke bleich/ der Lippen Scharlach blaß.</l><lb/> <l>Der Aeuglein Sternen-Glut hat Finſterniß verſtoͤret/</l><lb/> <l>Und dieſe Tods-Geſtalt macht eure Augen naß.</l><lb/> <l>Es lacht euch nicht mehr an/ gibt weiter keine Kuͤſſe/</l><lb/> <l>Und redet/ was den Geiſt von Grund erquicken kan.</l><lb/> <l>Ach ja ich geb es zu/ daß herbe Seelen-Riſſe/</l><lb/> <l>Als Wecker ſtrenger Noth/ euch hefftig greiffen an.</l><lb/> <l>Hingegen wann ihr wohl des Hoͤchſten Schluß erweget/</l><lb/> <l>Und grimmer Zeiten Lauff vernuͤnfftig uͤberſchlagt;</l><lb/> <l>So hat ein zeitlich Tod das Kind zur Ruh geleget/</l><lb/> <l>Da Unruh/ Furcht und Angſt uns alle Stunden plagt.</l><lb/> <l>Was iſt die Jugend ſonſt? Ein Jahrmarck ſchoͤner Suͤnden/</l><lb/> <l>Worbey ein gruͤner Sinn faſt gar zu geitzig kaufft.</l><lb/> <l>Das Blut iſt voller Gluth und kan ſich leicht entzuͤnden/</l><lb/> <l>Daß einer Zuͤgel-loß in ſein Verderben laufft.</l><lb/> <l>Je laͤnger man hie lebt/ je mehr man ſich beflecket/</l><lb/> <l>Und in die Gauckeley der ſchnoͤden Welt verliebt/</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wir</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [36/0268]
Leichen-Gedichte.
Das Grab verzehret auch der Jugend Roſen-Jahre/
Man weiß von keinem Held der uͤbern Tod geſiegt.
Wenn ſchon die Stunde ſchlaͤgt/ kan Eſculap nicht rathen/
Und gantz Arabiens ſein Balſam gilt nicht viel.
Der Syrer theures Oel und Jndiens Mußkaten
Sambt allem Bezoar verlaͤngern nicht das Ziel.
Jch weiß/ Apollens Sohn/ wie ſehr er ſich bemuͤhet
Sein allerliebſtes Kind dem ſterben zu entziehn:
Alleine dieſe Roſ’ und Lilg’ iſt nur verbluͤhet/
Ein Wolluſt-reicher May der Eltern gehet hin.
Es ſcheinet der Natur Geſetze faſt zu wieder/
Und ſtellt mit der Vernunfft ſchier einen Wett-Streit an/
Den Kindern druͤcken zu die matten Augen-Lieder/
Da man doch ſonſten wuͤnſcht/ daß ſie uns diß gethan.
Doch unterſtehet ſich ein Menſch mit GOtt zu rechten?
Betagt der Erden-Kloß den Schoͤpffer fuͤr Gericht?
Ach nein! ein ſproͤder Thon der kan nicht wieder fechten/
Dem Allgewaltigen haͤlt niemand das Gewicht.
Es iſt dem ſchoͤnen Kind ſo uͤbel nicht geſchehen/
Wie ſaur es Fleiſch und Blut auch immer deucht zu ſeyn/
Die Eltern kraͤnckt es zwar/ daß ſie die Luſt nicht ſehen/
So ſtets den Fruͤhling gab und einen Sonnen-Schein.
Der zarten Glieder Schmuck iſt freylich jetzt verſehret/
Der Wangen Nelcke bleich/ der Lippen Scharlach blaß.
Der Aeuglein Sternen-Glut hat Finſterniß verſtoͤret/
Und dieſe Tods-Geſtalt macht eure Augen naß.
Es lacht euch nicht mehr an/ gibt weiter keine Kuͤſſe/
Und redet/ was den Geiſt von Grund erquicken kan.
Ach ja ich geb es zu/ daß herbe Seelen-Riſſe/
Als Wecker ſtrenger Noth/ euch hefftig greiffen an.
Hingegen wann ihr wohl des Hoͤchſten Schluß erweget/
Und grimmer Zeiten Lauff vernuͤnfftig uͤberſchlagt;
So hat ein zeitlich Tod das Kind zur Ruh geleget/
Da Unruh/ Furcht und Angſt uns alle Stunden plagt.
Was iſt die Jugend ſonſt? Ein Jahrmarck ſchoͤner Suͤnden/
Worbey ein gruͤner Sinn faſt gar zu geitzig kaufft.
Das Blut iſt voller Gluth und kan ſich leicht entzuͤnden/
Daß einer Zuͤgel-loß in ſein Verderben laufft.
Je laͤnger man hie lebt/ je mehr man ſich beflecket/
Und in die Gauckeley der ſchnoͤden Welt verliebt/
Wir
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/268 |
Zitationshilfe: | Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/268>, abgerufen am 24.07.2024. |