Mügge, Theodor: Am Malanger Fjord. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–176. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.obachtete schweigend den nächtlichen Künstler, der unheimlich, spukhaft ihn umkreis'te. Wie in den Sagen märchenhafter Zeit die Zauberer und Nornen auf wilden Klippen standen und ihre Hexenlieder sangen, so stand dieser hier auf dem jähen Stein und schickte seine bebenden, abgerissenen Töne in Nacht und Mondenlicht. Was trieb ihn dazu? War es Krankheit, ein schlafsüchtiges, unbewußtes Wandeln, oder riß ihn ein böser Geist von seinem Lager und gab ihm diese weh- und leidvollen Töne ein? Stureson wußte nicht, ob er sich einmischen, ob er warten sollte, aber mit steigender Verwunderung hörte er zu, als Olaf immer süßer und verlockender spielte, als die Töne der kleinen Geige sich zu Melodieen gestalteten und wie im Jubel aufzujauchzen schienen. Plötzlich aber sah er auf dem steilen Felsenwege am Fjord eine zweite Gestalt rasch und leicht von Stein zu Stein springen, und Olaf legte sein Instrument auf die Bank, eilte zu den Stufen und streckte seine Hände aus, die von warmen Händen gefaßt wurden. Stureson richtete sich in seiner Ecke auf, sein Blut kochte, seine Adern schwollen auf, -- es war Mary. Er murmelte einen furchtbaren Fluch in sich hinein. Habe ich dich gerufen, theure Herrin? sagte Olaf bittend. Habe ich deinen Schlaf gestört? -- Vergieb mir in deiner Güte, ich habe dir so viel zu sagen. obachtete schweigend den nächtlichen Künstler, der unheimlich, spukhaft ihn umkreis'te. Wie in den Sagen märchenhafter Zeit die Zauberer und Nornen auf wilden Klippen standen und ihre Hexenlieder sangen, so stand dieser hier auf dem jähen Stein und schickte seine bebenden, abgerissenen Töne in Nacht und Mondenlicht. Was trieb ihn dazu? War es Krankheit, ein schlafsüchtiges, unbewußtes Wandeln, oder riß ihn ein böser Geist von seinem Lager und gab ihm diese weh- und leidvollen Töne ein? Stureson wußte nicht, ob er sich einmischen, ob er warten sollte, aber mit steigender Verwunderung hörte er zu, als Olaf immer süßer und verlockender spielte, als die Töne der kleinen Geige sich zu Melodieen gestalteten und wie im Jubel aufzujauchzen schienen. Plötzlich aber sah er auf dem steilen Felsenwege am Fjord eine zweite Gestalt rasch und leicht von Stein zu Stein springen, und Olaf legte sein Instrument auf die Bank, eilte zu den Stufen und streckte seine Hände aus, die von warmen Händen gefaßt wurden. Stureson richtete sich in seiner Ecke auf, sein Blut kochte, seine Adern schwollen auf, — es war Mary. Er murmelte einen furchtbaren Fluch in sich hinein. Habe ich dich gerufen, theure Herrin? sagte Olaf bittend. Habe ich deinen Schlaf gestört? — Vergieb mir in deiner Güte, ich habe dir so viel zu sagen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0087"/> obachtete schweigend den nächtlichen Künstler, der unheimlich, spukhaft ihn umkreis'te. Wie in den Sagen märchenhafter Zeit die Zauberer und Nornen auf wilden Klippen standen und ihre Hexenlieder sangen, so stand dieser hier auf dem jähen Stein und schickte seine bebenden, abgerissenen Töne in Nacht und Mondenlicht. Was trieb ihn dazu? War es Krankheit, ein schlafsüchtiges, unbewußtes Wandeln, oder riß ihn ein böser Geist von seinem Lager und gab ihm diese weh- und leidvollen Töne ein? </p><lb/> <p> Stureson wußte nicht, ob er sich einmischen, ob er warten sollte, aber mit steigender Verwunderung hörte er zu, als Olaf immer süßer und verlockender spielte, als die Töne der kleinen Geige sich zu Melodieen gestalteten und wie im Jubel aufzujauchzen schienen. </p><lb/> <p> Plötzlich aber sah er auf dem steilen Felsenwege am Fjord eine zweite Gestalt rasch und leicht von Stein zu Stein springen, und Olaf legte sein Instrument auf die Bank, eilte zu den Stufen und streckte seine Hände aus, die von warmen Händen gefaßt wurden. </p><lb/> <p> Stureson richtete sich in seiner Ecke auf, sein Blut kochte, seine Adern schwollen auf, — es war Mary. Er murmelte einen furchtbaren Fluch in sich hinein. </p><lb/> <p> Habe ich dich gerufen, theure Herrin? sagte Olaf bittend. Habe ich deinen Schlaf gestört? — Vergieb mir in deiner Güte, ich habe dir so viel zu sagen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
obachtete schweigend den nächtlichen Künstler, der unheimlich, spukhaft ihn umkreis'te. Wie in den Sagen märchenhafter Zeit die Zauberer und Nornen auf wilden Klippen standen und ihre Hexenlieder sangen, so stand dieser hier auf dem jähen Stein und schickte seine bebenden, abgerissenen Töne in Nacht und Mondenlicht. Was trieb ihn dazu? War es Krankheit, ein schlafsüchtiges, unbewußtes Wandeln, oder riß ihn ein böser Geist von seinem Lager und gab ihm diese weh- und leidvollen Töne ein?
Stureson wußte nicht, ob er sich einmischen, ob er warten sollte, aber mit steigender Verwunderung hörte er zu, als Olaf immer süßer und verlockender spielte, als die Töne der kleinen Geige sich zu Melodieen gestalteten und wie im Jubel aufzujauchzen schienen.
Plötzlich aber sah er auf dem steilen Felsenwege am Fjord eine zweite Gestalt rasch und leicht von Stein zu Stein springen, und Olaf legte sein Instrument auf die Bank, eilte zu den Stufen und streckte seine Hände aus, die von warmen Händen gefaßt wurden.
Stureson richtete sich in seiner Ecke auf, sein Blut kochte, seine Adern schwollen auf, — es war Mary. Er murmelte einen furchtbaren Fluch in sich hinein.
Habe ich dich gerufen, theure Herrin? sagte Olaf bittend. Habe ich deinen Schlaf gestört? — Vergieb mir in deiner Güte, ich habe dir so viel zu sagen.
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