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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Das zweyte Hauptstück.
ganzen Leibes, wodurch sich auch oft der Chor, oder das Zimmer wo man spielet
erschüttert, und die Zuhörer bey dem Anblicke eines so mühsamen Holzhauers
entweder zum Gelächter oder zum Mitleiden bewogen werden.

§. 7.

Wenn nun der Lehrling unter genauer Beobachtung der itzt gegebenen Re-
geln die Musikleiter, oder das sogenannte musikalische A, b, c, abzuspielen an-
gefangen hat; so muß er so lang damit fortfahren, bis er es rein und ohne al-
len Fehler weg zu geigen im Stande ist. Hier stecket wirklich der gröste Fehler,
der sowohl von Meistern als Schülern begangen wird. Die ersten haben oft
die Gedult nicht die Zeit abzuwarten; oder sie lassen sich von dem Discipel ver-
führen, welcher alles gethan zu haben glaubet, wenn er nur bald ein paar Me-
nuete herabkratzen kann. Ja vielmal wünschen die Eltern, oder andere des An-
fängers Vorgesetzte nur bald ein dergleichen unzeitiges Tänzel zu hören, und
glauben alsdann Wunder, wie gut das Lehrgeld verwendet worden. Allein,
wie sehr betrügt man sich! Wer sich nicht gleich Anfangs die Lage der Töne
durch öfteres Abspielen des A, b, c, rechtschaffen bekannt machet, und wer
nicht durch fleißiges Abspielen der Musikleiter es dahin bringet, daß ihm die
Ausdehnung und Zurückziehung der Finger so, wie es ieder Ton erfordert, schon
so zu reden, natürlich kömmt, der wird allezeit in Gefahr laufen falsch und un-
gewiß zu greifen.

§. 8.

Will es etwa einem Anfänger nicht gleich recht angehen, die Violin auf
die vorgeschriebene Art frey zu halten; denn alle sind nicht von gleicher Geschick-
lichkeit: so lasse man ihn die Schnecke der Violin an eine Wand halten; son-
derbar, wenn er die Geige, ohne Forcht daß sie ihm entfalle, nicht anders als
mit der ganzen Hand, und mit niedergedrückten Fingern halten kann. Man
richte ihm die Hand, wie er die Violin zwischen dem Daumen und Ballen des
Zeigefingers halten solle; wie die Finger nicht liegend, sondern mit derselben mitt-
lerem Gliede in die Höhe stehend auf die Seyten zu bringen sind, u. s. f. Jn
dieser Stellung lasse man ihn unter Beobachtung aller oben angeführten Regeln
die Musikleiter abgeigen; man wiederhole diese Uebung wechselweise bald frey,
bald an der Wand; man erinnere ihn öfter, daß er sich die Lage der Hand
rechtschaffen einpräge, und fahre so lange fort, bis er es endlich frey abzuspielen
im Stande ist.

§. 9.
Mozarts Violinschule. H

Das zweyte Hauptſtuͤck.
ganzen Leibes, wodurch ſich auch oft der Chor, oder das Zimmer wo man ſpielet
erſchuͤttert, und die Zuhoͤrer bey dem Anblicke eines ſo muͤhſamen Holzhauers
entweder zum Gelaͤchter oder zum Mitleiden bewogen werden.

§. 7.

Wenn nun der Lehrling unter genauer Beobachtung der itzt gegebenen Re-
geln die Muſikleiter, oder das ſogenannte muſikaliſche A, b, c, abzuſpielen an-
gefangen hat; ſo muß er ſo lang damit fortfahren, bis er es rein und ohne al-
len Fehler weg zu geigen im Stande iſt. Hier ſtecket wirklich der groͤſte Fehler,
der ſowohl von Meiſtern als Schuͤlern begangen wird. Die erſten haben oft
die Gedult nicht die Zeit abzuwarten; oder ſie laſſen ſich von dem Diſcipel ver-
fuͤhren, welcher alles gethan zu haben glaubet, wenn er nur bald ein paar Me-
nuete herabkratzen kann. Ja vielmal wuͤnſchen die Eltern, oder andere des An-
faͤngers Vorgeſetzte nur bald ein dergleichen unzeitiges Taͤnzel zu hoͤren, und
glauben alsdann Wunder, wie gut das Lehrgeld verwendet worden. Allein,
wie ſehr betruͤgt man ſich! Wer ſich nicht gleich Anfangs die Lage der Toͤne
durch oͤfteres Abſpielen des A, b, c, rechtſchaffen bekannt machet, und wer
nicht durch fleißiges Abſpielen der Muſikleiter es dahin bringet, daß ihm die
Ausdehnung und Zuruͤckziehung der Finger ſo, wie es ieder Ton erfordert, ſchon
ſo zu reden, natuͤrlich koͤmmt, der wird allezeit in Gefahr laufen falſch und un-
gewiß zu greifen.

§. 8.

Will es etwa einem Anfaͤnger nicht gleich recht angehen, die Violin auf
die vorgeſchriebene Art frey zu halten; denn alle ſind nicht von gleicher Geſchick-
lichkeit: ſo laſſe man ihn die Schnecke der Violin an eine Wand halten; ſon-
derbar, wenn er die Geige, ohne Forcht daß ſie ihm entfalle, nicht anders als
mit der ganzen Hand, und mit niedergedruͤckten Fingern halten kann. Man
richte ihm die Hand, wie er die Violin zwiſchen dem Daumen und Ballen des
Zeigefingers halten ſolle; wie die Finger nicht liegend, ſondern mit derſelben mitt-
lerem Gliede in die Hoͤhe ſtehend auf die Seyten zu bringen ſind, u. ſ. f. Jn
dieſer Stellung laſſe man ihn unter Beobachtung aller oben angefuͤhrten Regeln
die Muſikleiter abgeigen; man wiederhole dieſe Uebung wechſelweiſe bald frey,
bald an der Wand; man erinnere ihn oͤfter, daß er ſich die Lage der Hand
rechtſchaffen einpraͤge, und fahre ſo lange fort, bis er es endlich frey abzuſpielen
im Stande iſt.

§. 9.
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[57/0085] Das zweyte Hauptſtuͤck. ganzen Leibes, wodurch ſich auch oft der Chor, oder das Zimmer wo man ſpielet erſchuͤttert, und die Zuhoͤrer bey dem Anblicke eines ſo muͤhſamen Holzhauers entweder zum Gelaͤchter oder zum Mitleiden bewogen werden. §. 7. Wenn nun der Lehrling unter genauer Beobachtung der itzt gegebenen Re- geln die Muſikleiter, oder das ſogenannte muſikaliſche A, b, c, abzuſpielen an- gefangen hat; ſo muß er ſo lang damit fortfahren, bis er es rein und ohne al- len Fehler weg zu geigen im Stande iſt. Hier ſtecket wirklich der groͤſte Fehler, der ſowohl von Meiſtern als Schuͤlern begangen wird. Die erſten haben oft die Gedult nicht die Zeit abzuwarten; oder ſie laſſen ſich von dem Diſcipel ver- fuͤhren, welcher alles gethan zu haben glaubet, wenn er nur bald ein paar Me- nuete herabkratzen kann. Ja vielmal wuͤnſchen die Eltern, oder andere des An- faͤngers Vorgeſetzte nur bald ein dergleichen unzeitiges Taͤnzel zu hoͤren, und glauben alsdann Wunder, wie gut das Lehrgeld verwendet worden. Allein, wie ſehr betruͤgt man ſich! Wer ſich nicht gleich Anfangs die Lage der Toͤne durch oͤfteres Abſpielen des A, b, c, rechtſchaffen bekannt machet, und wer nicht durch fleißiges Abſpielen der Muſikleiter es dahin bringet, daß ihm die Ausdehnung und Zuruͤckziehung der Finger ſo, wie es ieder Ton erfordert, ſchon ſo zu reden, natuͤrlich koͤmmt, der wird allezeit in Gefahr laufen falſch und un- gewiß zu greifen. §. 8. Will es etwa einem Anfaͤnger nicht gleich recht angehen, die Violin auf die vorgeſchriebene Art frey zu halten; denn alle ſind nicht von gleicher Geſchick- lichkeit: ſo laſſe man ihn die Schnecke der Violin an eine Wand halten; ſon- derbar, wenn er die Geige, ohne Forcht daß ſie ihm entfalle, nicht anders als mit der ganzen Hand, und mit niedergedruͤckten Fingern halten kann. Man richte ihm die Hand, wie er die Violin zwiſchen dem Daumen und Ballen des Zeigefingers halten ſolle; wie die Finger nicht liegend, ſondern mit derſelben mitt- lerem Gliede in die Hoͤhe ſtehend auf die Seyten zu bringen ſind, u. ſ. f. Jn dieſer Stellung laſſe man ihn unter Beobachtung aller oben angefuͤhrten Regeln die Muſikleiter abgeigen; man wiederhole dieſe Uebung wechſelweiſe bald frey, bald an der Wand; man erinnere ihn oͤfter, daß er ſich die Lage der Hand rechtſchaffen einpraͤge, und fahre ſo lange fort, bis er es endlich frey abzuſpielen im Stande iſt. §. 9. Mozarts Violinſchule. H

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/85>, abgerufen am 23.11.2024.