Dieß ist aber nur die gewöhnliche mathematische Eintheilung des Tacts, welches wir eigentlich das Zeitmaas und den Tactschlag nennen (g). Nun kommt es noch auf eine Hauptsache an: nämlich, auf die Art der Bewegung. Man muß nicht nur den Tact richtig und gleich schlagen können: sondern man muß auch aus dem Stücke selbst zu errathen wissen, ob es eine langsame oder eine etwas geschwinde- re Bewegung erheische. Man setzet zwar vor iedes Stück eigens dazu bestimm- te Wörter, als da sind: Allegro, lustig; Adagio, langsam, u. s. f. Allein das Langsame sowohl als das Geschwinde und Lustige hat seine Stuffen. Und wenn auch gleich der Componist die Art der Bewegung durch Beyfügung noch anderer Beywörter und Nebenwörter deutlicher zu erklären bemühet ist: so kann er doch unmöglich jene Art auf das genaueste bestimmen, die er bey dem Vor- trage des Stückes ausgedrücket wissen will. Man muß es also aus dem Stücke selbst herleiten: Und hieraus erkennet man unfehlbar die wahre Stärke eines Musikverständigen. Jedes melodisches Stück hat wenigstens einen Satz, aus welchem man die Art der Bewegung, die das Stück erheischet, ganz sicher er- kennen kann. Ja oft treibt es mit Gewalt in seine natürliche Bewegung; wenn man anders mit genauer Achtsamkeit darauf siehet. Man merke dieses, und wisse aber auch, daß zu dieser Erkenntniß eine lange Erfahrung, und eine gute Be- urtheilungskraft erforderet werde. Wer wird mir also widersprechen, wenn ich es unter die ersten Vollkommenheiten der Tonkunst zähle?
§. 8.
Man muß demnach bey der Unterweisung eines Anfängers keine Mühe spah- ren ihm den Tact recht begreiflich zu machen. Dazu wird sehr dienlich seyn, wenn der Lehrmeister dem Schüler öfters die Hand zum Tacte führet; alsdann aber ihm ein und andere Stücke von verschiedener Tactsart und abwechselnder Bewe- gung vorspielet, und den Lehrling den Tact ganz allein dazu schlagen läßt: um zu versuchen, ob er die Abtheilung, Gleichheit, und endlich auch die Verände- rung der Bewegung verstehet. Geschieht dieses nicht; so wird der Anfänger manches Stücke schon fertig nach dem Gehör wegspielen, ohne einen guten Tact schlagen zu können. Und wem wird es nicht lächerlich scheinen, wenn ich ihm sage, daß ich selbst einen gesehen, der, ob er gleich die Violin schon ziemlich gut spielte, doch den Tact, sonderbar zu langsamen Melodien, unmöglich hat schla-
gen
(g)Tempus, Mensura, Tactus. Lat. Battuta. Ital. La Mesure. Franc.
Des erſten Hauptſtuͤcks, zweyter Abſchnitt.
§. 7.
Dieß iſt aber nur die gewoͤhnliche mathematiſche Eintheilung des Tacts, welches wir eigentlich das Zeitmaas und den Tactſchlag nennen (g). Nun kommt es noch auf eine Hauptſache an: naͤmlich, auf die Art der Bewegung. Man muß nicht nur den Tact richtig und gleich ſchlagen koͤnnen: ſondern man muß auch aus dem Stuͤcke ſelbſt zu errathen wiſſen, ob es eine langſame oder eine etwas geſchwinde- re Bewegung erheiſche. Man ſetzet zwar vor iedes Stuͤck eigens dazu beſtimm- te Woͤrter, als da ſind: Allegro, luſtig; Adagio, langſam, u. ſ. f. Allein das Langſame ſowohl als das Geſchwinde und Luſtige hat ſeine Stuffen. Und wenn auch gleich der Componiſt die Art der Bewegung durch Beyfuͤgung noch anderer Beywoͤrter und Nebenwoͤrter deutlicher zu erklaͤren bemuͤhet iſt: ſo kann er doch unmoͤglich jene Art auf das genaueſte beſtimmen, die er bey dem Vor- trage des Stuͤckes ausgedruͤcket wiſſen will. Man muß es alſo aus dem Stuͤcke ſelbſt herleiten: Und hieraus erkennet man unfehlbar die wahre Staͤrke eines Muſikverſtaͤndigen. Jedes melodiſches Stuͤck hat wenigſtens einen Satz, aus welchem man die Art der Bewegung, die das Stuͤck erheiſchet, ganz ſicher er- kennen kann. Ja oft treibt es mit Gewalt in ſeine natuͤrliche Bewegung; wenn man anders mit genauer Achtſamkeit darauf ſiehet. Man merke dieſes, und wiſſe aber auch, daß zu dieſer Erkenntniß eine lange Erfahrung, und eine gute Be- urtheilungskraft erforderet werde. Wer wird mir alſo widerſprechen, wenn ich es unter die erſten Vollkommenheiten der Tonkunſt zaͤhle?
§. 8.
Man muß demnach bey der Unterweiſung eines Anfaͤngers keine Muͤhe ſpah- ren ihm den Tact recht begreiflich zu machen. Dazu wird ſehr dienlich ſeyn, wenn der Lehrmeiſter dem Schuͤler oͤfters die Hand zum Tacte fuͤhret; alſdann aber ihm ein und andere Stuͤcke von verſchiedener Tactsart und abwechſelnder Bewe- gung vorſpielet, und den Lehrling den Tact ganz allein dazu ſchlagen laͤßt: um zu verſuchen, ob er die Abtheilung, Gleichheit, und endlich auch die Veraͤnde- rung der Bewegung verſtehet. Geſchieht dieſes nicht; ſo wird der Anfaͤnger manches Stuͤcke ſchon fertig nach dem Gehoͤr wegſpielen, ohne einen guten Tact ſchlagen zu koͤnnen. Und wem wird es nicht laͤcherlich ſcheinen, wenn ich ihm ſage, daß ich ſelbſt einen geſehen, der, ob er gleich die Violin ſchon ziemlich gut spielte, doch den Tact, ſonderbar zu langſamen Melodien, unmoͤglich hat ſchla-
gen
(g)Tempus, Menſura, Tactus. Lat. Battuta. Ital. La Meſure. Franc.
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Des erſten Hauptſtuͤcks, zweyter Abſchnitt.
§. 7.
Dieß iſt aber nur die gewoͤhnliche mathematiſche Eintheilung des Tacts, welches
wir eigentlich das Zeitmaas und den Tactſchlag nennen (g). Nun kommt es noch
auf eine Hauptſache an: naͤmlich, auf die Art der Bewegung. Man muß nicht nur
den Tact richtig und gleich ſchlagen koͤnnen: ſondern man muß auch aus dem
Stuͤcke ſelbſt zu errathen wiſſen, ob es eine langſame oder eine etwas geſchwinde-
re Bewegung erheiſche. Man ſetzet zwar vor iedes Stuͤck eigens dazu beſtimm-
te Woͤrter, als da ſind: Allegro, luſtig; Adagio, langſam, u. ſ. f. Allein
das Langſame ſowohl als das Geſchwinde und Luſtige hat ſeine Stuffen. Und
wenn auch gleich der Componiſt die Art der Bewegung durch Beyfuͤgung noch
anderer Beywoͤrter und Nebenwoͤrter deutlicher zu erklaͤren bemuͤhet iſt: ſo kann
er doch unmoͤglich jene Art auf das genaueſte beſtimmen, die er bey dem Vor-
trage des Stuͤckes ausgedruͤcket wiſſen will. Man muß es alſo aus dem Stuͤcke
ſelbſt herleiten: Und hieraus erkennet man unfehlbar die wahre Staͤrke eines
Muſikverſtaͤndigen. Jedes melodiſches Stuͤck hat wenigſtens einen Satz, aus
welchem man die Art der Bewegung, die das Stuͤck erheiſchet, ganz ſicher er-
kennen kann. Ja oft treibt es mit Gewalt in ſeine natuͤrliche Bewegung; wenn
man anders mit genauer Achtſamkeit darauf ſiehet. Man merke dieſes, und wiſſe
aber auch, daß zu dieſer Erkenntniß eine lange Erfahrung, und eine gute Be-
urtheilungskraft erforderet werde. Wer wird mir alſo widerſprechen, wenn ich
es unter die erſten Vollkommenheiten der Tonkunſt zaͤhle?
§. 8.
Man muß demnach bey der Unterweiſung eines Anfaͤngers keine Muͤhe ſpah-
ren ihm den Tact recht begreiflich zu machen. Dazu wird ſehr dienlich ſeyn,
wenn der Lehrmeiſter dem Schuͤler oͤfters die Hand zum Tacte fuͤhret; alſdann aber
ihm ein und andere Stuͤcke von verſchiedener Tactsart und abwechſelnder Bewe-
gung vorſpielet, und den Lehrling den Tact ganz allein dazu ſchlagen laͤßt: um
zu verſuchen, ob er die Abtheilung, Gleichheit, und endlich auch die Veraͤnde-
rung der Bewegung verſtehet. Geſchieht dieſes nicht; ſo wird der Anfaͤnger
manches Stuͤcke ſchon fertig nach dem Gehoͤr wegſpielen, ohne einen guten Tact
ſchlagen zu koͤnnen. Und wem wird es nicht laͤcherlich ſcheinen, wenn ich ihm
ſage, daß ich ſelbſt einen geſehen, der, ob er gleich die Violin ſchon ziemlich gut
spielte, doch den Tact, ſonderbar zu langſamen Melodien, unmoͤglich hat ſchla-
gen
(g) Tempus, Menſura, Tactus. Lat. Battuta. Ital. La Meſure. Franc.
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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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